Atom-Poker im Kanzleramt Seehofer will für Zehn-Jahres-Ausstieg kämpfen

AKW Brokdorf: FDP streitet gegen konkretes Ausstiegsdatum
Foto: Carsten Rehder/ dpaBerlin - Es könnten Bilder werden wie beim Opel-Gipfel 2009: Nächtliche Verhandlungen im Kanzleramt, erschöpfte Koalitionäre, die erst im Morgengrauen eine Einigung verkünden. Nur dass am Sonntagabend nicht über die Rettung eines angeschlagenen Autokonzerns verhandelt wird, sondern über die Zukunft der deutschen Atomkraftwerke: Der Koalitionsausschuss der Bundesregierung will sich auf das Gesetzespaket für die geplante Energiewende verständigen.
Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer kündigte vor dem Treffen an, er wolle den endgültigen Atomausstieg binnen zehn Jahren durchsetzen. "Ich werde das Ergebnis der Ethikkommission zur Grundlage der Beratungen im Koalitionsausschuss machen", sagte Seehofer der "Bild am Sonntag".
Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission hatte einen Ausstieg in spätestens zehn Jahren empfohlen. Unter Umständen sei sogar ein früheres Datum möglich, heißt es im Abschlusspapier der Kommission. Seehofer lobte das Votum als "entscheidenden Beitrag für einen gesamtgesellschaftlichen Konsens".
Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte die Koalition auf, den Empfehlungen der Kommission zu folgen. "Die Kanzlerin muss sich endlich entscheiden: Will sie nur einen billigen Burgfrieden in ihrer zerstrittenen Koalition, oder will sie einen breiten Energiekonsens? ", sagte Gabriel der "Bild am Sonntag". Für seine Partei sei klar: "Wir wollen einen Energiekonsens, der länger hält als nur eine Legislaturperiode. Wir sind bereit, auch schwierige Entscheidungen mitzutragen."
Doch innerhalb der schwarz-gelben Koalition gehen die Meinungen zur Energiewende weiterhin auseinander. Der neue FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle mahnte in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", es sei noch nicht entschieden, ob die während des Moratoriums abgeschalteten AKW nicht wieder ans Netz gehen.
"Wie viele und welche Kernkraftwerke dauerhaft vom Netz gehen, steht am Ende und nicht am Anfang des Entscheidungsprozesses." Dabei hatten Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) und seine Kollegen in den Ländern am Freitag einhellig beschlossen, dass die vor 1980 ans Netz gegangenen Meiler keinen Strom mehr produzieren dürfen.
Von der Leyen hält an Brennelementesteuer fest
Wie der neue FDP-Chef Philipp Rösler stellte auch Brüderle in Frage, ob es überhaupt ein Enddatum für den Atomausstieg geben werde. "Wenn wir das Tempo beim Leitungsausbau für die erneuerbaren Energien nicht beschleunigen, scheitern wir am Ende", warnte Brüderle.
Auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ging auf Konfrontationskurs zur CSU: Sie forderte die Beibehaltung der Brennelementesteuer. Damit würden die Kosten für die Lagerung von atomaren Abfällen finanziert, sagte von der Leyen dem "Tagesspiegel" vom Sonntag.
Auch FDP-Chef Rösler hatte sich für den Erhalt der Steuer ausgesprochen. Seehofer erklärte dagegen, wegen des geplanten Atomausstiegs habe die Abgabe keine Berechtigung mehr. Ähnlich hatte Bundestagsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) argumentiert.
Der Chef des Energieversorgers RWE, Jürgen Großmann, wies in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" Spekulationen zurück, sein Unternehmen werde die Klage gegen das Atommoratorium zurücknehmen, falls die Brennelementesteuer fallengelassen werde. Die Energiekonzerne würden von der Bundesregierung nur wenig in die Planungen zum Atomausstieg einbezogen, klagte Großmann.
Um Druck auf den Koalitionsausschuss auszuüben, demonstrierten am Samstag nach Veranstalterangaben rund 160.000 Atomkraftgegner in 21 Städten. Allein in Berlin zogen 25.000 Menschen vor die CDU-Zentrale. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderte am Sonntag bei einer Besetzung des Brandenburger Tors einen schnellen Atomausstieg. Die Aktivisten kletterten nach Angaben einer Greenpeace-Sprecherin auf das Wahrzeichen und entrollten ein Banner mit der Aufschrift "Jeder Tag Atomkraft ist einer zu viel".