Arbeitsmarkt in Großbritannien Deutsche Wirtschaft stellt Brexit-Bedingungen

Britische Industrie (Archivbild)
Foto: imago/ Loop ImagesDie deutschen Arbeitgeberverbände drängen auf möglichst einfache Regeln für die Entsendung von EU-Arbeitnehmern nach Großbritannien nach einem Austritt des Landes aus der EU. "Nach dem Brexit muss es für deutsche Unternehmen genauso unkompliziert sein, Mitarbeiter in ihre Niederlassungen im Vereinigten Königreich zu entsenden, wie es für britische Unternehmen in Richtung Europäische Union der Fall ist", sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer dem SPIEGEL.
Als mögliche Hürde nennt Kramer die Sozialversicherung. "Für deutsche Unternehmen ist es fundamental wichtig, dass ihre vorübergehend in das Vereinigte Königreich entsandten Arbeitnehmer auch künftig im deutschen System verbleiben können und in Großbritannien von Sozialversicherungsbeiträgen befreit sind." Ohne eine Einigung würde man auf das deutsch-britische Sozialversicherungsabkommen aus dem Jahr 1960 zurückgeworfen werden, so Kramer. "Es drohen teure Doppelversicherungen und ein hoher Verwaltungsaufwand."
Mit seinen Äußerungen lenkt Kramer die Aufmerksamkeit in der Brexit-Debatte auf die Frage, welche konkreten Auswirkungen das Ende der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit in Großbritannien hat. Sorgen sind berechtigt, denn wenn auch sonst oft nebulös bleibt, wie sich die Regierung in London die künftige Beziehung mit der EU vorstellt, ist eines klar: Mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist es vorbei. Genau um das zu erreichen, stimmten schließlich viele Briten für den Brexit. Für Unternehmen im Rest der EU ist das oft ein Problem, sie sind darauf angewiesen, weiterhin möglichst unbürokratisch Arbeitnehmer ins Ausland schicken zu können.
Führende Vertreter der deutschen Wirtschaft hatten der britischen Premierministerin Theresa May zuletzt im vergangenen November ihre Sorgen wegen der schleppenden Brexit-Verhandlungen mitgeteilt. Großbritannien ist Deutschlands drittwichtigstes Exportland. 2016 wurden Waren im Wert von rund 86 Milliarden Euro ins Vereinigte Königreich exportiert.
Auswirkungen des Brexit möglichst gering halten
May will an diesem Freitag in einer Rede ihre Vorstellungen der künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien vorstellen. Am Mittwoch hatte die EU eine erste Version des sogenannten Scheidungsvertrags vorgelegt. Vor allem die Bestimmungen zur künftigen Grenze zwischen Nordirland und Irland hatten in London für Empörung gesorgt. In diesem Austrittsvertrag sind auch Bestimmungen über die künftigen Rechte der EU-Bürger geregelt, die heute schon in Großbritannien leben. Zuletzt hatte die britische Regierung im Streit, ob diese Rechte auch für EU-Bürger gelten, die während der etwa zweijährigen Übergangsphase nach Großbritannien kommen, Kompromissbereitschaft signalisiert.
In einem Positionspapier drängt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) darauf, die Auswirkungen des Brexit möglichst gering zu halten. Zu klären sei beispielweise, "unter welchen Voraussetzungen Briten Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt und umgekehrt Unionsbürger zum britischen Arbeitsmarkt Zugang haben sollen". Problematisch ist dabei etwa, dass britische Arbeitnehmer künftig wie Angehörige anderer Drittstaaten Rechte aufgrund der EU-Bluecard-Richtlinie erhalten, EU-Arbeitnehmer in Großbritannien jedoch nicht.
Eine weitere Frage betrifft das Problem, wie von Arbeitnehmern und Wanderarbeitern erworbene Anwartschaften auf Leistungen etwa bei der Rente künftig behandelt werden. Auch Studenten, die nach dem Brexit in Großbritannien die Uni besuchen wollten, sollten möglichst keine Nachteile haben, fordert die BDA. Großbritannien solle daher Mitglied im Erasmus-Programm bleiben, es müsse zudem geklärt werden, "inwiefern Studienleistungen und Bildungsabschlüsse zukünftig gegenseitig anerkannt werden".
Zum Zeitpunkt des Brexit-Referendums arbeiteten rund 2,1 Millionen EU-Ausländer in Großbritannien. Die einheimische Bevölkerung hat oft Sorge, dass die Konkurrenz aus dem Ausland Sozialstandards untergräbt. Ähnliche Stimmungen gibt es allerdings auch in der EU. Erst am Donnerstag hatte sich die EU auf schärfere Regeln für den Einsatz von Arbeitskräften aus Niedriglohnländern in reicheren EU-Ländern geeinigt. Für die Verschärfung hatte sich vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron starkgemacht.
arte-Re:-Reportage: Brexit - Die Hoffnung der englischen Fischer