Brief-Riese in der Krise Amerikas Post geht ab - in die Pleite?

Ausrangierte Briefkästen in San Francisco: Ende der US-Staatspost?
Foto: JUSTIN SULLIVAN/ AFPJames Hamilton, Wirtschaftsblogger und Professor an der University of California in San Diego, bekommt viel Post. Vor 20 Jahren seien es täglich "zwei bis drei Sendungen" gewesen, schreibt er auf seinem Blog "Econbrowser". Inzwischen erhalte er "das Hundertfache". Das meiste seien E-Mails. Auf dem regulären Postweg, per U.S. Postal Service (USPS), lande heute "so gut wie gar nichts" mehr bei ihm.
Damit identifiziert Hamilton die Krux des USPS, des weltgrößten Postdienstes: Kaum ein Mensch schreibt mehr Briefe. Die Web-Generation kommuniziert elektronisch, via E-Mail, Twitter, Facebook und Skype. Im vergangenen Jahrzehnt fiel das USPS-Briefvolumen um 19 Prozent, bis 2020 dürfte es um weitere 37 Prozent einbrechen. Und das meiste davon ist schon jetzt nur noch subventionierte Direktwerbung. Von den 18,5 Milliarden Postsendungen im zweiten Quartal 2011 waren 62 Prozent unerwünschte Massenbriefe.
Kein Wunder also, dass der staatliche USPS allein im ersten Halbjahr 2011 2,6 Milliarden Dollar Miese einfuhr, weit mehr als erwartet. Ab September kann der Konzern seine Rechnungen nicht mehr aus eigener Kraft zahlen. Seit Jahren bangt der marode Dienst um seine Existenz, jetzt wird es wirklich ernst.
Nun setzt die sieche US-Post auf eine Milliarden-Finanzspritze des Kongresses, wie zuvor schon die Wall Street und die Detroiter Autobranche. Doch die Sympathien der Abgeordneten sind nicht sehr ausgeprägt und die Chancen auf Hilfe gering: Amerika hat längst die Nase voll von weiteren, unbezahlbaren "Bailouts" - vor allem für die unbeliebte Post.
So dürfte USPS am Ende nur die Privatisierung bleiben. Es droht das Prinzip: Speck ab oder stirb.
Patrick Donahoe, der neue US-Postchef, trat kürzlich vor den Senat und beschrieb jene Untergangsszenarien, die schon Vorgänger John Potter bemüht hatte. Für 2011 erwartet Donahoe erneut Verluste von mindestens 8,3 Milliarden Dollar. Ein 15-Milliarden-Dollar-Staatskredit ist bald erschöpft, eine im Herbst fällige Zahlung von 5,5 Milliarden Dollar in die USPS-Pensionskasse undenkbar. Ein Ende der Misere ist nicht absehbar: Allein die USPS-Flotte, mit 192.300 Fahrzeugen der größte zivile Fuhrpark der Welt, braucht 5,8 Milliarden Dollar für die Instandhaltung.
"Wir stehen am Scheideweg", sagte Donahoe mit resignierter Gewissheit. Wenn sich nichts ändere, werde die US-Post zum Jahresende "zahlungsunfähig" sein.
Massenservice zu Ramschpreisen
Es wäre das unrühmliche Ende einer Institution, die 1775 gegründet wurde, noch vor der Unterzeichnung der US-Unabhängigkeitserklärung, und in der Verfassung verankert ist. Erster "Postmaster General" war US-Gründungsvater Benjamin Franklin, damals wurden Briefe noch per Kutsche, Dampfschiff und zu Ross befördert, später mit der Eisenbahn gen Westen.
Heute ist der USPS mit 585.000 Mitarbeitern der zweitgrößte US-Arbeitgeber, nach dem Einzelhandelsriesen Wal-Mart. Indirekt wären von einer Pleite sogar fast neun Millionen Jobs betroffen. Wäre USPS ein Privatunternehmen, würde der Konzern mit zuletzt 67 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr 2010 auf Platz 34 der "Fortune 500" landen, der Liste der größten US-Unternehmen - noch vor den Ikonen Apple , Microsoft und Boeing .
Anders als seine privaten Rivalen FedEx und UPS ist USPS außerdem der einzige Zustelldienst, der alle 150 Millionen US-Adressen erreicht, selbst die entlegensten. Trotz der Zwangsschrumpfung der vergangenen Jahre befördert die Firma immerhin noch fast 40 Prozent der gesamten Weltpost.
