Soziale Auslese beim Betreuungsgeld Gute Kinder, schlechte Kinder

Kind in einem Hochhausviertel: Die Eltern sind halt arbeitslos, da kann man nichts machen
Foto: Rolf Vennenbernd/ dpaDarf ein überführter Steuerhinterzieher seine Nachkommen noch selbst großziehen? Gut, er mag wohlhabend sein und über gepflegte Tischsitten verfügen. Aber welche Werte wird er vermitteln? Sollen Schulabbrecher noch Kindergeld bekommen, wenn sie Nachwuchs haben? Welchen Bildungshintergrund können sie bieten, wo sie selbst kaum lesen?
Diese Forderungen finden Sie vermutlich krude und skandalös, völlig zu Recht. Sie nutzen Klischees aus, um Politik gegen einzelne Gruppen der Gesellschaft zu formulieren. Ein Politiker, der sie aufstellte, müsste sich schämen.
Und doch plant die schwarz-gelbe Koalition in Berlin ähnlich absurden Unfug: Die "Herdprämie" - jetzt auch mit sozialer Auslese. Auf Drängen vor allem der CSU soll ja jedes Elternpaar, das seinen Nachwuchs nicht in eine Kindertagesstätte bringt, ein Betreuungsgeld von 100 Euro im Monat bekommen. Vorausgesetzt, die Familie lebt nicht bereits von Hartz IV. In diesem Fall sollen sie - so der neueste Dreh aus Regierungskreisen - unterm Strich nichts bekommen, denn das zunächst gezahlte Betreuungsgeld wird ihnen wieder von der Grundsicherung abgezogen.
Das entspricht der Logik von Hartz IV - schon beim Kindergeld läuft es so und ist genauso ungerecht. Es passt aber auch zur Logik der CSU: Die Partei glaubt fest daran, dass Familien der bessere Ort für die Kindererziehung sind. Dort gebe es Nestwärme und ein Wertegerüst, das kein Kindergarten bieten könne. Außer natürlich, die Eltern sind irgendwie asozial: verantwortungslos, ungebildet, alkoholabhängig. Wie kann man das einfach feststellen? Richtig: Das sind doch die Eigenschaften, die einen typischen Langzeitarbeitslosen auszeichnen. Dann lautet die simple Gleichung: Hartz IV = keine Werte = kein Betreuungsgeld. Auf einen Schlag werden alle Langzeitarbeitslosen verdächtigt, schlechtere Eltern zu sein als andere.
Clement sprach von "Parasiten"
Das ist offene Diskriminierung. Und steht in einer langen Tradition. Schon Helmut Kohl wähnte die Arbeitslosen permanent in der "sozialen Hängematte". Und Wolfgang Clement, der SPD-Arbeitsminister, der Hartz IV eingeführt hat, ließ Arbeitslose in Broschüren in die Nähe von "Parasiten" rücken.
Die Koalitionsparteien knüpfen mit ihren Überlegungen nahtlos an Guido Westerwelles Phantasie vom "anstrengungslosen Wohlstand" und der "spätrömischen Dekadenz" der Erwerbslosen an. CDU-Kollege Philipp Mißfelder war sich 2009 sicher: "Die Erhöhung von Hartz IV war ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie." Da kann man sich ja denken, wie es bei den Empfängern zu Hause aussieht. Die Hängematte ist ein schlechter Platz, um Windeln zu wechseln.
Die Ausnahmeregelung hat sogar einen bedenkenswerten Ausgangspunkt. Gerade wenig gebildete Eltern könnten ihren Sprösslingen oft nicht das Rüstzeug für gesellschaftlichen Aufstieg mitgeben. Kindergärten mit ihrem Bildungsangebot sind für sie deshalb besonders wichtig. Andererseits sind diese Eltern oft arm. Die CSU-Offerte, 100 Euro einfach zu bekommen, wenn man die Kinder nicht tagsüber in Obhut gibt, ist für sie besonders verführerisch. Die Schere zwischen gebildeten Reichen und ungebildeten Armen, die keine Aufstiegschancen mehr haben, könnte sich weiter öffnen. Über diesen Aspekt wird schon eine Weile diskutiert.
Nicht allein Arbeitslose können verwahrlosen
Aber Arbeitslose sind nicht die Einzigen, denen es an Bildung mangeln könnte. Schlechte Sprachkenntnisse, fehlendes Weltwissen, verlotterte Umgangsformen oder mangelnde Empathiefähigkeit finden sich in allen Schichten, wenn auch zahlenmäßig ungleich verteilt. Die schlimmsten Formen familiärer Verwahrlosung - Misshandlungen und sexueller Missbrauch von Kindern - sind gar völlig unabhängig von der Schichtzugehörigkeit.
Das Bild von Erwerbslosen als schlechten Eltern entspringt der Legende vom Sozialschmarotzer, mit der schon Gerhard Schröder Politik machte, als er nahelegte, die Mehrheit der Arbeitslosen würde sich ein "Recht auf Faulheit" herausnehmen. Einen Nachweis dafür gab es nie, die Mehrheit der Betroffenen will einer geregelten Arbeit nachgehen.
Außerdem rutschen heute viele Menschen in die Arbeitslosigkeit, die den Klischeebildern einer bildungsbürgerlichen Familie durchaus entsprechen, gescheiterte Selbständige zum Beispiel oder Arbeitnehmer, deren letzter Job zu kurz währte, um einen Anspruch für Arbeitslosengeld I aufzubauen.
Beruhigungspille für die eigenen Leute
Der Hinweis, dass Arbeitslose vom Betreuungsgeld ausgenommen sind, ist vor allem eine Beruhigungspille für die eigenen Leute. Die Volte soll die vermeintlich disziplinlosen Hartzer unter Druck setzen. Sie werden als gemeinsames gesellschaftliches Feindbild beschworen. Dabei stört dann wenig, dass die Regierung die Erziehungsleistung einzelner Gesellschaftsgruppen zu bewerten versucht, was jeden halbwegs Liberalen auf die Palme bringen sollte. Zu Ende gedacht, könnte man fragen: Wenn man die Arbeitslosen vom Betreuungsgeld ausschließt, warum nicht auch die Steuerhinterzieher? Sie sind ja, je nach Blickwinkel, auch Sozialschmarotzer.
Die Beruhigungspille ändert aber nichts daran, dass das Betreuungsgeld von Grund auf Murks ist. Selbst wer dem Familienideal der CSU nahesteht, kommt an einem ordnungspolitischen Punkt nicht vorbei.
Welchen Sinn soll es ergeben, Bürger für den Verzicht auf eine staatliche Leistung mit einer anderen zu belohnen? Konkret: Warum sollen Eltern die steuerfinanzierte "Herdprämie" bekommen, wenn sie steuerlich geförderte Kindergärten nicht in Anspruch nehmen? Mit dem gleichen Recht könnten Autofahrer eine Belohnung fordern, weil sie öffentliche Verkehrsmittel entlasten. Oder Kinderlose, weil sie auf ihren Kindergeldanspruch verzichten.
Im Herbst erscheint die Dissertation des Autors über "Arbeitsmarktreformen und das Bild von Erwerbslosen in der Öffentlichkeit".