Große Sozialreform So funktioniert das neue Bürgergeld

Hartz IV soll Vergangenheit sein – stattdessen kommt das neue Bürgergeld: Das Reformprojekt will das Bundeskabinett nun auf den Weg bringen. Der Überblick zu den wichtigsten Neuerungen.
Schild der Bundesagentur für Arbeit: »Hartz IV überwinden«

Schild der Bundesagentur für Arbeit: »Hartz IV überwinden«

Foto: Sonja Wurtscheid/DPA

Die hitzige Debatte zeigte bereits, dass es um eine große Veränderung geht: Das neue Bürgergeld. Für die einen ist es viel zu niedrig angesetzt. Andere befürchten eine demotivierende Wirkung für all jene, die derzeit für wenig Lohn arbeiten.

Zum 1. Januar soll das Bürgergeld das heutige Hartz-IV-System ablösen. Geplant ist ein Regelsatz von 502 Euro im Monat für alleinstehende Erwachsene. Der Hartz-IV-Satz liegt im Moment bei 449 Euro im Monat.

Im Lauf des Tages will das Bundeskabinett nun den Weg für die zentrale Sozialreform der Ampelkoalition bereiten. Die Ministerrunde will dazu einen Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil beschließen. Anschließend müssen sich Bundestag und Bundesrat noch damit befassen.

Ein Überblick über die wichtigsten Veränderungen – und über die Argumente der Befürworter und der Kritiker:

Die Regelsätze

Die Regelsätze sollen im Vergleich zum heutigen Hartz-IV-System um rund 50 Euro steigen. Zum 1. Januar ist dann ein Regelsatz von 502 Euro im Monat für alleinstehende Erwachsene vorgesehen. Der Hartz-IV-Satz liegt im Moment bei 449 Euro im Monat.

Sanktionen

Wer nicht mit dem Jobcenter kooperiert, muss den Plänen zufolge weniger Sanktionen fürchten. Solche Strafmaßnahmen waren bereits im Vorfeld gesetzlich ausgesetzt worden. Nun sollen die Möglichkeiten zur Kürzung der Leistungen generell stark eingeschränkt werden. So sollen künftig im ersten halben Jahr nur eingeschränkt Leistungsminderungen möglich sein, wenn jemand Termine beim Jobcenter versäumt hat. Bei sogenannten Pflichtverletzungen hingegen, wenn also eine zumutbare Arbeit nicht angenommen wurde, soll es im ersten halben Jahr gar keine Sanktionen mehr geben.

Arbeitsminister Heil verteidigte das Bürgergeld gegen den Vorwurf, es würde weitgehend ohne eigenes Engagement der Bezieher gezahlt. »Das Thema Mitwirkungspflichten, das bleibt. Aber das konzentrieren wir auf das, wo es notwendig ist«, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch im Deutschlandfunk. »Und ich sage es mal deutlich: Menschen, die chronisch keine Termine (beim Jobcenter) wahrnehmen, die haben auch mit Rechtsfolgen im neuen System zu rechnen. Aber der Geist des neuen Systems ist nicht der von Misstrauen, sondern von Ermutigung, von Befähigung.«

Anreize

»Statt auf demotivierende, häufig kontraproduktive Sanktionen setzt das Bürgergeld auf positive Anreize«, sagte der Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch. »Mit dem Bürgergeld werden wir Hartz IV überwinden«. Geplant ist etwa eine Weiterbildungsprämie von 150 Euro. Heil hatte in Interviews die Bedeutung solcher Anreize betont und gesagt, dass zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung hätten. Nur durch Qualifizierung könne der Weg aus der Bedürftigkeit in Arbeit eröffnet werden.

Vermögen

Zwei Jahre lang soll man bis zu 60.000 Euro Vermögen haben dürfen – auch wenn man Bürgergeld bezieht. Zudem können Leistungsbezieher in dieser Zeit in ihrer Wohnung bleiben, auch wenn sie eigentlich als zu groß gilt. Nach 24 Monaten Bürgergeldbezug sollen Vermögen und Angemessenheit der Wohnung überprüft werden können. Dabei soll mehr Vermögen als bisher unangetastet bleiben.

