Biosprit-Boykott Brüderle beruft Benzin-Gipfel ein

Der vorläufige Einführungsstopp des neuen Biosprits E10 alarmiert die Politik: Wirtschaftsminister Brüderle lädt zum Benzin-Gipfel. Er verlangt von der Mineralölwirtschaft Klarheit beim weiteren Vorgehen: "Fakt ist, dass die Verbraucher völlig verunsichert sind."
E10-Zapfhahn: Zeitnah alle Beteiligten an einen Tisch bringen

E10-Zapfhahn: Zeitnah alle Beteiligten an einen Tisch bringen

Foto: Daniel Karmann/ dpa

Berlin - Für die Wirtschaft kann die Einführung eines neuen Produkts nicht schlechter laufen: Die Industrie drosselt die Ausweitung von E10 - weil Verbraucher den Biosprit ablehnen. Ein Desaster, das jetzt auch die Politik auf den Plan ruft. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) schaltet sich ein und beruft ein Krisentreffen ein.

Er werde zeitnah alle Beteiligten zu einem "Benzin-Gipfel" einladen, sagte Brüderle am Donnerstag in Berlin. "Fakt ist, dass die Verbraucher völlig verunsichert sind."

Zuvor hatte die Mineralölwirtschaft überraschend angekündigt, die Einführung von E10 an weiteren Tankstellen vorläufig zu stoppen. "Das System platzt sonst", sagte der Hauptgeschäftsführer des Mineralölwirtschaftsverbands (MWV), Klaus Picard, mit Blick auf Versorgungsengpässe bei anderen Benzinsorten, die wegen des Käuferstreiks bei E10 verstärkt getankt werden. Es gebe derzeit massive Versorgungsprobleme bei anderen Spritsorten wie Super Plus, weil die Tanks zum Teil mit E10 belegt seien. Auch könnten viele Raffinerien ihre vollen E10-Tanks nicht leeren.

Bisher wurde der Biosprit bei knapp der Hälfte der bundesweit 15.000 Tankstellen eingeführt - vor allem im Osten und Süden des Landes. Zunächst solle nun abgewartet werden, ob die Verbraucher den Sprit in den kommenden Tagen annehmen, sagte Picard weiter. Erst dann könne E10 in den restlichen Regionen Deutschlands eingeführt werden. An Zapfsäulen, wo es bereits den neuen Biosprit gibt, kann die Benzinsorte aber weiter getankt werden, betonte er.

Am Donnerstag hatten zunächst Meldungen für Verunsicherung gesorgt, wonach die Mineralölbetriebe die Lieferung mit E10 komplett stoppen wollten. Dem widersprach der MWV wenig später. "Die Einführung von Super E10 läuft entsprechend der politischen Vorgaben weiter", stellte der Verband klar. Dass die Raffinerien ihre Produktion reduzierten, bedeute keinen Rückzug der Mineralölindustrie von der Super-E10-Einführung, sondern eine Anpassung der Produktion an die Nachfrage der Endkunden.

Umweltminister Röttgen kritisiert Mineralölwirtschaft

Von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) handelte sich der MWV trotz des Zurückruderns eine Rüge ein. "Das Durcheinander, das die Mineralölwirtschaft hier veranstaltet, ist nicht akzeptabel. Es führt zu einer vollständigen Verunsicherung der Verbraucher", erklärte Röttgen. "Die Mineralölindustrie sollte sich endlich eine vernünftige Strategie überlegen, statt jeden Tag widersprüchliche und verwirrende Botschaften auszusenden", kritisierte der Minister.

Auch Brüderle verlangt Aufklärung. "Ich halte es für entscheidend, dass die Beteiligten, insbesondere die Automobil- und die Mineralölwirtschaft, die Atempause bei der Umstellung auf E10 nutzen, um bei den Verbrauchern für absolute Klarheit zu sorgen." Die Industrie müsse der Regierung ihre weiteren Schritte erläutern. Der genaue Termin für das von ihm vorgeschlagene Spitzentreffen steht allerdings noch nicht fest.

Als "Trauerspiel" bezeichnete Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) das Verhalten der Mineralölbranche. "Die Informationspolitik ist wirklich miserabel", sagte sie. Die Konzerne hätten lange genug Zeit gehabt, sich auf die Einführung des neuen Kraftstoffs vorzubereiten. "Die Wirtschaft darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen und die Kunden die Zeche zahlen lassen."

Aus Sicht von Bauernpräsident Gerd Sonnleitner ist die Branche mit schuld daran, dass es so viele E10-Verweigerer gibt. Es sei kein Wunder, dass viele Autofahrer nicht wüssten, ob ihr Auto E10 verträgt, erklärten er und der Chef des Bundesverbands der deutschen Bioethanolwirtschaft, Norbert Schindler. "Der Verweis auf die nur im Internet verfügbare E10-Verträglichkeitsliste der Deutschen Automobil Treuhand DAT ist für die Verbraucherinformation völlig unzureichend."

Für Landwirte ist die Kraftstoffbranche ein Geschäftsfeld: Die zehn Prozent Ethanol in E10 werden etwa aus Weizen, Rüben oder Mais gewonnen. Auch dem herkömmlichen Super und Super Plus wird Bioethanol beigemischt, jedoch nur fünf Prozent. Daher heißen die alten Spritsorten auch E5.

Bleibt E10 ein Flop, kommen auf die Branche Strafzahlungen zu. Trotzdem droht sie, auf E10 ganz zu verzichten und wieder verstärkt die herkömmlichen Sorten Super und Super Plus in den gewohnten Mengen herzustellen. Bei jedem statt E10 verkauften Liter müssten dann bei Super Plus mit fünf Prozent Ethanol zwei Cent "Strafe" gezahlt werden. Zahlen müssten das wohl die Autofahrer.

Seit Februar bieten erste Tankstellen in Deutschland den neuen Sprit an. Obwohl der Preis für den Liter Super Plus laut ADAC in der vergangenen Woche im Schnitt acht Cent über dem Preis von E10 lag, verweigern sich die meisten Autofahrer bisher dem neuen Benzin. 70 Prozent der Halter weichen demnach lieber auf das teure Super Plus aus. Dies führt laut MWV auf der einen Seite zu Lieferengpässen bei Super Plus; auf der anderen Seite seien die Tanks voll mit E10-Kraftstoff, der nicht abgesetzt werden kann.

yes/dpa/dapd
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