Attacke auf Pharmaindustrie Rösler startet das erste Reförmchen

Minister Rösler gibt den Brachialreformer: Der FDP-Newcomer im Kabinett knöpft sich die Pharmaindustrie vor. Zwei Milliarden Euro will er bei den Konzernen sparen. Doch Experten schätzen das Potential dreimal so hoch - SPIEGEL ONLINE analysiert, was von dem Plan wirklich zu halten ist.
Attacke auf Pharmaindustrie: Rösler startet das erste Reförmchen

Attacke auf Pharmaindustrie: Rösler startet das erste Reförmchen

Foto: DDP

Berlin - Wenn es noch einer Erklärung bedürfte, wie sich die Pharmakonzerne die Taschen füllen - der "Arzneimittel-Report" liefert sie regelmäßig.

Da schreibt die Fachpublikation, die sich mit der Pharmaindustrie so kritisch auseinandersetzt wie keine andere, im vergangenen Herbst über ein Medikament, das unter anderem das Risiko eines Herzinfarkts reduzieren soll. 150 Millionen Euro Umsatz mache der Hersteller damit. Andere Präparate mit gleicher Wirkung, sogenannte Generika, kosteten nur einen Bruchteil. Doch das Medikament habe gegenüber diesen Generika keinerlei Zusatznutzen - was der Hersteller zunächst sorgfältig verschwiegen habe. Eine Studie von 2006 hat demnach erst 2008 den Weg an die Öffentlichkeit gefunden.

Pharmakonzerne

Fälle wie diesen gibt es immer wieder - und sie werfen ein Schlaglicht auf die Preistreiberei der . Selbst im Krisenjahr 2009, in dem viele Branchen unter der Rezession litten, konnten sie ihre Rendite kräftig steigern, die Kosten für Arzneimittel stiegen um 5,2 Prozent.

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP)

Die Arzneimittelindustrie erweist sich damit als entscheidender Bremser, wenn es darum geht, die explodierenden Kosten im Gesundheitswesens in den Griff zu bekommen. Grund genug für , sich die Branche vorzuknöpfen. Sein Eckpunktepapier soll dazu beitragen, die Kosten für die Krankenkassen um bis zu zwei Milliarden Euro zu senken - was theoretisch zu einer Beitragssenkung um 0,2 Prozentpunkte führen könnte.

Ist das Konzept geeignet, die Gesundheitskosten zu begrenzen - oder wird es nichts bringen? SPIEGEL ONLINE beantwortet die wichtigsten Fragen:

Wie sehen Röslers Pläne genau aus?

Der dreiseitige Reformvorschlag, der SPIEGEL ONLINE vorliegt, sieht vor, die Pharmafirmen zu Preissenkungen zu zwingen:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen

  • Die Krankenkassen sollen die Preise für neue patentgeschützte Medikamente frei aushandeln können.
  • Die Pharmakonzerne sollen ihre Preiswünsche mit einer überprüfbaren Analyse von Wirtschaftlichkeit und gesundheitlichem Nutzen belegen.
  • Kommt es in einer Frist von maximal zwölf Monaten nicht zur gütlichen Einigung, wird das halbstaatliche (IQWiG) eingeschaltet, um die Höchstpreise festzulegen.
  • Um kurzfristig Kostensenkungen zu ermöglichen, dürfen die Kassen für die übrigen Medikamente Zwangsrabatte von bis zu 20 Prozent verlangen. Weitere Teuerungen können sie ausschließen.

Einige Schwachpunkte fallen bei der Lektüre des Thesenpapiers sofort auf. So können die Pharmakonzerne bei neuen Medikamenten, die das exklusive Alleinstellungsmerkmal im Markt für sich beanspruchen, auch künftig den Ausgangspreis für die Verhandlungen mit den Krankenkassen frei festlegen. Es ist also anzunehmen, dass sie die zu erwartenden Abschläge zuvor auf den Preis aufschlagen. "Das ist ähnlich wie bei Teppichhändlern. Wenn ich 100 Prozent vom Preis haben will, schlage ich 20 Prozent drauf und lasse mir die 20 Prozent wieder abhandeln", sagt Karl Lauterbach, der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Auch die geplante Umkehr der Beweislast für den Zusatznutzen des Medikaments ist bei genauerer Betrachtung eher ein Rückschritt. Statt eines unabhängigen Gutachters hat es plötzlich der Antragsteller in der Hand, den Nutzen seines Medikaments in den rosigsten Farben darzustellen - und womöglich unliebsame Ergebnisse herauszufiltern.

