Boris Johnsons Wirtschaftspolitik "Fuck Business", Hauptsache Brexit

Boris Johnson (l.) und Donald Trump bei einem Treffen in New York
Foto: Kevin Lamarque/ REUTERSUm Boris Johnson zu verspotten, genügt seinen Gegnern mittlerweile eine einzige Zahl: "350 Millionen Pfund" stand auf einer aufblasbaren Johnson-Puppe, die am Wochenende über einer Demonstration in London schwebte. Diese Summe überweise Großbritannien jede Woche nach Brüssel, hatte Johnson vor dem Brexit-Referendum behauptet, mit dem vor drei Jahren der Weg des Landes aus der Europäischen Union begann. Das Geld, so hieß es damals, solle man doch lieber für den staatlichen Gesundheitsdienst NHS verwenden.

Johnsons Rechnung war Unsinn, darauf hatte selbst der britische Chefstatistiker hingewiesen. Doch das war letztlich egal: Erst stimmten die Briten für den EU-Austritt, den Johnson so eifrig wie unseriös beworben hatte. Und nun stimmten die britischen Konservativen auch für Johnson als Parteichef - und damit als neuen Premierminister.
Damit wird Großbritannien künftig von einem Mann regiert, der in Wirtschaftsfragen denselben Stil pflegt wie in anderen Politikfeldern: Für komplexe Probleme verspricht Johnson simple Lösungen, ohne dabei übermäßigen Wert auf Details oder Fakten zu legen.
Jüngstes Beispiel ist Johnsons neue Zeitungskolumne, in der er den Brexit mit der Mondlandung vergleicht: Nachdem er zwei Drittel des Textes auf blumige Raumfahrtanekdoten verwendet hat, verspricht Johnson mal eben so, dass man technologische Lösungen für die Grenze zu Nordirland finden werde - und zwar als Teil eines "Freihandelsabkommens, das wir mit der EU aushandeln werden". Dass es bis zu einem solchen Abkommen Jahre dauern könnte, erst recht beim von Johnson angedrohten No-Deal-Brexit: Egal, das mit dem Mond hat ja auch geklappt.
Johnson sei ein "Trump mit Wörterbuch" , kommentierte Ex-Vizepremier Nick Clegg einmal dessen populistische Brexit-Kampagne. Tatsächlich erinnert der neue Premier auch in anderen wirtschaftspolitischen Aspekten an den US-Präsidenten:
- Er verspricht Steuerentlastungen, von denen vor allem Reiche profitieren würden und die zu erheblichen Einnahmeausfällen für den Staat führen dürften. Johnson verfolge wie sein gescheiterter Mitbewerber Jeremy Hunt "die Finanzpolitik von Donald Trump" und der US-Republikaner seit Ronald Reagan, schreibt der labournahe Oxford-Ökonom Simon Wren-Lewis . "Senke die Steuern unter jedem Vorwand, den Du hast und schau zu wie die Verschuldung steigt. Sag' nach einem angemessen Intervall, dass man etwas an der Verschuldung ändern müsse und schlage einen Menge Kürzungen bei Staatsausgaben oder Sozialhilfe vor".
- Wie Trump pflegt auch Johnson einen Ruf als Anti-Establishment-Politiker, sucht aber gleichzeitig die Nähe zu finanzstarken Gruppen. Als Londoner Bürgermeister lag Johnson besonders die Bankenbranche am Herz. "Kennen Sie irgendjemanden, der sich so für die Banker stark gemacht hat wie ich?", fragte er bei einer Parteiveranstaltung. Konsequenterweise waren es vor allem Spender aus der Finanz-, Banken- und Immobilienwirtschaft , die Johnson im Kampf um Parteivorsitz und Premierposten einen fast vierfachen finanziellen Vorsprung vor seinem Rivalen Hunt bescherten.
- Trotz der Nähe zu einzelnen Wirtschaftsvertretern zeigt Johnson ebenso wie der US-Präsident ein erstaunliches Desinteresse an den Sorgen der Gesamtwirtschaft. So warnt der britische Industrieverband CBI vor einem Brexit ohne Vertrag als "Abrissbirne für unsere Wirtschaft". Johnson will es dennoch auf einen harten Brexit ankommen lassen; Warnungen soll er mit den Worten "Scheiß auf die Wirtschaft" ("Fuck business") abgetan haben. Johnson dementierte das nur halbherzig als "eine verirrte Äußerung gegenüber dem belgischen Botschafter".
- Wie Trump zeigt auch Johnson eine Abneigung gegenüber Regulierungen. Schon in seinem früheren Leben als Journalist in Brüssel spottete er regelmäßig über angebliche absurde EU-Vorgaben - von denen ein Großteil gar nicht existierte. Erst vor wenigen Tagen machte er die EU für sinnlose Verpackungen von Räucherfisch verantwortlich, die tatsächlich in nationale Verantwortung fallen. Auch in der Umweltpolitik lehnt Johnson stärkere Vorgaben ab: "Der Markt, nicht der Staat, wird die Lösungen finden, die wir für eine nachhaltige Zukunft brauchen", schrieb er. "Indem wir an den Markt glauben, können wir sicherstellen, dass Großbritannien die sauberste und grünste Volkswirtschaft Europas wird."
In den USA brüstet sich Donald Trump regelmäßig mit dem von ihm befeuerten Wirtschaftsboom. Und auch Johnson könnte mit Steuersenkungen oder Deregulierungen nach einem Brexit durchaus wirtschaftliche Erfolge erzielen - zumindest kurzfristig. Doch Johnson ist auch bekannt dafür, oft seine Meinung zu ändern - selbst in der Brexit-Frage war er lange unentschieden. Mangelnde Planbarkeit hassen Unternehmer und Manager, seit dem Brexit-Votum haben deshalb viele ihre Investitionen aufgeschoben.
Johnsons Gegner fürchten, dass er die Unsicherheit weiter verstärken wird. Noch vor der offiziellen Kür des neuen Premiers kündigten mehrere Kabinettsmitglieder ihre Rücktritte an, darunter Finanzminister Philip Hammond. Er begründete den Schritt damit, dass Johnson "eine Art Loyalitätsschwur" für einen möglichen harten Brexit gefordert habe.
Auch in der Bevölkerung scheint es erhebliche Zweifel daran zu geben, ob man Johnson die Verantwortung für das Land übertragen sollte. Gerade einmal 13 Prozent der Briten würde dem neuen Premier einer Umfrage zufolge einen Gebrauchtwagen abkaufen.
Doch zumindest Mitglieder der konservativen Partei würden Johnson viel verzeihen, solange er nur den Brexit zustande bringt. Laut einer YouGov-Umfrage nehmen 61 Prozent von ihnen für den EU-Austritt sogar "erhebliche Schäden für die britische Wirtschaft" in Kauf. Fuck Business, Hauptsache wir gewinnen: Auch diese Mentalität unter den Anhängern erinnert stark an Donald Trump.