Interne Marktanalyse In EU fehlen mehr als 100 Milliarden Euro an Atomrückstellungen

AKW Grohnde (Archivbild): 89 AKW außer Betrieb, 3 abgebaut
Foto: Julian Stratenschulte/ dpaDie Europäische Union ist für die anstehende Stilllegungswelle von Atomkraftwerken nicht gut gerüstet. Das geht aus einer Marktanalyse hervor, die EU-Energiekommissar Miguel Arias Cañete am 24. Februar präsentieren will. Das Papier wurde im Rahmen des sogenannten Nuclear Illustrative Programms erstellt, einer alle paar Jahre stattfindenden Bestandsaufnahme zum Zustand der Atomkraft in der EU.
In dem Dokument, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, werden die Kosten für die Reduktion der Atomkraft in Europa bis 2050 mit 268 Milliarden Euro veranschlagt. 126 Milliarden Euro fallen demnach für den Rückbau der Meiler an, weitere 142 Milliarden Euro für die Entsorgung des Atommülls. Die Unternehmen hätten aber erst Rückstellungen in Höhe von 150 Milliarden Euro gebildet.
Dem EU-Bericht zufolge gibt es in 14 Mitgliedstaaten derzeit 131 Atomkraftwerke mit einer Kapazität von rund 121 Gigawatt. Im Durchschnitt seien die Meiler 30 Jahre alt. 89 AKW seien derzeit außer Betrieb. Abgebaut seien aber nur drei Reaktoren in Deutschland.
Neben den Rückbaukosten fallen für die AKW-Betreiber noch weitere Ausgaben an. Für die bestehenden Anlagen erwartet die EU-Kommission bis zum Jahr 2050 Sicherheitsinvestitionen in Höhe von bis zu 50 Milliarden Euro.
Kein Ende der Atomkraft in Sicht
Mit einem Ende des Nuklearzeitalters rechnet die EU-Kommission vorerst nicht. Zwar werde die AKW-Kapazität bis 2025 zunächst sinken, dann aber ab 2030 wieder steigen, da die Laufzeiten mancher Meiler verlängert werden dürften und noch immer neue Atomkraftwerke gebaut werden. Neue Projekte seien derzeit in 14 Ländern in Planung.
Insgesamt ist die EU dem Bericht zufolge ein gewaltiger Urankonsument. Ihr Bedarf an dem Rohstoff macht demnach etwa ein Drittel des weltweiten Bedarfs aus. 27 Prozent des in der EU verbrauchten Urans kommen aus Kasachstan, 18 Prozent aus Russland, 15 Prozent aus dem Niger, 14 Prozent aus Australien und 13 Prozent aus Kanada.
Das Büro des EU-Energiekommissars äußerte sich auf Nachfrage nicht zu der Finanzierungslücke. Eine Sprecherin verwies darauf, dass die Ergebnisse des Nuclear Illustrative Programms später präsentiert werden sollten.
"Die Kostenschätzungen sind blauäugig"
Der Fraktionsvize der Grünen hält die Kostenschätzung der EU-Kommission für zu niedrig. "Die Kostenschätzungen und Rückstellungen der AKW-Betreiber sind blauäugig", sagt Oliver Krischer. Er gehe davon aus, dass sich allein die Atomabwicklungskosten in Frankreichauf rund 200 Milliarden Euro belaufen dürften.
Die atompolitische Sprecherin der Grünen sagte, Europas Steuerzahler sollten anscheinend mit vielen Milliarden Euro belastet werden. Das interne Dokument zeige, dass Atomkraft auch künftig ohne Subventionen nicht auskomme, kritisiert Sylvia Kotting-Uhl.
Das Thema Rückstellungen wird am Freitag auch deutsche Experten beschäftigen. Dann tagt die sogenannte Atomkommission, in der Politiker, Wirtschaftsvertreter, Gewerkschafter und Professoren sitzen. Das Gremium wurde im vergangenen Jahr eingesetzt, um eine langfristige Finanzierung für den Atomausstieg zu finden. In Deutschland soll das letzte Atomkraftwerk 2022 vom Netz gehen. Die Milliardenkosten für den Ausstieg müssen die vier Energieversorger E.on, RWE, EnBW und Vattenfall tragen; doch zuletzt hatte es Zweifel gegeben, ob sie den Ausstieg allein finanzieren können.
Nach SPIEGEL-Informationen zeichnet sich in den Verhandlungen der Kommission mit den deutschen Atomkonzernen ein Kompromiss ab. Demnach soll die Verantwortung für den Rückbau und die Entsorgung der Atomkraftwerke bei den Konzernen bleiben. Für die Kosten soll ein milliardenschwerer Fonds gebildet werden. Offen war zuletzt noch, wie hoch die Einzahlungen der Konzerne sein sollen.