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Bilanz von Sport-Events: Teure Stadien ohne Nutzen

Foto: PAULO SANTOS/ REUTERS

Proteste gegen Fußball-WM Wut auf die Weltmeister der Verschwendung

In Brasilien gehen Hunderttausende gegen das politische System auf die Straße. Entzündet haben sich die Proteste an den Kosten für die Fußball-WM - aus gutem Grund. Denn ein Blick auf die jüngsten großen Turniere zeigt: Meist werden dort viele Milliarden an Steuergeldern verschwendet.

Hamburg - Ein Freudenfest sollte der Confederations Cup werden, ein Vorgeschmack auf die noch viel größere WM-Party im kommenden Jahr. Doch in den Gesichtern steht blanke Wut: Zu Zehntausenden gehen die Brasilianer seit Tagen auf die Straße, allein in Rio waren es am Montag rund 100.000. "Wir brauchen die Weltmeisterschaft nicht", hat eine junge Frau auf ihr Plakat geschrieben.

Zwar richten sich die Proteste nicht in erster Linie gegen die Weltmeisterschaft, sondern gegen das ganze System, unter dem Brasilien leidet: staatliche Misswirtschaft, verrottete Schulen und Krankenhäuser, extreme Ungleichheit, vor allem aber die Korruption. In den Jahren des Aufschwungs konnte der soziale Aufstieg vieler Millionen Brasilianer diese negativen Seiten überdecken. Doch 2012 wuchs die Wirtschaft kaum noch, das Geld verlor 6,5 Prozent an Wert. Der Boom ist vorbei.

Daher ist es kein Zufall, dass sich die Proteste ausgerechnet während des Confederations Cup als Generalprobe für die Weltmeisterschaft 2014 Bahn brechen. 15,5 Milliarden Dollar wird das Schwellenland für die Fußball-Sause ausgeben. Solche Großturniere sind berüchtigt für haarsträubende Fehlinvestitionen, die mit ihnen einhergehen. Das zeigt bereits ein Blick auf die beiden vergangenen Fußball-Großevents, die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika und die Europameisterschaft zwei Jahre später in Polen und der Ukraine:

  • Für die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika wollte Kapstadt eigentlich das bestehende Athlone-Stadion kostengünstig aufmöbeln. Doch der Weltfußballverband Fifa und die Regierung in Pretoria wollten einen Neubau. So kam es auch: Für 536 Millionen Dollar wurde das Cape-Town-Stadion gebaut, 55.000 Plätze, acht WM-Spiele fanden darin statt. Seitdem spielt der örtliche Fußballclub etwa zehnmal im Jahr vor rund 4000 Zuschauern, den Rest des Jahres ist das Stadion meist ungenutzt und kostet noch einmal viele Millionen an Unterhalt.

  • Auch in Durban entstand ein neues Stadion mit rund 52.000 Plätzen für 380 Millionen Dollar. Hier zieht der lokale Fußballclub nur rund 3000 Fans an, auch hier kostet der Unterhalt jedes Jahr Millionen. In unmittelbarer Nähe hat der - wesentlich populärere - Rugby-Verein sein schuldenfreies eigenes Stadion mit ähnlicher Kapazität.
    Für Südafrika "stellt sich die Frage, weshalb diese Stadien überhaupt gebaut wurden", konstatiert eine Forschergruppe um Jens Alm vom dänischen Institut für Sportstudien.

  • Lemberg in der Ukraine bekam zur Fußball-EM 2012 ein neues Stadion und einen massiven Flughafenausbau. Das Stadion ist seitdem verwaist, und kaum ein Flugzeug steuert Lemberg an. 700 Millionen Euro an Steuergeldern sind futsch.