Welchen Einfluss die Pharmakonzerne auf solche Gutachten nehmen, ist nicht zuletzt an dem eingangs erwähnten Beispiel des Blutfettsenkers Inegy zu erahnen.

Sind Arzneimittel wirklich zu teuer?

Eindeutig ja. In keinem anderen europäischen Land kann die Arzneimittelindustrie die Preise so frei festsetzen. Denn hierzulande gilt das Prinzip: Jedes zugelassene Medikament müssen die Kassen auch bezahlen. Und in der Regel bestimmt die Industrie, wie viel das ist.

Im europäischen Ausland gilt Deutschland wegen dieser Einzigartigkeit als Referenzmarkt - zur Freude der dortigen Behörden. In Frankreich zum Beispiel wartet man gern, welchen Preis die Hersteller in Deutschland den Kassen diktieren. Dort hat die Pharmaindustrie dann wenig zu melden - sogenannte Verhandlungen laufen vielmehr nach dem Prinzip: Preis in Frankreich = deutscher Preis minus 20 Prozent.

Das zentrale Problem ist seit langem bekannt und wurde auch vom jüngsten "Arzneimittel-Report" bestätigt. Experten verweisen auf internationale Preisvergleiche, die Sparpotentiale von sechs Milliarden Euro für Deutschland offenlegen. Konkret: Wenn dieser Betrag gespart würde, könnte der Kassenbeitrag für die Versicherten um 0,5 Prozentpunkte sinken.

Mehrere zehntausend Euro für ein Medikament

Zwar wurde in den vergangenen Jahren dank Nachahmermedikamenten (Generika) viel Geld gespart. Doch am effizientesten könnte man die Kosten bei den Originalpräparaten drücken: Sie werden relativ selten verordnet, trotzdem entfällt auf sie das Gros der Ausgaben. Hochinnovative Biotech-Medikamente, die keine Massenprodukte sind, gelten inzwischen als Kostentreiber Nummer eins. Sie verursachen zum Teil Kosten von mehreren zehntausend Euro pro Jahr.

Wegen der Alterung der Gesellschaft birgt die Ausgabensteigerung bei Arzneien mittelfristig die größte Sprengkraft für das gesamte Gesundheitssystem. Die Krankenkassen wollen deshalb erreichen, dass kein Mittel mehr ohne vorherige Verhandlungen auf den Markt kommen darf - so wie es in vielen Ländern seit langem üblich ist. So gesehen stellt Röslers Initiative einen Fortschritt dar. Doch ob sich die Kassenvertreter gegen die mächtige Pharmalobby durchsetzen können, die gern mit dem medizinischen Fortschritt argumentiert, ist zweifelhaft. Es fehlt eine Instanz, die den Zusatznutzen von neuen Medikamenten unabhängig kontrolliert.

Eine solche Instanz könnte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) darstellen. Doch auch nach jahrelanger Diskussion um die richtigen Methoden zur Kosten-Nutzen-Bewertung ist man sich nicht wirklich einig. Nach Röslers Konzept sollen die IQWiG-Wissenschaftler erst aktiv werden, wenn die Pharmakonzerne die besondere Wirksamkeit eines neuen Präparats allzu übertrieben dargestellt haben.

Hinzu kommt ein wichtiger Personalwechsel im IQWiG: Gerade erst hat Rösler den bisherigen Institutschef Peter Sawicki aus dem Amt gedrängt. Sawicki galt als entschiedener Gegner der Pharmabranche. Ohne ihn dürfte der Kampf gegen die Industrie nicht gerade einfacher werden.

Wie viel Geld lässt sich bei Arzneimitteln sparen?

Sehr viel Geld. Im vergangen Jahr stellten die Ärzte allein für die gesetzlich Versicherten Rezepte im Wert von 29,6 Milliarden Euro aus. Das macht knapp 20 Prozent des gesamten Budgets der Kassen aus.

Laut "Arzneimittel-Report" ließen sich davon gut 3,4 Milliarden einsparen, ohne dass die Versorgungsqualität leiden würde. Dabei gilt die Formel: eine Milliarde Einsparung ermöglicht eine Reduzierung der Beitragssätze um 0,1 Prozentpunkte. Jeder Versicherte könnte also 0,34 Prozent seiner monatlichen Zahlung an die Krankenkasse sparen.

Wieso schont Rösler die Generika-Hersteller?

Dank der Nachahmerpräparate (Generika) konnten im Gesundheitswesen bislang erhebliche Beträge eingespart werden. Um die 380 Millionen Euro waren allein die unter der Großen Koalition eingeführten Rabattverträge zwischen Arzneimittelherstellern und Krankenkassen wert.

