Immobilienspekulanten in Berlin Die Entmieter

Das Geschäftsmodell ist so lukrativ wie zynisch: Mietshäuser kaufen, Bewohner verdrängen und die Wohnungen dann zum Verkauf anbieten. Besonders erfolgreich betreibt das eine süddeutsche Firmengruppe in Berlin. Der Widerstand wächst.
Wohnhaus Reichenberger Straße 55 in Berlin

Wohnhaus Reichenberger Straße 55 in Berlin

Foto: Verein Reichenberger 55

Das Haus in der Reichenberger Straße 55 in Berlin sieht aus wie so viele in Kreuzberg: ein vierstöckiger Altbau, auf der hellgrauen Fassade Plakate und Graffiti, im Vorderhaus rechts eine Kita.

In den Wohnungen aber formiert sich Widerstand. Die Mieter fürchten, dass sie von den neuen Hauseigentümern aus ihren Wohnungen verdrängt werden - wie Hunderte andere Mieter in Berlin.

Das Haus ist ein Beispiel dafür, wie Immobilienspekulanten mit der Wohnungsknappheit enorme Gewinne erzielen und wie leicht die Gesetze, die genau das verhindern sollen, ausgehebelt werden können.

Die BOW 3 GmbH hat das Haus in der Reichenberger Straße vor einem Jahr für 3,35 Millionen Euro gekauft. Das Unternehmen mit Sitz im bayerischen Pfarrkirchen ist Teil eines Firmengeflechts, das in Berlin als ALW-Immobiliengruppe bekannt ist, nach dem Namen der ALW Immobilien GmbH, eine der Firmen der Familie Andreas, Ludmilla und Walter Bahe (Sohn, Mutter und Vater). Sie haben ein Reich von mindestens zehn Firmen aufgebaut, die meisten haben ihren Sitz in Pfarrkirchen oder Baden-Baden. Was die Familie mit dem Wohnhaus und den 22 Mietsparteien vorhat, ist unklar, es als Mietshaus zu erhalten wäre aber unrentabel.

Berliner Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher, Patrick Neumann

Berliner Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher, Patrick Neumann

Foto: Verein Reichenberger 55

Patrick Neumann wohnt im Hinterhaus der Reichenberger Straße 55. Er vermutet, dass die BOW 3 GmbH das tun wird, was andere Bahe-Firmen mit anderen Häusern in Berlin gemacht haben: Die Miet- in Eigentumswohnungen umwandeln, die aktuellen Mieter nach und nach zum Auszug bewegen und die freien Wohnungen auf dem florierenden Berliner Immobilienmarkt mit großem Gewinn verkaufen. Neumann möchte das verhindern, indem er die Hausgemeinschaft eint und sie mit anderen Betroffenen vernetzt. Er hofft, dass die Stadt Berlin dabei hilft.

Mangelhafter Schutz vor Spekulanten

Rosig sind die Aussichten für die Mieter nicht. Berlin gilt als der attraktivste Immobilienmarkt in ganz Europa, die Mietshäuser sind vergleichsweise billig, während die Nachfrage nach Wohnraum immer weiter steigt. In Zeiten niedriger Zinsen lockt das Betongold viele Spekulanten an.

Mehr als 62.000 Wohnungen wurden in Berlin zwischen 2011 und 2016 in Eigentum umgewandelt. Am schnellsten vollzieht sich der Wandel im kleinsten Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Der zuständige Baustadtrat Florian Schmidt beobachtet das Vorgehen von Investoren wie der Familie Bahe schon länger. Er hält es für unmoralisch - illegal sei es aber nicht.

Eigentlich schützen Großstädte wie Berlin die weniger wohlhabenden Bewohner bereits mit Gesetzen zum Milieuschutz, um es den Investoren möglichst schwer zu machen. 39 sogenannte soziale Erhaltungsgebiete hat Berlin, in denen die Bezirke die Umwandlung in Eigentum ebenso unterbinden wie den Anbau von Balkonen, die Installation von Einbauküchen oder aufwendige Badsanierungen. Aber es gibt Schlupflöcher in der Verordnung, die so groß sind, dass sie in der Stadtverwaltung als Schlupfkrater bekannt sind.