In Brasilien sind ähnliche Fehlinvestitionen absehbar, etwa in der Hauptstadt Brasília. Das neue Nationalstadion kostete statt der geplanten 275 Millionen Dollar am Ende mehr als 480 Millionen Dollar. Nach der WM werden die meisten der 72.000 Plätze jedoch höchstens noch für große Popkonzerte gebraucht: Der lokale Fußballclub spielt nur in der dritten Liga. "Zwei Kilometer von hier verfallen die Krankenhäuser und Schulen", sagt ein Student, der sich den Protesten vor dem Stadion angeschlossen hat. Und auch in Manaus, Natal oder Cuiabá fehlt es an hochklassigen Clubs, um die neuen Stadien nach der WM zu füllen.

Die Uefa verzichtet 2020 auf neue Stadien und Flughäfen

Der Umbau des Maracanã-Stadions in Rio de Janeiro kostet den Staat rund 500 Millionen Euro, mehr als doppelt so viel wie geplant. Zudem musste vor zwei Jahren Sportminister Orlando Silva wegen Bestechungsvorwürfen zurücktreten. Fifa-Präsident Joseph Blatter reagierte dennoch pampig auf die Proteste: "Sie wussten, um die WM zu bekommen, müssen Stadien gebaut werden." Die Uefa hat hingegen schon vor Monaten Konsequenzen gezogen: Die EM 2020 wird über den ganzen Kontinent ausgespielt. In der Krise müsse man keine Stadien und Flughäfen bauen, begründete Uefa-Chef Michel Platini die Entscheidung.

Bedeuten sportliche Großereignisse also zwangsläufig eine Milliardenverschwendung, deren Folgen der ärmere Teil der Bevölkerung ausbaden muss? Der amerikanische Ökonom Victor Matheson kommt in einer Untersuchung (PDF-Format)  tatsächlich zu dem Schluss, dass sie sich so gut wie nie rechnen - zumindest wenn man sie an den vorab oft optimistisch prognostizierten Zugewinnen bei Wachstum und Arbeitsplätzen misst. Selbst die Fußball-WM 2006 in Deutschland habe in diesen Bereichen nur sehr kleine Effekte gehabt. Allerdings seien die Deutschen nach dem Turnier nachweisbar zufriedener gewesen: "Die Weltmeisterschaft hat die Deutschen nicht reicher, aber anscheinend glücklicher gemacht."

Viele Effekte sind nur schwer zu beziffern

Damit weist Matheson auf die grundsätzliche Problematik derartiger Kosten-Nutzen-Rechnungen hin: Oft sind wichtige Effekte nur sehr schwer zu beziffern. Die WM 2006 war nicht nur eine große Party, die das Selbstbild vieler Deutschen verändert hat. Die ausgelassene, freundliche Stimmung und die perfekte Organisation bedeuteten auch einen enormen Imagegewinn im Ausland - und haben dort womöglich Investitionsentscheidungen beeinflusst.

Das Gleiche gilt für Südafrika: Allen Unkenrufen zum Trotz beeindruckte das Schwellenland die Welt mit einem reibungslosen Ablauf des Turniers - und bewies potentiellen Investoren Verlässlichkeit. Selbst bei einer konservativen Kosten-Nutzen-Rechnung halten einige das Turnier trotz der nun nutzlosen Stadien für einen Erfolg: 3,3 der rund 5,6 Milliarden Euro investierte Südafrika in Infrastruktur. Nun hat es bessere Straßen, und in Kapstadt und Johannesburg gibt es endlich einen gut organisierten öffentlichen Nahverkehr. Auch der Ökonom Andrew Zimbalist schrieb in einer Analyse für den Internationalen Währungsfonds : "Wenn korrekt geplant wird, kann das Ausrichten großer Veranstaltungen als Katalysator für den Aufbau moderner Verkehrs-, Kommunikations- und Sportinfrastruktur dienen."

Allerdings könnten die Politiker all diese Projekte auch ohne ein anstehendes sportliches Groß-Event in Auftrag geben, argumentiert Zimbalist weiter - und sich die überflüssigen Sportstätten sparen. Sie täten es nur meistens nicht. In einem Beitrag für die "New York Times"  konstatiert Zimbalist lapidar: "Wenn Städte einen Wirtschaftsschub auslösen wollen, gibt es bessere Wege, ihr Geld zu investieren."

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