Atomausstieg Neue Kommission fürchtet Milliardenkosten für Steuerzahler

Eine neue Kommission soll eine Lösung für die Finanzierung des Atomausstiegs finden. Doch viele Mitglieder sind schon jetzt ernüchtert: Sie rechnen damit, dass es allenfalls noch um Schadensbegrenzung für die Steuerzahler geht.
Atomkraftwerk Grohnde: Milliardenkosten bis Ende des Jahrhunderts

Atomkraftwerk Grohnde: Milliardenkosten bis Ende des Jahrhunderts

Foto: Julian Stratenschulte/ dpa

Es soll ein strahlender Empfang werden, zumindest im übertragenen Sinne: An diesem Donnerstag trifft sich im altehrwürdigen Eichensaal des Bundeswirtschaftsministeriums eine neue Expertenkommission zu ihrer ersten Sitzung. Ihr Job ist es, eine Finanzierung für das Ende des deutschen Atomzeitalters zu finden. Draußen werden Aktivisten derweil ein symbolisches nukleares Endlager errichten.

Die Demonstranten haben ein zentrales Anliegen: Geld. Denn die Regierung hat zwar den Atomausstieg angeordnet, doch nun weiß sie nicht so recht, wer ihn bezahlen soll. Laut Gesetz müssten die vier großen Energieversorger ran, die mit den Atommeilern schließlich viele Milliarden verdient haben. Doch die Konzerne haben ihre Geschäftsmodelle nicht schnell genug an die Energiewende angepasst und durchleiden nun eine existenzielle Krise.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sorgt sich, dass die Steuerzahler am Ende auf Milliardenkosten sitzenbleiben - und die Regierung dafür abstrafen. Also hat Merkel besagte Atomkommission einberufen, in der Politiker, Wirtschaftsvertreter, Gewerkschafter und Professoren sitzen. Das bunt gemischte Gremium soll einen gesellschaftlichen Konsens über die Finanzierung des Ausstiegs schaffen.

Merkels neue Atombotschafter aber sind schon zum Start ihrer Kommissionszeit ziemlich desillusioniert. Die meisten glauben, dass der Bürger am Ende draufzahlt, egal wie sehr man sich anstrengt. "Ich kenne bislang kein Szenario, das den Steuerzahler ganz verschont", sagte ein Mitglied des Gremiums. "Die AKW abreißen, das schaffen die Konzerne finanziell wohl noch", sagt ein anderes Mitglied. "Ich frage mich aber, wo das Geld herkommen soll, die radioaktiven Trümmer zu entsorgen."

Unberechenbare Kosten, unsichere Geldreserven

Besagte Trümmer werden teils noch Millionen Jahre strahlen und eine Bedrohung für die Umwelt und die Gesundheit der Bürger sein. Doch ein Endlager für solch hochradioaktive Stoffe muss erst noch gefunden werden. Bis dahin müssen die Konzerne den strahlenden Schrott auf ihrem Firmengelände hinter meterdicken Mauern zwischenlagern. Sollte sich die Regierung irgendwann auf einen Standort einigen, muss das Endlager erst noch gebaut werden, und die radioaktiven Reste müssen dort hingebracht werden.

All das - und noch vieles mehr - verursacht Kosten, sogenannte Ewigkeitskosten. Und die sind, weil sie sich über einen langen Zeitraum erstrecken, mit großen Unsicherheiten behaftet. Wie teuer wird die Suche nach einem Endlager letztlich wirklich? Welche Probleme treten beim Rückbau der AKW noch auf? Bis 2099 reichen die Kostenkalkulationen der Experten - unklar, ob es E.on, RWE  , EnBW   und Vattenfall   dann überhaupt noch gibt.

Ein ebenso großer Unsicherheitsfaktor sind die Reserven, die die vier Energiekonzerne für den Atomausstieg gebildet haben. Gut 38 Milliarden Euro haben sie insgesamt zurückgelegt, doch das ist erst einmal nur ein Bilanzposten. Denn das Geld steckt zum Beispiel in Beteiligungen an Kohlekraftwerken, die durch die wachsende Ökostromkonkurrenz immer unrentabler werden. Fragt sich, was solche Beteiligungen wirklich noch wert sind, wenn die Konzerne sie irgendwann auflösen, um offene Rechnungen zu zahlen.

Die Bundesregierung hat kürzlich in einem sogenannten Stresstest ergründen lassen, ob die Rückstellungen der Konzerne reichen. Dabei kam heraus, dass es schlimmstenfalls eine Lücke von bis zu 30 Milliarden Euro geben könnte - was die Konzerne und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) öffentlich bestritten. Nichtöffentlich glauben indes auch viele in Gabriels Ministerium nicht, dass die Reserven der Unternehmen reichen.

Quadratur des Kreises

Die neue Atomkommission hat nun einen Arbeitsauftrag, der einer Quadratur des Kreises gleicht: Sie soll Teile des noch übrigen Konzernvermögens an einen sicheren Ort verfrachten. Doch sie darf die wankenden Energieriesen bei diesem Manöver nicht überfordern: Sie könnten sonst vollends umkippen. Dann müssten die Steuerzahler die Kosten des Ausstiegs größtenteils alleine stemmen.

In dem Gremium gibt es zwei Fraktionen. Da sind einerseits die Industriefreunde, die darauf dringen, die Atomrückstellungen in eine Stiftung zu überführen. Die Konzerne sollen einmal zahlen - das war's dann, finden sie. Falls die Ewigkeitskosten steigen, liege das daran, dass sich die Politik mit der Endlagersuche so ewig Zeit lasse.

Andererseits sitzen in der Kommission eine Reihe Umweltschützer, die die Atomrückstellungen in einen öffentlichen Fonds überführen wollen. Sie wollen die Konzerne verpflichten, später notfalls Geld nachzuschießen. Eine größere Mithaftung des Staates beim Atomausstieg sei gesellschaftlich nicht zu vermitteln, argumentieren sie. Schließlich hätten E.on, RWE und Co. seit den Fünfzigerjahren geschätzt 165 Milliarden Euro Subventionen erhalten und in den vergangenen 15 Jahren mehr als 90 Milliarden Euro an Gewinnen eingefahren.

Dass sich eine Seite letztlich durchsetzt, ist eher unwahrscheinlich. Beide Fraktionen in der Atomkommission sind ungefähr gleich stark, hinzu kommen einige Unentschiedene. Das Gremium soll seine Beschlüsse aber mit einer Zweidrittelmehrheit fällen. Entsprechend kontrovers dürfte es in der Kommission zugehen. Die Frist für den Abschlussbericht wurde bereits vorsorglich von Januar auf Ende Februar verlängert.

Bis dahin sollen noch zahlreiche Möglichkeiten erwogen werden, wie man dem Steuerzahler die Last des Atomausstiegs doch noch ersparen könnte. Dass sich eine solche Lösung findet, glaubt derzeit aber kaum einer. "Es kann letztlich wohl nur um Schadensbegrenzung gehen", sagt ein Mitglied des Gremiums.

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