Und die nutzt auch die Familie Bahe mit ihrem Firmengeflecht. Zum einen gilt das Umwandlungsverbot in Berlin erst seit dem 15. März 2015, viele Häuser hat die ALW-Gruppe aber vor diesem Stichtag gekauft. Zum anderen gibt es Ausnahmen im Baugesetzbuch, beispielsweise, "wenn sich der Eigentümer verpflichtet, innerhalb von sieben Jahren ab der Begründung von Wohnungseigentum Wohnungen nur an die Mieter zu veräußern". Der Besitzer darf also treuherzig erklären, er wolle nur an die aktuellen Mieter verkaufen, die Umwandlung im Grundbuch eintragen und dann versuchen, die Bewohner Wohnung für Wohnung loszuwerden. Dann kann er an jeden Interessenten verkaufen.

Baustadtrat Schmidt formuliert es so: "Viele Regelungen scheinen dafür geschaffen zu sein, es dem Investor möglichst leicht zu machen, Gewinne zu erzielen." Natürlich können die Bewohner in ihren Wohnungen bleiben, bis die verkauft sind. In der Realität aber, schätzt Schmidt, werden etwa 80 Prozent der Mieter verdrängt.

"Können wir bleiben?" - "Wenn Sie es sich leisten können."

Die Bürgerinitiative Bizim Kiez  ("Unser Kiez") sammelt Beispiele dafür auf einer interaktiven Karte  und vernetzt Berliner, die aufgrund von Immobilienspekulationen ihre Wohnungen verlieren könnten oder schon verloren haben.

Demonstration gegen BOW 2 GmbH vor dem Wohnhaus in der Oppelner Straße 28

Demonstration gegen BOW 2 GmbH vor dem Wohnhaus in der Oppelner Straße 28

Foto: bizim-kiez.de

Die Verdrängung funktioniert mit einer in diesen Fällen oft zu beobachtenden Mischung aus Geldangeboten, Drohungen und Schikanen. Beispiele: Die neuen Besitzer bauen Balkone an und Aufzüge ein, überdachen Müllplätze, installieren Farbvideo-Gegensprechanlagen oder neue Bäder und Küchen, zuweilen ohne Zustimmung der Mieter. Die Modernisierung erhöht natürlich die Mieten, teilweise auf das Doppelte.

Mieter, die Andreas Bahe getroffen haben, den jungen Geschäftsführer vieler mit der ALW-Gruppe verbundenen Unternehmen, berichten über einen rauen Umgangston. Auf die Frage, ob sie wohnen bleiben dürften, soll Bahe einer Mieterin zufolge  geantwortet haben: "Wenn Sie es sich leisten können." Diese Mischung aus Zynismus, Zermürbungstaktik durch lang dauernde Bauarbeiten und das Verwickeln in Rechtstreitigkeiten kleiner Vergehen halten nur wenige Mieter durch - viele ziehen aus, mitunter mit einer Abfindung. Bitter ist das vor allem für jene, die seit Jahren oder Jahrzehnten in ihrem Viertel leben - sie müssen dort meist wegziehen, weil es günstige Wohnungen kaum noch gibt.

Auch die Bewohner der Reichenberger Straße 55 haben Kontakt zu Bizim Kiez aufgenommen, 123 Mieter in Wohnungen der Familie Bahe haben einen offenen Brief  an die politisch Verantwortlichen in der Hauptstadt geschrieben - und mit vollem Namen und Adresse unterzeichnet.

Patrick Neumann hat dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) das Anliegen sogar persönlich vorgetragen. Müller will nun die Hinweise auf leerstehende Wohnungen und die ruppigen Methoden der mit Bahe verbundenen Firmen prüfen lassen. Ganz offensichtlich möchte er den Investoren, die mit Wohnraum nur spekulieren wollen, etwas entgegensetzen und riet dem Bezirk "einfach mal eine Umwandlung nicht zu genehmigen".

Neumann (l.) im Gespräch mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller

Neumann (l.) im Gespräch mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller

Foto: Verein Reichenberger 55

Es wäre ein kraftvolles Signal gegen Spekulanten - nur ist das leider nicht möglich. Denn das Baugesetzbuch, das die Umwandlung unter der Bedingung, sieben Jahre nur an aktuelle Mieter zu verkaufen, erlaubt, steht über dem Landesgesetz.

Eine bayerische Sparkasse, die Immobilienkäufe in Berlin finanziert

Und die Firmen der Familie Bahe dürften sich wehren. Die BOW 3 GmbH beispielsweise hat das Haus in der Reichenberger Straße für 3,35 Millionen Euro gekauft, die Mieteinnahmen abzüglich der Bewirtschaftung liegen aber derzeit bei nur rund 75.000 Euro jährlich. Die Bahes müssten also rund 45 Jahre auf den Rückfluss ihrer Investition warten - und dabei vollständig auf Rendite verzichten. Die bekämen sie nur, wenn sie die Wohnungen in Eigentum umwandeln und verkaufen.

