Brexit-Verhandlungen Bitte warm anziehen

Fußgänger an der Westminster Bridge in London (Archivbild)
Foto: © Neil Hall / Reuters/ Reuters"Hier sind wir wieder, dieselben beiden Leute", sagt Michel Barnier, Brexit-Chefunterhändler der EU, als er mit seinem britischen Kollegen David Davis in Brüssel vor die Presse tritt. Die Botschaft ist im Grunde dieselbe wie zuletzt: In der Frage der Rechte der Bürger und der Grenze in Irland kommt man in Trippelschritten voran, bei der Austrittsrechnung der Briten herrscht dagegen vollkommener Stillstand.
Was aber nach den Eröffnungsworten von Barnier und Davis passierte, war sinnbildlich für das aktuelle Machtgefälle in den Verhandlungen: Fünf Fragen waren erlaubt, für englischsprachige Medien. Und die gingen nicht eben sanft mit Davis um:
Was der Sinn des immer gewagteren britischen Drahtseilakts sei?
Warum London der EU noch immer nicht schriftlich zugesagt habe, sich an seine finanziellen Verpflichtungen zu halten?
Warum man dem Volk eingeredet habe, dass die Verhandlungen leicht würden und die EU unbedingt einen Handelspakt wolle?
Ob Davis eine einzige Firma nennen könne, die den Brexit für positiv hält?
Dass die heimische Presse solche Fragen stellt, erhöht den Druck auf die Regierung in London. Ein Sprecher der Kommission musste sich anschließend vor laufenden Kameras verärgerte Nachfragen nicht britischer Journalisten zu dem offensichtlichen Manöver gefallen lassen. Seine Antwort: "Das ist unser Presseraum. Wir entscheiden über die Prozeduren."
Details wie dieses zeigen, wer derzeit in den Verhandlungen die Oberhand hat: EU-Verhandler Barnier pocht auf die Leitlinien, welche die Staats- und Regierungschefs der restlichen 27 EU-Staaten beschlossen haben und denen übrigens auch London zugestimmt hat. Sie besagen: Zunächst werden die Details des Austritts ausgehandelt, und erst wenn darüber "ausreichende Fortschritte" erzielt sind, kann man über die Zukunft und ein Handelsabkommen reden. Diese zweite Phase sollten die EU-27 eigentlich beim Gipfel in der kommenden Woche einläuten. Nun wird es frühestens beim darauffolgenden Treffen Mitte Dezember dazu kommen.
Damit sind zwei weitere wertvolle Monate der ohnehin knapp bemessenen Frist verloren gegangen. Am 29. März 2019 endet die britische EU-Mitgliedschaft, für das Aushandeln eines Austrittsabkommens bleibt damit nur wenig mehr als ein Jahr - und die Nervosität in Großbritannien wächst, dass es zu einem ungeordneten Brexit kommt.
Spekulationen über britischen Nafta-Beitritt
Am Dienstag berichtete der "Daily Telegraph" - das Hausblatt der Brexit-Hardliner der konservativen Tory-Partei - über einen möglichen Beitritt Großbritanniens zum Nafta-Abkommen, sollte es keinen Deal mit der EU geben. Mehrere Minister würden über derartige Pläne nachdenken, schrieb das Blatt - freilich ohne Namen zu nennen. Ohnehin sei die nordamerikanische Freihandelszone mit den USA, Kanada und Mexiko größer als die EU.
Auf dem Kontinent werden derartige Gedankenspiele dagegen belächelt. "Damit kann man vielleicht besorgten Landsleuten ein wenig Trost spenden, mehr aber auch nicht", meint Daniel Caspary, Chef der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament. Ein Abkommen mit Kanada und Mexiko würde bestenfalls das ersetzen, was die Briten durch den Austritt aus der EU verlören. "Der einzige Mehrwert wäre ein leichterer Zugang zum US-Markt", so Caspary. "Ich wünsche viel Spaß dabei, ein multilaterales Abkommen mit Donald Trump zu verhandeln, der immer wieder sagt, dass er solche Abkommen nicht mehr will."