Und das zu Ramschpreisen. Das Porto für einen regulären US-Brief beträgt 0,44 Dollar (rund 0,31 Euro), 44 Prozent weniger als zum Beispiel das deutsche Porto von 0,55 Euro - egal, ob nach Atlanta, Georgia, oder Anchorage, Alaska. Portoerhöhungen sind strikt reguliert und lösen immer wieder Proteststürme aus, ganz aktuell beschäftigt sich ein Berufungsgericht mit dem Thema.
Darin liegt einer der Gründe für die Postmisere. USPS muss sich im privaten Konkurrenzklima behaupten, hängt aber an der Kandare des Staates, namentlich des US-Kongresses. Die Republikanermehrheit im Repräsentantenhaus würde die Post am liebsten gleich ganz abschaffen, zumindest als Regierungsbehörde.
Zugleich sperren sich viele Demokraten gegen nötige Sparmaßnahmen - etwa den Vorschlag des USPS, die Samstagspost einzustellen und nur noch fünf Tage die Woche auszutragen, was im Jahr 3,1 Milliarden Dollar einbringen würde. Die demokratische Senatorin Claire McCaskill aus Missouri lehnt das ab, weil es der "Integrität des Produkts" schade. Was sie natürlich wirklich meint: Es schadet den Adressaten in ihrem ländlichen Wahlkreis.
Die Tea Party horcht auf
Hinzu kommt die für US-Verhältnisse starke Postgewerkschaft APWU, die schmerzliche Einschnitte blockiert. USPS-Mitarbeiter bekommen mit durchschnittlich 41 Dollar Stundenlohn bis zu 46 Prozent mehr als andere US-Angestellte. Kein Wunder, dass die USPS-Kündigungsrate bei weniger als 1,5 Prozent liegt - viel niedriger als in anderen Branchen.
Rund 80 Prozent der USPS-Kosten entfallen auf Löhne und Sozialleistungen. Bei UPS sind es 61 Prozent, bei FedEx sogar nur 43 Prozent. "Wir wollen mehr", polterte APWU-Präsident William Burrus dennoch zu Beginn der jüngsten Tarifverhandlungen - und bekam den Zuschlag.
Dabei ist das Image der US-Post miserabel: Endlose Warteschlangen auf den Postämtern, grantige Bedienung, defekte Maschinen und bummelnde Briefträger gehören seit langem zum Bild des USPS. Dennoch will Donahoe inzwischen nur noch 1000 der 32.000 US-Postämter schließen, nicht 2000, wie im März angekündigt. Stattdessen hat er den Kongress jetzt um eine indirekte Finanzspritze in Milliardenhöhe gebeten.
Denn nach eigener Schätzung hat USPS seit den siebziger Jahren bis zu 75 Milliarden Dollar zu viel in den staatlichen Rentenfonds gezahlt. Dieses Geld will Donahoe nun angeschrieben bekommen. Der jüngste Gesetzentwurf für eine US-Postreform hat diese Forderung aufgegriffen.
Erst kam die halbstaatliche Hypothekenbank Fannie Mae an den Staatstropf, dann General Motors: "Der nächste Kandidat wird USPS sein", orakelt daher das "Wall Street Journal". "Wir hoffen, dass die Tea-Party-Leute aufpassen." Glenn Garvin vom "Miami Herald" hat einen Vorschlag, wie der Kongress auf die Milliardenrechnung des USPS reagieren möge: "Empfänger unbekannt verzogen."
In der Tat: Ein solcher "Bailout" durchs Hintertürchen dürfte sich mit den Republikanern kaum durchsetzen lassen. Schon wird die Post zum Wahlkampfthema. Minnesotas Ex-Gouverneur Tim Pawlenty, der Ende Mai seine Kandidatur fürs Weiße Haus erklärte, hat USPS auf die Liste der überflüssigen US-Staatsbehörden gesetzt, die er abschaffen würde - neben der Amtrak-Eisenbahn und der Regierungsdruckerei. Dazu habe er ganz einfach den "Google Test" angewandt: "Wenn du eine Ware oder eine Dienstleistung im Internet findest, dann sollte die Regierung sie wahrscheinlich nicht erledigen."
"Es ist höchste Zeit, dass sich die Regierung aus diesen kommerziellen Aktivitäten zurückzieht", schreibt auch Finanzanalyst Tad DeHaven vom konservativen Cato Institute auf der Website Daily Caller. "Es ist höchste Zeit, dass die Politik erwägt, USPS zu privatisieren und die Postzustellung dem freien Wettbewerb zu überlassen." Das Cato Institute propagierte die Privatisierung der US-Post schon 1995.
"Fundament für die Zukunft", so lautete der Titel des USPS-Jahresberichts 2010 voller Zweckoptimismus. Doch diese Zukunft steht in Frage. "Der Postdienst", glaubt Ökonom James Hamilton, "ist eine sterbende Industrie."