Der SPIEGEL hat die Familie Bahe darum gebeten, sich zu den Vorwürfen und zu den Plänen, die sie mit ihren Häusern haben, zu äußern. Als Antwort kam lediglich ein Schreiben einer teuren Medienrechtskanzlei, in dem eine Stellungnahme rundheraus abgelehnt wird. Dieselbe Kanzlei geht im Namen der Bahes und ihrer Firmen übrigens auch gegen die Bürgerinitiative Bizim Kiez vor und schickte auch dem SPD-Bundestagsabgeordneten Klaus Mindrup, der mit Immobilienspekulanten viel Erfahrung hat, ein Schreiben, nachdem er von einem "perversen Geschäftsmodell" gesprochen hatte.

Auch die Sparkasse Rottal-Inn, die der BOW 3 GmbH einen Kredit über 2,85 Millionen Euro für den Kauf der Reichenberger Straße 55 bewilligt hat, wollte sich nicht äußern. Das Geldinstitut finanziert als Hausbank der Bahes schon seit Jahren Häuserkäufe in Berlin. Dass eine bayerische Sparkasse, die dem Gemeinwohl und vor allem dem Regionalitätsprinzip verpflichtet ist, als Geldgeberin für Mieterverdrängung und Immobilienspekulation in Berlin auftritt, ist mindestens ungewöhnlich. Mit Verweis auf das Bankgeheimnis lehnte die Sparkasse aber jede Auskunft ab.

Immerhin: Es gibt einen Ausweg für Neumann und seine Hausnachbarn. Wenn die neuen Besitzer aufgeben und das Haus wieder verkaufen, könnten sie versuchen, es mithilfe des Bezirks an eine städtische Wohnungsgesellschaft zu vermitteln.

Straßenfest vor dem Haus Reichenberger Straße 55

Straßenfest vor dem Haus Reichenberger Straße 55

Foto: Verein Reichenberger 55

Berlin unterstützt gemeinnützige Träger bei solchen Käufen und hat in seinem Haushalt dafür die Summe von 100 Millionen Euro reserviert. Mit dem Geld finanziert die Stadt die Lücke zwischen dem (spekulativen) Verkaufspreis und dem Preis, bei dem der Käufer die Mieten auf niedrigem Niveau stabil halten kann.

Baustadtrat Schmidt setzt viel auf dieses Instrument: "Wir kaufen uns die Stadt zurück", sagt er. Immerhin: Von rund 150.000 Wohnungen in seinem Bezirk sind unter anderem durch die Ausübung des Vorkaufsrechts schon 14 Prozent im Besitz von landeseigenen Wohnungsgesellschaften, weitere 10 Prozent bei anderen gemeinnützigen Einrichtungen. Schmidts Ziel ist es, mittelfristig den Anteil von sozial bewirtschafteten Wohnungen auf 50 Prozent zu erhöhen.

Die Mieter der Reichenberger Straße 55 haben einen Verein gegründet und hoffen nun, mit anderen Betroffenen, auf Hilfe von der Stadt Berlin. Die Politiker der Stadt wiederum hoffen auf eine Änderung der Bundesgesetze und formulieren Forderungen an die Koalitionsverhandlungen. Baustadtrat Schmidt fordert seine Partei, die Grünen, dazu auf, in den Gesprächen die Neuregelung des Milieuschutzes im Baugesetzbuch und anderer Mieterschutzgesetze zur Bedingung zu machen. "Sonst wird Friedrichshain-Kreuzberg zum Anti-Jamaika-Bezirk."

Schmidt wohnt zwar in einem anderen Bezirk, die Folgen des Immobilienbooms kennt er aber selbst. Er wird mit seiner Familie auch ausziehen müssen, die Frist nach der Umwandlung in Eigentum läuft bereits.

Zusammengefasst: Die steigenden Immobilienpreise locken vor allem in Berlin auch Spekulanten an: Investoren, die ganze Mietshäuser kaufen und dann die Mieter zum Auszug drängen - mit Geld, Abmahnungen oder schlichter Zermürbungstaktik. Dann werden die Wohnungen zum Verkauf angeboten. Die möglichen Gewinne sind enorm. Zwar versucht die Politik, diese Praktiken zu verhindern, aber die Gesetze haben viel zu große Schlupflöcher. Gegen eine Familie, die seit Jahren mit Krediten einer bayerischen Sparkasse Häuser in Berlin kauft, regt sich jetzt Widerstand - von mehr als 100 Mietern, unterstützt von der Politik.

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