

Geld für Europa Billionen für Pfennigfuchser


Roter Teppich zum Treffen des Europarats: Um wie viel Geld geht es wirklich?
Foto: POOL/ REUTERSDa ist sie wieder, die eine Billion. So viele Euro, hat uns kürzlich Ursula von der Leyen vorgeschwärmt, werde die Europäische Union unter ihrer Führung fürs Klima mobilisieren. Stichwort "Green Deal". Um so viel geht es auch, wenn gerade die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Sondergipfel nun übers Gesamtbudget der EU für die kommenden sieben Jahre sprechen – und wer davon was zahlen soll.
Nur scheint nicht ganz eindeutig, ob das jetzt ein Segen ist, wie die neue deutsche Chefin des Europa-Vereins zu vermitteln versucht hat, als sie ihre Idee des "Green Deals" vor ein paar Wochen pries. Motto: Wow, so viel Geld fürs arme Klima, toll. Oder eine Bürde, wie jene anzumerken neigen, die offenbar etwas weniger Freude an der EU verspüren. Motto: Ach, ist das alles teuer, weg damit. Wobei das die Regierung irgendwie auch ein bisschen zu meinen scheint. Zumindest will sie künftig eher weniger als mehr zahlen.
In Wahrheit hat das Brimborium um die Billion eher etwas von Hochstapelei. Und es könnte gerade im Interesse der Deutschen sein, den Betrug aufzulösen – und stattdessen Vorschläge in den Ring zu werfen, wie aus dem "Green Deal" etwas wird, das Menschen in Europa richtig gefällt. Weil spätestens dann auch nicht mehr so wichtig ist, wie viel das erst einmal kostet. Zur Rettung der Welt. Und Europas. Eine Chance sogar für Angela Merkel, wenn sie im Sommer die EU-Ratspräsidentschaft für uns übernimmt.
Das Tückische an so großen Zahlen ist, dass sie der Natur nach per se schwer mit den täglichen Erfahrungen unsererseits in Relation zu setzen sind. Da hilft auch nicht vorzuzählen, wie es mathematisch gelenke Kommentatoren gelegentlich tun, wie furchtbar viele Nullen so eine Billion hat (ach, so viele?). Für manche von uns ist ja schon eine Million keine täglich wiederkehrende Kontogröße. Donald Trump macht umgekehrt jedes Jahr derzeit eine Billion neue Staatsschulden. Und wer würde daran zweifeln, dass das etwas anderes als großartig ist.
Eine Billion Euro über sieben Jahre macht pro Jahr rund 143 Milliarden, was immer noch viel klingt, aber auch eben nur ein Prozent dessen ausmacht, was jährlich von den knapp 450 Millionen EU-Menschen ohne Briten erwirtschaftet wird. Und worüber die EU-Verantwortlichen jetzt streiten, ist, ob es denn 1,1 oder 1,0 Prozent sein könnten, womöglich, hieß es, liege es bei 1,074 Prozent. Wobei es wiederum auch nicht hilft, die Mathematik wieder umzudrehen und zu bedeuten, dass das vielleicht klein klinge, aber eben auf sieben Jahre eine Billion Euro ist. Das Prozentrechnen ist ja nicht umsonst erfunden worden, sondern um Dinge gelegentlich ins rechte Maß zu setzen.
Pro Einwohner 300 Euro im Jahr
Rechnet man das Ganze auf die Bevölkerung von fast einer halben Milliarde EU-Bürger selbst ohne die eigenartigen Briten herunter, wird die Sache noch flohiger. Nach dem Eins-Komma-Eins-Prozent-Wunsch aus Brüssel würde die EU künftig je Einwohner jährlich gerade einmal gut 300 Euro ausgeben wollen – setzen sich die besonders reichen, aber merkwürdig kniepigen Deutschen durch, die ohnehin schon Rabatt kriegen, wären es etwa 30 Euro weniger. Sagen wir so: ganz schön viel Streit um einen trauten Kinoabend.
