EU-Prognose Europas Atomstrom kommt bald aus Uraltmeilern

Dutzende AKW in Europa sollen nach dem Willen ihrer Betreiber weit länger laufen als geplant. Laut einer EU-Prognose werden solche Uraltmeiler 2030 gut die Hälfte des Atomstroms produzieren.
Belgisches Atomkraftwerk Tihange

Belgisches Atomkraftwerk Tihange

Foto: Oliver Berg/dpa

Zahlreiche Atomkraftwerke in der Europäischen Union dürften weit länger laufen als geplant. Das geht aus einer Marktanalyse der EU-Kommission zu Kernenergietrends und den damit verbundenen Investitionen hervor. Die finale Version des Dokuments, die bald öffentlich gemacht werden soll, liegt dem SPIEGEL vor.

Der Analyse zufolge müssten rund 90 Prozent der noch laufenden 129 Kernreaktoren in der EU eigentlich bis zum Jahr 2030 vom Netz gehen. Viele Unternehmen hätten jedoch "ihre Absicht bekundet, ihre Kernkraftwerke länger zu betreiben, als es nach der ursprünglichen Auslegung vorgesehen war", heißt es in dem EU-Papier.

"Je nach Reaktormodell und -alter gehen die nationalen Regulierungsbehörden davon aus, dass sich die Lebensdauer der Kraftwerke durchschnittlich um 10 bis 20 Jahre verlängert", schreibt die Kommission weiter. In dem EU-Papier findet sich zudem eine Grafik, laut der im Jahr 2030 mehr als die Hälfte des Atomstroms in der EU von Meilern produziert wird, deren Laufzeit verlängert wurde.

Die EU-Prognose dürfte in Deutschland mit Sorge registriert werden. In Belgien, Frankreich, der Schweiz und Tschechien stehen schon jetzt mehrere uralte, aus deutscher Sicht eher schlecht gesicherte Atomkraftwerke - teils nur wenige Kilometer von der Grenze zur Bundesrepublik entfernt. Noch längere Laufzeiten dürften die Sicherheit solcher Reaktoren nicht unbedingt erhöhen.

Die EU-Kommission betont in ihrem Papier, dass die nukleare Sicherheit ihre "oberste Priorität" sei. Laufzeitverlängerungen bei AKW würden oft nur genehmigt, wenn die Sicherheit der Anlage zuvor verbessert würde. "Auf der Grundlage der von den Mitgliedstaaten übermittelten Informationen werden bis 2050 schätzungsweise 45 bis 50 Milliarden Euro in den Langzeitbetrieb bestehender Reaktoren investiert", heißt es in dem EU-Papier.

Generell seien kontinuierliche Investitionen in Forschung und Entwicklung von Atomreaktoren erforderlich, betont die EU-Kommission. Nur so könne "die EU ihre weltweite Führungsposition und Exzellenz in den Bereichen Technologie und Sicherheit behaupten".

Das Umweltschutzlager sieht solche Ambitionen kritisch. Die Pläne der EU-Kommission zeigten, "dass sie aus der Atomkatastrophe von Fukushima und explodierenden Atomkosten in Europa nichts gelernt hat", sagt Sylvia Kotting-Uhl, die atompolitische Sprecherin der Grünen. Die Bundesregierung müsse sich für ein europäisches Regelwerk einsetzen, das eine AKW-Laufzeit von mehr als 40 Jahren untersagt.

Die Marktanalyse der EU-Kommission hat unter anderem das Ziel, die Zivilgesellschaft an der Diskussion über die Entwicklung der Atomenergie in der EU zu beteiligen. Die Kommission hat für ihre Analyse zahlreiche öffentliche Daten zusammengetragen und zusätzlich Fragebögen an Kernkraftswerksbetreiber in der EU versandt.

Von dem Papier war vor rund einem Jahr ein erster Entwurf  erschienen. Das dem SPIEGEL nun vorliegende Dokument ist die finale, vom Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU-Mitgliedstaaten gebilligte Version. Sie ist mit dem Entwurf von April 2016 weitgehend identisch. Der Aspekt der vielen Laufzeitverlängerungen bei Atomkraftwerken in der EU ist in Deutschland bislang wenig thematisiert worden.

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