Umstrittenes Gutachten EU-Experten erklären Atomkraft zur grünen Geldanlage

Kernkraftwerk Grohnde in Niedersachsen (2014)
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Der wissenschaftliche Dienst der EU-Kommission hält Atomenergie für nachhaltig. Das geht aus einem internen Gutachten hervor, das dem SPIEGEL vorliegt. Es gebe »keine wissenschaftlich fundierten Belege dafür, dass die Atomenergie die menschliche Gesundheit oder die Umwelt stärker schädigt als andere Technologien zur Stromerzeugung«, heißt es in dem Dokument der sogenannten Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) der Kommission. Die Lagerung von Atomabfall tief unter der Erde sei »angebracht und sicher«.
Das Gutachten, über das zunächst die Nachrichtenagentur Reuters berichtet hatte, gilt als Grundlage für eine Art Öko-Ampel der EU-Kommission – Brüssel selbst spricht von einer Taxonomie, die ab 2022 in allen EU-Staaten gelten soll.
Die Kommission will darin festlegen, welche Technologien nachhaltig sind und welche nicht – unter anderem damit Anleger und Investoren besser entscheiden können, worein sie ihr Geld stecken. Die Kernenergie würde durch eine Klassifizierung als nachhaltig deutlich aufgewertet.
Das JRC-Gutachten war im Juli 2020 in Auftrag gegeben worden . Erst vier Monate vorher hatte ein anderer Expertenrat der EU-Kommission explizit davon abgeraten , dass Atomemergie in der EU-Taxonomie als grüne Geldanlage auftaucht.
Expertenrat unter alter EU-Kommission riet von Atomkraft ab
Die EU-Kommission lässt die Expertise nun noch einmal prüfen. Zwei weitere Experten-Ausschüsse sollen sich in den kommenden drei Monaten mit dem Gutachten befassen, ehe die Kommission eine finale Entscheidung trifft.
Die Rolle der Atomenergie in Europa ist seit Langem umstritten. Befürworter verweisen auf den sehr niedrigen Ausstoß von Treibhausgasen, Gegner auf Sicherheitsrisiken und das ungelöste Problem, wie man den radioaktiven Abfall lagert.
Die atompolitische Sprecherin der Grünen in Deutschland wirft den Gutachtern der JRC Befangenheit vor. »Von einer Organisation, die direkt von der Europäischen Atomgemeinschaft gefördert wird, konnte niemand einen unabhängigen Bericht zu den Gefahren der Atomkraft erwarten«, sagt Sylvia Kotting-Uhl. Die Bundesregierung müsse gegen das Gutachten Protest einlegen und rasch eine eigene Expertise in Auftrag geben.
Die Gemeinsame Forschungsstelle ließ eine Bitte um Stellungnahme zu den Vorwürfen der Grünen unbeantwortet.