Ähnlich überverkauft erscheint bei näherem Hinsehen auch von der Leyens Billionendeal, für den zum einen natürlich das Gleiche gilt, was die Mathematik fürs relative Gesamtbudget ergibt: Das ist für einen so großen Kontinent über so viele Jahre keine so große Summe. Dazu kommt zum Zweiten, dass die Summe ohnehin arg hoch gehofft ist. Ein großer Teil der Ausgaben zugunsten des Klimas soll aus anderen Töpfen kommen, also lediglich umgeschichtet werden, fehlt dann aber anderswo.
Der Rest der Billionenschätzung ergibt sich vor allem daraus, dass die Kommission darauf setzt, mit relativ wenig Anreizen sehr viel private Investitionen zu mobilisieren. Woran das Gros der Experten arge Zweifel äußert. Klingt eher wie Zauberkunst. Zumal vieles, was für den Wandel hin zu einer klimaverträglichen Wirtschaft nötig wäre, ohnehin schlecht von Privaten zu leisten ist – vom Ausbau der Bahninfrastruktur über die Sanierung öffentlicher Gebäude bis hin zur Ladeinfrastruktur für E-Autos und der Förderung von Wasserstoffenergie.
Nur 7,5 Milliarden zusätzlich fürs Klima
Wirklich zusätzlich will die EU nach Plan gerade einmal 7,5 Milliarden Euro ausgeben, um via "Green Deal" das Klima zu retten – für den Fonds, mit dem soziale Folgen der Klimapolitik etwa in den Kohleregionen irgendwie aufgefangen werden sollen. Das sind nicht ganz 17 Euro pro EU-Bürger – verteilt über sieben Jahre. Macht jährlich 2,40 Euro. Damit lassen sich de facto die Verlierer in besonders armen Regionen Europas ein bisschen entschädigen, aber nicht wirklich retten. Geschweige denn irgendetwas dagegen tun, dass in den nächsten Jahren auch in reicheren Ländern wie Deutschland ganze Regionen kriseln könnten, wenn etwa beim Übergang zur Elektromobilität Wertschöpfungsketten brechen und doch viel mehr Arbeitsplätze wegfallen.
In Europa sind allein etwa drei Viertel der rund 20 Milliarden Quadratmeter Wohnfläche nicht hinreichend isoliert, schätzen die Berliner Klimaökonomen Carlo Jaeger und Sarah Wolf – und werden es ohne entsprechende Anreize auch nicht schnell genug werden. Hier kommt gut ein Drittel des CO2-Ausstoßes her. Es gibt einen enormen Bedarf, in Ladestellen für Elektromobile zu investieren – was ebenso wenig von den Konzernen gemacht werden wird. Es wäre dringlich, den Kauf von Elektroautos viel günstiger werden zu lassen – was ohne Subventionen auf Anhieb auch nicht passieren wird. Und es gibt etlichen Bedarf, neue Bahnstrecken zu bauen – oder Bahnfahren noch billiger zu machen. Oder die Erfindung neuer Antriebsarten für Flugzeuge zu beschleunigen.
All das wird nicht mit der Investitionswucht eines trauten Kinobesuchs eintreten.
Unsere Kanzlerin hätte in Kürze Gelegenheit, den anderen zu zeigen, dass wir mehr können – und könnte die Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr dazu nutzen, den wirklich großen Wurf zu starten: Über ein paar ganz große Ideen, wie europaweit die große Renovierungswelle für Häuser und Wohnungen gestartet werden könnte – oder ein großer Schub hin zur neuen Welt von Auto und Bahn. Ein "Green Deal" for the people. Nicht nur für Technokraten und Statistiker. So wichtig das Technokratische auch ist, um das Klima zu retten.
Es ist noch ein bisschen Zeit, konkreter zu machen, wie das genau funktionieren könnte. Es würde lohnen, die Zeit zu investieren – und dann auch reales Geld. Statt über Billionen zu orakeln, die in Wahrheit keine sind. Und die bei näherer Betrachtung eher Ausweis kurzsichtiger deutsch-europäischer Mickrigkeit sind. Auf Dauer wird so eine Investition in Welt und Klima von morgen allemal billiger, als jetzt Hundertstel Prozentpunkte zu sparen.