Familienfreundliche Jobs Arbeitgeber lassen Nahles abblitzen

Arbeitsministerin Nahles: "Wir brauchen eine neue Arbeitskultur"
Foto: Timur Emek/ Getty ImagesHamburg - Astrid Oellerer ist Teil einer exklusiven Minderheit in Deutschland: Die 43-Jährige hat einen Führungsposten, trotzdem verlässt sie zweimal in der Woche bereits am Nachmittag das Büro und kümmert sich um ihre schulpflichtigen Kinder. Vor zwei Jahren hat sie ihre Arbeitszeit auf 90 Prozent reduziert, erzählt Oellerer. Sie ist Personalleiterin beim Maschinen- und Laserhersteller Trumpf.
Ihr Unternehmen hat 2011 ein ungewöhnliches Projekt gestartet: Immer für zwei Jahre im Voraus können Mitarbeiter ihre Arbeitszeit selbst bestimmen - in einem Korridor von 15 bis 40 Wochenstunden. Oellerer nutzte die Chance, ihr Mann ist ebenfalls in leitender Funktion tätig, bei einem anderen Unternehmen. Die Tage, an denen sie früher geht, kann die Personalleiterin selbst bestimmen. "Ich bin froh, dass es diese Flexibilität gibt."
Das Modell von Trumpf ist eine Ausnahme in deutschen Betrieben. Bei der großen Mehrheit gelten nach wie vor strenge Bedingungen: Entweder man arbeitet Vollzeit, also acht Stunden am Tag - oder Teilzeit, dann aber meist auf Dauer. Gerade Eltern leiden oft darunter, dass sie sich zwischen Karriere und Kind entscheiden müssen.
Die neue Arbeitsministerin Andrea Nahles verspricht nun, dieses Problem anzugehen. "Wir brauchen eine neue Arbeitskultur", sagte sie der "Bild"-Zeitung. Vollzeit müsse neu definiert werden. Und die SPD-Politikerin geht noch weiter: "Mit dem Anwesenheitswahn muss Schluss sein."
Starke Worte. Doch was Nahles damit konkret meint, war am Mittwoch nicht zu erfahren. Soll Heimarbeit gefördert werden? Müssen Unternehmen künftig flexiblere Job-Modelle anbieten? Oder soll gar die Stundenzahl von Vollzeitstellen gekürzt werden? Eine Anfrage in Nahles' neuem Ministerium blieb zunächst unbeantwortet.
Immerhin: Die Arbeitsministerin kann sich auf den Koalitionsvertrag stützen. Dort heißt es im Abschnitt zur Familienpolitik, dass Eltern von kleineren Kindern künftig 25 bis 30 Stunden pro Woche arbeiten können - und dabei staatlich bezuschusst werden. Voraussetzung ist allerdings, dass beide Elternteile die gleiche Stundenzahl arbeiten.
BDA sieht keinen Handlungsbedarf
Bei der Arbeitgeberlobby BDA stößt Nahles mit ihrem Vorstoß auf Unverständnis. "Es gibt in diesem Bereich keinen Handlungsbedarf", sagt Roland Wolf, Geschäftsführer Arbeitsrecht beim BDA. "Die Betriebe tun das betrieblich Mögliche, Arbeitszeitwünsche der Arbeitnehmer zu erfüllen. Viele bieten bereits Möglichkeiten an, etwa über Arbeitszeitkonten flexibel zu arbeiten." Auch der Gesetzgeber habe zu diesem Thema schon "mehr als ein Gesetz erlassen", so Wolf. Von flächendeckenden Vorschriften, etwa mehr Heimarbeit zu ermöglichen, hält er nichts. "In der Industrie, aber auch im Dienstleistungssektor gibt es Jobs, bei denen eine Anwesenheit zwingend erforderlich ist."
Ähnlich sieht das auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. "Pauschalvorwürfe dieser Art sind völlig verfehlt", sagt DIHK-Vize Achim Dercks. "Immer mehr Unternehmen unterstützen ihre Beschäftigten durch familienfreundliche Angebote und flexible Arbeitszeiten. Klar, das ist nicht alles überall einfach." Die Politik sitze aber im Glashaus und sollte daher nicht mit dem Finger auf die Wirtschaft zeigen. "Was wir tatsächlich brauchen, ist ein angemessenes Angebot an Kinderbetreuung - auch für Schulkinder", so Dercks.
Trumpf-Personalleiterin Oellerer sieht es ein wenig differenzierter. Sie stimme Nahles bei der Diagnose zu, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Deutschland schwierig sei. "Das wird auch noch einige Zeit dauern, bis sich das ändert, fürchte ich." Dabei seien viele Argumente vorgeschoben. "Man findet immer Wege, das machbar zu gestalten", sagt sie.
Länder wie Schweden zeigen, wie es geht. Dort gestattet die Mehrzahl der Arbeitgeber ihren Beschäftigten, Arbeitsbeginn und Arbeitsende flexibel zu gestalten. Wer sich nachmittags um seine Kinder kümmern möchte, bekommt die Gelegenheit dazu. Und das gilt auch für Führungskräfte. Unter anderem funktioniert dies mit Jobsharing-Modellen. Im Klartext: Zwei Mitarbeiter teilen sich eine Führungsposition.
Oellerer sagt, dass sich auch in Deutschland langsam etwas tut. Sie glaubt, dass Gesetze gar nicht so entscheidend seien. Vielmehr sorge der Fachkräftemangel dafür, dass Unternehmen unter Druck seien, attraktive Angebote zu machen. "Wer gute Leute haben will, muss ihnen auch etwas bieten."