Zuverdienst

Arbeit soll im Bürgergeld künftig einen größeren Unterschied ausmachen als bislang, auch wenn der Lohn nicht reicht, um aus dem Grundsicherungsbezug herauszukommen. Konkret sollen von dem Verdienst zwischen 520 und 1000 Euro 30 Prozent (statt bisher 20 Prozent) behalten werden dürfen.

In voller Höhe behalten können Schülerinnen und Schüler aus Bürgergeld-Familien ihre Einkommen aus Minijobs – also bis 520 Euro im Monat. Zudem werden Einkommen aus Ferienjobs in unbegrenzter Höhe nicht auf das Bürgergeld angerechnet.

Kooperation

Wichtig ist der Ampelkoalition, dass Jobcenter den Betroffenen »auf Augenhöhe« begegnen, wie sie es schon in ihrem Koalitionsvertrag geschrieben hat. Anfangs soll hierzu ein Kooperationsplan erarbeitet werden. Was wünscht sich der oder die Arbeitslose für den weiteren Werdegang? Besser als bisher sollen diese Wünsche berücksichtigt werden. Grünenpolitiker Audretsch macht noch auf eine andere geplante Neuerung aufmerksam: »Künftig werden alle von den Jobcentern in freundlichen, klaren Sätzen angeschrieben«, sagt er. »Keine komplexen Rechtstexte, keine Rechtsfolgenbelehrungen, die häufig wie Drohungen wahrgenommen werden.«

Das sagen die Kritiker

Die Union sieht im Bürgergeld einen Fehlanreiz. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kritisierte in der »Augsburger Allgemeinen«, der Grundsatz des Forderns und Förderns werde durch das Bürgergeld weiter eingeschränkt. »Das kann gerade dazu führen, dass der Leistungsbezug zementiert wird und Demotivation statt Arbeitsaufnahme gefördert wird«, warnte Dobrindt. Der sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Stracke (CSU), kritisierte in der »Rheinischen Post« ebenfalls: »Mit dem Bürgergeld wird Nichtarbeit deutlich attraktiver.«

Ganz anders argumentierte Linke-Fraktionsvize Susanne Ferschl. Sie nannte das Bürgergeld trotz einiger Verbesserungen »Armut per Gesetz«. Die geplante Erhöhung gleiche nur inflationsbedingte Mehrkosten aus, sagte sie der »Augsburger Allgemeinen«. Der Regelsatz müsse mindestens um 200 Euro zuzüglich Stromkosten steigen, forderte Ferschl.

Das Deutsche Kinderhilfswerk hält die finanzielle Unterstützung für Kinder im neuen Bürgergeld für unzureichend. »Die stark gestiegene Inflation und insbesondere die explodierenden Energiepreise« würden finanzielle Verbesserungen »komplett zunichtemachen«, erklärte Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann. »Es sind also deutlich höhere Investitionen nötig, um Kinder wirksam aus der Armut herauszuholen.«

Arbeitsminister Heil widersprach Kritikern von beiden Seiten. Er sagte, das Bürgergeld werde für Erwerbslose Anreize zur Aufnahme einer Arbeit schaffen. »Es gibt in diesem System neue Anreize, tatsächlich Wege aus der Bedürftigkeit zu finden«, sagt er im ARD-»Morgenmagazin«. Er versprach ein »unbürokratischeres System«. Es werde Kooperationsvereinbarungen und auch Mitwirkungspflichten geben, eine ganze Menge an Bescheiden jedoch nicht mehr. Der Geist des neuen Systems sei einer der »Ermutigung und Befähigung«.

Zugleich widersprach Heil der Kritik, die Steigerung der Regelsätze sei zu gering. »Das ist immerhin eine sehr große Erhöhung um 52 Euro. Man muss dazu auch wissen, dass bei Empfängerinnen und Empfängern der Grundsicherung auch die Heizkosten übernommen werden, zusätzlich.« Es sei aber kein Einstieg in ein bedingungsloses Grundeinkommen. »Das ist Quatsch«, sagte der Minister im Deutschlandfunk.

mmq/dpa
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