Berechnung
So viel zahlen Sie bei einer SPD-Steuerreform drauf
Mehr Netto vom Brutto? Nicht mit der SPD: Die Sozialdemokraten wollen mehr ausgeben, aber weniger neue Schulden machen. Deshalb soll es für die meisten Bürger keine Steuersenkungen geben, Besserverdiener sollen sogar deutlich mehr zahlen. Aber wen treffen die Pläne wie stark? Ein Überblick.
SPD-Troika Steinbrück, Gabriel und Steinmeier: Steuererhöhung, die kaum jemand merkt
Foto: Maurizio Gambarini/ dpa
Hamburg - Die Steuerpolitik folgt oft einem tristen Dreisprung: Vor der Wahl gibt es das wohlige "Mehr Netto für alle"-Versprechen. Kaum ist die Regierung übernommen, inszenieren die Koalitionsparteien einen Kassensturz, der mieser ausfällt als angeblich erwartet. Und schließlich wird wortreich erklärt, dass die Steuern leider doch nicht gesenkt werden können - oder schlimmer noch: dass sie sogar steigen müssen.
Die SPD, bei dieser Übung ähnlich erfahren wie die Konkurrenz, wagt nun ein Experiment: Sie will die nächsten Bundestagswahlen mit der Ankündigung gewinnen
die Steuern für Gering- und Normalverdiener nicht zu senken,
sie für Besserverdiener aber zum Teil drastisch zu erhöhen.
"Wir machen keine Steuersenkungen und keine Politik auf Pump", heißt es in einem zehnseitigen Papier, das unter dem recht überdimensionierten Namen "Nationaler Pakt für Bildung und Entschuldung"
in dieser Woche vorgestellt wurde. Die SPD will nach einer möglichen Regierungsübernahme 2013 schnell Milliarden Euro mehr Geld für Bildung, Forschung und die Gemeinden bereitstellen - und gleichzeitig die Neuverschuldung so rasch wie möglich auf null reduzieren.
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Keine Miese mehr machen, aber deutlich mehr ausgeben: Das geht naturgemäß nur mit zusätzlichen Einnahmen. Die sollen auch durch die Kürzung von Subventionen und die Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers zusammenkommen. Vor allem hat die Partei aber drei Gruppen ausgemacht, bei denen sie sich ein paar Milliarden Euro pro Jahr besorgen will: Erben, Vermögende und Besserverdiener.
Die Erbschaftsteuer soll reformiert, die Vermögensteuer wieder erhoben und die Einkommensteuer erhöht werden. Wer viel hat, soll auch mehr geben - das ist ursozialdemokratisches Gedankengut.
Konkret sieht das Reformkonzept zur Einkommensteuer vor, dass sich für Singles mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von bis zu 64.000 Euro genauso wenig ändert wie für Verheiratete, die gemeinsam maximal 128.000 Euro versteuern müssen. Zwischen 64.001 und 100.000 Euro bei Alleinstehenden und 128.001 und 200.000 Euro bei Ehepaaren soll der Tarif dann nach und nach von 42 auf 49 Prozent ansteigen. Für jeden Euro zusätzlich wird also ein etwas höherer Steuersatz fällig.
Weil jeder Steuerzahler an der ein oder anderen Stelle noch Freibeträge geltend machen oder Ausgaben absetzen kann, ist die Zahl der Betroffenen allerdings noch geringer, als es die Pläne schon suggerieren. Das zeigt eine Auswertung des Ökonomen Frank Hechtner von der Freien Universität Berlin für SPIEGEL ONLINE. Wirklich draufzahlen müssen bei der SPD nur Singles, die mehr als 7000 Euro brutto pro Monat verdienen und Ehepaare, die über 12.500 Euro im Monat an Einkünften erzielen.
