Asiens Kampf der Ökonomien Keine Chance für Chindia

Wen Jiabao, Manmohan Singh: "Der Drache und der Elefant sollten Tango tanzen"
Foto: B MATHUR/ REUTERSAm Ende seines Besuchs findet Chinas Premier Wen Jiabao viele beruhigende Worte für seine indischen Gastgeber. Das Verhältnis zwischen den beiden Ländern sei jetzt in eine "neue, lebendige und fruchtbare Phase" eingetreten. China und Indien seien Partner, keine Gegner. "Es ist genug Platz in der Welt für Indien und China, um beide Länder zu entwickeln und um miteinander zu kooperieren", sagt er in Neu-Delhi. Er sei überzeugt, dass man die "Freundschaft und Kooperation auf eine neue Ebene heben" könne.
Kurz: "Der Drache und der Elefant sollten Tango tanzen."
Weniger bildhaft beteuert Indiens Premierminister Manmohan Singh, man sehe sich als Freunde. "Eine starke Partnerschaft zwischen China und Indien trägt zu langfristigem Frieden, Stabilität, Wohlstand und Entwicklung in Asien und in der Welt bei."
Rivalität? Gibt es nicht, sagen beide mehrfach. Was viel über das wahre Verhältnis zwischen Indien und China verrät.
Denn "Chindia" ist in Wahrheit noch in weiter Ferne. Der Begriff meint eine geballte asiatische Wirtschaftsmacht, die über ein Drittel der Weltbevölkerung umfassen würde - wenn es sie denn gäbe.
Die Beziehungen zwischen den zwei bevölkerungsreichsten Ländern der Erde sind seit fünf Jahrzehnten angespannt. Es gibt eine Menge wechselseitiger Vorwürfe, zum Beispiel strittige Grenzfragen, die zuletzt 1962 zu einem Krieg führten, in dem Indien unterlag. Bis heute halten viele indische Militärs China für die größte Bedrohung. Beide Seiten argwöhnen, die jeweils andere Seite wolle ihr Staatsgebiet auf Kosten des anderen vergrößern. Indien fühlt sich außerdem bedroht von Chinas wachsendem Einfluss in der Region, in Burma, Sri Lanka, Nepal, Bangladesch und vor allem beim Erzfeind Pakistan. China wiederum kritisiert, dass Indien Exil für den Dalai Lama ist.
Rein pragmatische Beziehung
Wenn Wen und Singh jetzt also von einer Partnerschaft sprechen, geht es um eine rein pragmatische Beziehung. Die beiden Nachbarn, die politisch und kulturell unterschiedlicher kaum sein könnten, haben ein gemeinsames Ziel, das über allem steht: wirtschaftlich zu wachsen und aufzusteigen vom Schwellenland in die Riege der wirtschaftlichen Weltmächte. Irgendwann, in nicht allzu ferner Zukunft, wollen sie die USA als ökonomische Nummer eins ablösen.
Die einzigen Fortschritte gibt es jetzt deshalb auf wirtschaftlichem Gebiet - Indien und China wollen ihre Handelsbeziehungen ausbauen. In den kommenden fünf Jahren soll ein Volumen von 100 Milliarden Dollar erreicht werden, im laufenden Jahr wird der Wahrenaustausch erstmals die 60-Millionen-Dollar-Marke erreichen. Wen ist mit mehr als 300 chinesischen Top-Managern nach Neu-Delhi gereist. Sie unterzeichneten in den vergangenen drei Tagen Verträge im Wert von rund 16 Milliarden Dollar.
Die alte Feindschaft steht auch einem echten Durchbruch auf wirtschaftlichem Gebiet im Wege. Indien lehnt ein Freihandelsabkommen ab. Dieses würde zwar einen gigantischen Markt schaffen und beide Länder im globalen Wettbewerb voranbringen - doch für Indien überwiegt die Sorge, seine unausgeglichene Handelsbilanz könnte sich noch stärker zugunsten Chinas verändern. China exportiert deutlich mehr Waren in das Nachbarland als umgekehrt. Indien will erst einen besseren Zugang zum chinesischen Markt.
Indien überholt Chinas Wachstumsraten
Das Wettrennen der beiden Staaten dürfte andauern. Und in Indien ist man zuversichtlich, dass man es früher oder später gewinnen wird. Noch ist China die größere, stärkere, besser organisierte Wirtschaftsmacht. Trotzdem erwarten indische Wirtschaftsbosse, den einst übermächtig erscheinenden Konkurrenten zu überholen.
Manchen Analysten zufolge könnten die indischen Wachstumsraten schon im kommenden Jahr die chinesischen einholen. Die britische Bank Standard Chartered sieht sie gleichauf bei 8,5 Prozent, die Weltbank geht sogar von 8,7 Prozent für Indien aus. Einig sind sich die meisten Experten, dass im Laufe des Jahrzehnts Indiens Ökonomie dauerhaft schneller wächst. Zumal Chinas Staatsführung daran interessiert ist, die Wirtschaft nicht zu schnell wachsen zu lassen. Denn bislang nehmen die Einkommen nicht entsprechend zu, der Konsum ist zu schwach - das Wirtschaftswachstum basiert zu sehr auf Exporten. Das Wachstum aber müsse einer "harmonischen Gesellschaft" dienen, sagt Wen.
Ein-Kind-Politik wird China schaden
Auch die Ende der siebziger Jahre eingeführte Ein-Kind-Politik dürfte China auf dem Weg zur Nummer eins der Weltwirtschaft zum Nachteil gereichen. In den kommenden Jahren wird die Zahl der Arbeitskräfte sinken, weitere Jahrzehnte später droht die Bevölkerung zu überaltern. Die indische Bevölkerung wächst dagegen unkontrolliert - was das Land vor Probleme wie Essens- und Wohnraumknappheit stellt, doch Arbeitskräfte gibt es genug. Nach Uno-Berechnungen wird Indien China 2025 als bevölkerungsreichstes Land der Erde einholen.
Zwar leidet Indien an mangelhafter Infrastruktur, an einer langsamen und korrupten Bürokratie und teils langwierigen Genehmigungsverfahren. Die Politiker und Manager des Landes entgegnen, das sei der Preis einer Demokratie - und ergänzen süffisant, China habe nur wegen der fehlenden demokratischen Kultur so schnelles Wachstum geschafft. Mittelfristig sei der andere Weg besser.
Die Bemühungen um Chinas Gunst halten sich in Indien in Grenzen. Aber auch die Gegenseite zeigt deutlich, wie relevant Indien als Partner wirklich ist: jedenfalls nicht wichtiger als dessen Erzfeind Pakistan. Premier Wen reist von Neu-Delhi aus weiter nach Islamabad und wird dort genauso lange bleiben.
Sein Land will Pakistan Technik für den Bau von Atomkraftwerken liefern - ohne auf internationale Bedenken Rücksicht zu nehmen. Man wolle ausgleichen, dass Indien Nukleartechnologie von den USA erhalte, sagen die Chinesen.