Bericht des Wohlfahrtsverbands 12,5 Millionen Menschen in Deutschland sind arm

Die Armut in Deutschland ist dem Paritätischen Wohlfahrtsverband zufolge sprunghaft angestiegen. Seit der Wiedervereinigung geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander.
Kluft zwischen Arm und Reich: Obdachloser im reichen Baden-Württemberg

Kluft zwischen Arm und Reich: Obdachloser im reichen Baden-Württemberg

Foto: Sebastian Kahnert/ picture alliance / dpa

Berlin - "Die zerklüftete Republik" - so hat der Paritätische Wohlfahrtsverband seinen aktuellen Armutsbericht betitelt. Gemeint ist die Kluft zwischen armen und reichen Regionen und zwischen Einkommensgruppen in Deutschland, die immer tiefer wird. "Noch nie war die Armut so hoch, und noch nie war die regionale Zerrissenheit so tief wie heute", sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider bei der Vorstellung des Berichts in Berlin.

Innerhalb nur eines Jahres ist die Armut insgesamt von 15 auf 15,5 Prozent gestiegen, heißt es in dem Bericht, der sich auf das Jahr 2013 bezieht. Insgesamt gelten 12,5 Millionen Menschen in Deutschland als arm - und das Land zerfällt in wohlhabende und mittellose Regionen.

Am stärksten betroffen sind die Bundesländer Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin mit Armutsquoten von mehr als 20 Prozent. Auf der anderen Seite der Einkommensskala stehen Bayern und Baden-Württemberg, mit Quoten von gut elf Prozent. Nur in zwei Bundesländern ist die Armut demnach gegen den Trend gefallen: In Sachsen-Anhalt von 21,1 auf 20,9 Prozent und in Brandenburg von 18,1 auf 17,7 Prozent.

Vierköpfige Familie ist mit 1873 Euro arm

Der Paritätische Wohlfahrtsverband bezieht sich in seiner Berechnung auf "relative Armutsquoten", zu denen Haushalte zählen, denen weniger als 60 Prozent des sogenannten bedarfsgewichteten Einkommens zur Verfügung steht. Damit wird berücksichtigt, dass Kinder weniger Geld brauchen als Erwachsene, und dass es günstiger wird, wenn mehrere Menschen zusammenleben. Deshalb wird das gesamte Nettoeinkommen eines Haushalts durch die gewichtete Zahl der Haushaltsmitglieder geteilt. Der erste Erwachsene hat den Faktor eins, jedes weitere Haushaltsmitglied ab 14 Jahre den Faktor 0,5, Kinder unter 14 Jahren bekommen den Faktor 0,3.

In konkreten Zahlen lag die so errechnete Armutsgefährdungsschwelle 2013 für einen Singlehaushalt bei 892 Euro, für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 1873 Euro. Diese Quote, heißt es auch im aktuellen Armutsbericht, zeigt allerdings vor allem Einkommensspreizungen innerhalb einer Gesellschaft an. Ob von Armut gesprochen werden sollte, hängt aber auch vom Preisniveau einer Region ab. Beispielhaft listet der Armutsbericht auf, dass die vierköpfige Familie in einer teuren Gegend wie Wiesbaden bereits mehr als 200 Euro unter der Hartz-IV-Schwelle liegt.

Größtes Armutsrisiko: Erwerbslose, Alleinerziehende und Rentner

Das größte Armutsrisiko tragen dem Bericht zufolge Erwerbslose, von denen mehr als 40 Prozent arm sind, aber auch Alleinerziehende und Menschen ohne Bildungsabschluss. Hauptgeschäftsführer Schneider wies darauf hin, dass auch bei Rentnern die Altersarmut deutlich zunehme. Zwar liegt sie mit 15,2 Prozent noch unter dem Durchschnitt, aber "diese Gruppe zeigt seit 2006 den rasantesten Anstieg an Armut", sagt Schneider. Seit 2006 ist sie viermal so stark gewachsen wie in der Gesamtbevölkerung. Auch die Kinderarmut steigt weiter, auf jetzt 19,2 Prozent.

Der Bericht kritisiert, dass die Armen in Deutschland nicht mehr von der positiven Wirtschaftsentwicklung profitieren. So ist die Wirtschaft seit 2009 stetig gewachsen, die Armutsquote aber auch: "Der zunehmende Reichtum geht mit einer immer größeren Ungleichverteilung einher", heißt es in dem Bericht.

Die Entwicklung sei deshalb alarmierend, weil gleichzeitig die Arbeitslosenquote deutlich gesunken sei. Der Paritätische Gesamtverband sieht die Verantwortung dafür in der Politik: "Es ist ein erster statistischer Fingerzeig darauf, dass Armut und Ungleichheit in Deutschland politisch mindestens mit verursacht sind."

nck/dpa
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