Mehrbelastung durch die SPD-Steuerpläne - Singles*
Monats-
einkommen
Nettolohn 2011 (in Euro)
Abgaben 2011 (in Prozent)**
Nettolohn SPD (in Euro)
Abgaben SPD (in Prozent)**
Monatliche Mehrbelastung SPD gegenüber 2011 (in Euro)
1000
778
22,2
778
22,2
0
3000
1874
37,5
1874
37,5
0
5000
2863
42,7
2863
42,7
0
6000
3372
43,8
3372
43,8
0
7000
3929
43,9
3917
44,1
13
8000
4486
43,9
4437
44,5
50
9000
5043
44
4932
45,2
111
10.000
5600
44
5415
45,9
185
15.000
8384
44,1
7830
47,8
554
20.000
11.169
44,2
10.245
48,8
924
*Steuerklasse I, keine Kinder, gesetzlich versichert Beitragsbemessungsgrenze West
**Steuern und Sozialabgaben, ohne Kirchensteuer
Zahlen gerundet
Mehrbelastung durch die SPD-Steuerpläne - Verheiratete*
Monats-
einkommen
Nettolohn 2011 (in Euro)
Abgaben 2011 (in Prozent)**
Nettolohn SPD (in Euro)
Abgaben SPD (in Prozent)**
Monatliche Mehrbelastung SPD gegenüber 2011 (in Euro)
2500
1854
25,9
1854
25,9
0
5000
3319
33,6
3319
33,6
0
7500
4898
34,7
4898
34,7
0
10.000
6350
36,5
6350
36,5
0
12.500
7743
38,1
7735
38,1
8
15.000
9135
39,1
9054
39,6
81
20.000
11.920
40,4
11.504
42,5
415
*Steuerklasse III/V, zwei Kinder, Ehepartner erzielt keine Einkünfte, gesetzlich versichert, Beitragsbemessungsgrenze West
**Steuern und Sozialabgaben, ohne Kirchensteuer
Zahlen gerundet
Mit anderen Worten: Die Pläne zielen nur auf den besser verdienenden Teil der Besserverdiener ab. Nach Zahlen der detaillierten Steuerstatistik von 2004 (eine aktuellere Version wird es erst im Herbst geben) haben nicht einmal zwei Prozent der Singles und weniger als drei Prozent der Ehepaare Einkommen in sozialdemokratisch relevanten Größenordnungen.
Wenn von Dutzenden Millionen Steuerzahlern nur ein paar Hunderttausend betroffen sind, kommt allerdings auch nur wenig zusätzliches Geld zusammen. Trotz der optisch saftigen Steuererhöhung rechnet die SPD gerade einmal mit fünf Milliarden Euro zusätzlichen Einnahmen. Im vergangenen Jahr summierte sich das Aufkommen aus der Lohn- und Einkommensteuer auf rund 160 Milliarden Euro. Der SPD-Zuschlag würde bei der nach der Mehrwertsteuer zweitwichtigsten Einnahmequelle des Staats also gerade einmal zu einem Plus von rund drei Prozent führen. Das ist durchaus an der Grenze zur Placebo-Politik.
Wer von der Steuererhöhung allerdings betroffen wäre, müsste von seinem Einkommen bis zu 49 Prozent an Abgaben leisten - also Steuern und Sozialbeiträge zusammengerechnet. Auch das zeigen die Auswertungen des Wirtschaftswissenschaftlers Hechtner. Addiert man dazu noch die Kirchensteuer, blieben der Crème de la Crème der Steuerzahler von einem zusätzlich verdienten Euro weniger als 50 Cent.
Die SPD plant somit durchaus ein steuerpolitisches "Zurück in die Zukunft". Unter der rot-grünen Regierung hatte sie den Spitzensteuersatz noch von 53 auf 42 Prozent abgesenkt. Damals gab es auch unter Sozialdemokraten zahlreiche Anhänger des ungeschriebenen "Leistung muss sich lohnen"-Steuergesetzes, nach dem eine Abgabenquote von mehr als 50 Prozent als demotivierend gilt.