Wie auf Bestellung kam da der Besuch des kanadischen Premierministers Justin Trudeau in Washington, bei dem US-Präsident Trump einen Nafta-Ausstieg der USA ausdrücklich für möglich erklärte.
Ohnehin würden sich die Briten mit einem Beitritt zu dem Abkommen - sollte er überhaupt möglich sein - "ins eigene Fleisch schneiden", meint Bernd Lange (SPD), Chef des Handelsausschusses im Europaparlament. Zu erwarten wäre dann etwa ein Exodus der Autohersteller, insbesondere der asiatischen, die Großbritannien vor allem wegen des Zugangs zum EU-Binnenmarkt als Standort ausgesucht haben. Sollte Großbritannien aus dem Binnenmarkt und der Zollunion austreten, würde dieser Handel deutlich erschwert. Sollte das Land obendrein der Nafta beitreten, könnten Firmen wie Nissan oder Toyota den relativ kleinen britischen Markt eventuell von ihren nordamerikanischen Werken aus versorgen. Sie hätten damit gleich zwei Gründe, ihre britischen Fabriken in die EU zu verlegen.
Zudem müssen britische Autohersteller auf Exporte in die USA ohnehin nur 2,5 Prozent Zollgebühren zahlen. Bei Ausfuhren in die EU wären es nach dem Austritt aus der Zollunion ohne neuen Deal dagegen zehn Prozent. "Kein besonders gutes Geschäft", meint ein Manager eines deutschen Autoherstellers.
Keine Hilfe von der deutschen Autoindustrie
Überhaupt, die deutsche Autoindustrie. Bis heute hält sich in Teilen der britischen Politik die Erwartung, dass Daimler, BMW und VW irgendwann Druck auf die Bundesregierung ausüben würden, einen weichen Brexit anzustreben - um ihre Exporte nach Großbritannien zu schützen. Doch dafür gibt es bisher keinerlei Anzeichen.
Im Gegenteil: Die Priorität der deutschen Exportindustrie ist es, den EU-Binnenmarkt zu schützen. Sollte ein harter Brexit der Preis dafür sein, dann sei es so, meint ein Insider. Die Integrität des EU-Binnenmarkts sei von "überragender Bedeutung", das sei Konsens in der Branche.
Ein britischer Regierungsbeamter meinte nach der Pressekonferenz von Barnier und Davis, man wolle ohnehin mehr als ein einfaches Handelsabkommen wie Nafta. Was genau, wollte er nicht verraten. Aber man sei bereit, über die Zukunft zu reden - "jetzt sofort". Das Problem: EU-Chefunterhändler Barnier betonte auch am Donnerstag mehrfach, dass man erst die Austrittsdetails - darunter die leidige Finanzfrage - klären müsse. An dieses "präzise Mandat" der Staats- und Regierungschefs habe er sich zu halten.
Im britischen Lager deutet man das gar zu einem guten Zeichen um. Es handele sich dabei um eine Art Hilferuf Barniers an die Staats- und Regierungschefs, ihm beim Gipfel kommende Woche mehr Spielraum zu gewähren. Ob das geschehen wird, erscheint allerdings fraglich. Sicher, es sei traurig, dass die Briten die EU verlassen, sagte Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag in Hannover. Aber man werde die Verhandlungen "so führen, dass möglichst wenig Schaden für uns hier in Deutschland entsteht".
In den vergangenen Monaten habe die EU Fortschritte in der Flüchtlings-, Migrations- und Verteidigungspolitik gemacht, die vor einem Jahrzehnt noch undenkbar gewesen wären. Die anderen 27 Mitgliedstaaten seien "wirklich entschlossen", Europa weiterzuentwickeln. Merkels Trauer über den britischen Austritt, so scheint es, hält sich in Grenzen.
Zusammengefasst: Die Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU sind festgefahren - und die Zeit läuft ab. In Großbritannien scheint die Nervosität zu steigen, während die EU stoisch an ihrer Verhandlungslinie festhält. Ein harter Brexit ohne Austrittsabkommen wird immer wahrscheinlicher.