Nach Überzeugung der Union wurde die Ersparnis aber mit erheblichen Kosten für Verwaltung und Anwälte erkauft. Zudem bestehe die Gefahr, dass durch die Verträge, die zu einem "enormen" Druck auf die Preise geführt hätten, immer mehr mittelständische Generika-Hersteller vom Markt verdrängt würden, heißt es in einem Arbeitspapier der Unionsfraktion. Am Ende würden nur wenige Anbieter überleben - und die Preise wieder steigen.

Den Preisdruck will aber auch Rösler bremsen - etwa durch Abschaffung der Klausel, dass Apotheken Medikamente, die sie im Ausland billiger bekommen können, auch von dort beziehen müssen. In Extremfällen sind auf diese Weise Einsparungen von bis zu 80 Prozent möglich. Für SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach der falsche Weg. "Auch bei den Generika-Herstellern ließe sich noch Einiges sparen, wenn auch nicht so viel wie bei den Forschenden Pharma-Unternehmen."

Was passiert mit den Apotheken?

Der Berliner Stadtteil Wedding gilt nicht gerade als Einkaufsbrennpunkt. Hier gibt es deutlich weniger Geschäfte als anderswo, hochpreisige Boutiquen oder exklusive Schmuckgeschäfte sucht man vergeblich. Nur der Betrieb von Apotheken scheint sich zu lohnen: Allein am Leopoldplatz kann der Patient zwischen sechs Häusern wählen.

Auch in anderen Regionen mangelt es nicht an Apotheken. Im vergangenen Jahr wurden deutschlandweit 21.570 gezählt - deutlich mehr als die Autofahrernation Tankstellen hat (14.506). Und während die Zahl der Tankstellen seit Jahren zurückgeht, weil der Markt bereinigt wird, ist die der Apotheken konstant. Ihre Zahl sank von 1999 bis 2008 nur um 20 Stück.

Die Entwicklung erstaunt auf den ersten Blick, klagen die Apotheker doch seit langem über ihre knappen Verdienste. Tatsächlich aber betrugen die Umsätze je Apotheke 2007 im Schnitt rund 1,7 Millionen Euro. Derzeit bekommen Apotheker bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln immerhin bis zu drei Prozent des Einkaufspreises an Provision. Und eine sogenannte Dienstleistungspauschale von maximal 8,10 Euro. Bei den rezeptfreien Medikamenten können sie ihre Verkaufspreise sogar selbst festsetzen - und damit ihren Gewinn steuern.

FDP und Union schützen die Apotheken

Im Vergleich zu anderen Leistungsträgern des Gesundheitswesens hält Lauterbach die Apotheker denn auch für eindeutig überbezahlt. "Es gibt nur wenige, die wirklich substantiell beraten", erklärt er. Die meisten dagegen erledigten die Arbeit eines qualifizierten Verkäufers.

Die Zulassung des Internethandels oder von Versandapotheken könnte den Wettbewerb beflügeln und entsprechenden Druck auf die Preise ausüben, glaubt der Gesundheitsexperte, der sich mit dieser Meinung auch in der SPD in der Minderheit befindet. Den besten Schutz bekommen die Apotheker allerdings nach wie vor von FDP und Union.

Vor allem die stets Marktwirtschaft predigenden Liberalen gehören zu den größten Beschützern der Branche. Nur Pharmazeuten dürfen Apotheken besitzen, und zwar maximal vier. Ketten wie in anderen Ländern sind nicht erlaubt.

Wer dies ändern will, bekommt von der Apothekerlobby schnell Warnungen über angeblich "ruinösen Wettbewerb" zu hören, "unter dessen Folgen auch die Patienten zu leiden haben". Nur durch die jetzige Regelung sei die Versorgung der Bevölkerung auf hohem Niveau gesichert.

Experten sehen das anders. "Studien zeigen, dass in Ländern mit Apothekenketten weder die Qualität der Beratung abnimmt noch die Arzneimittelsicherheit gefährdet ist - und auch nicht die Präsenz in dünn besiedelten Gebieten geringer wird", sagt Gesundheitsökonom Jürgen Wasem.

Die entscheidende Frage ist, ob die Preise für Arzneimittel sinken würden, wenn in Deutschland Apothekenketten erlaubt wären. Sicher ist das nicht. Aber wahrscheinlich, denn dann dürften die großzügigen Margen des Großhandels zurückgehen oder sogar ganz entfallen, weil die Ketten direkt mit den Herstellern verhandeln. Die Konkurrenz würde außerdem dazu führen, dass die Apotheker womöglich auf einen Teil ihrer Beratungspauschale verzichten.

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