
Nachfolge an der Bundesbankspitze Vorsicht vor falschen Helden der Stabilität


Noch-Bundesbank-Chef Jens Weidmann
Foto: Frank Rumpenhorst / Deutsche BundesbankSeit Jens Weidmann vermeldet hat, nicht mehr Bundesbankpräsident sein zu wollen, herrscht Wehklagen – und der Tenor scheint klar. Mit Weidmann gehe einer der letzten Wächter der »Stabilität«. Ein schwerer Rückschlag sei das für die »stabilitätsorientierte« Währungspolitik in Europa, so ein Politiker der CDU. Schon kursiert die bange Frage, ob »künftig weniger auf Stabilität geachtet« wird. Per se und überhaupt. Die Bundesbank müsse jetzt »weiter Anwältin einer stabilitätsorientierten Geldpolitik sein«, meldete flugs ein führender FDP-Politiker an.
Das klingt gut und kommt an – und doch drängt sich bei so viel Stabilitätsrhetorik ein merkwürdig leeres Gefühl auf. Und die Frage, was mit »stabilitätsorientiert« genau gemeint ist. Immer vor Inflation warnen, wenn andere sie noch nicht sehen? Und im Zweifel dann für höhere Zinsen sein? Und überhaupt immer irgendwie mahnen? Und ob so ein Verständnis von Stabilität noch in die heutige Zeit passt. Oder die Bundesbank da vielleicht doch auch noch einen Mythos aus ihren ersten Jahrzehnten mit sich trägt. Ein Gedankengebäude, das nach wie vor wohlklingt, aber nur noch sehr bedingt praxistauglich ist – in Zeiten immer neuer Finanzkrisen, drohender Klimaschocks, auseinandergedrifteter Vermögen und einer tieferen Vertrauenskrise in die westlichen Demokratien. Dann bräuchte es mit einem neuen Chef auch eine moderne und wieder relevante Bundesbank-Idee.
Ein Auftrag aus sonnigen Zeiten
Als die oberste deutsche Währungsbehörde ihr Renommee sammelte, steckte die deutsche Wirtschaft in ihrem Nachkriegswunder. Da ging es eher darum zu mäßigen, als loszulegen. Damals gab es Banken, die noch gepflegt Kredite an Leute vergaben, die damit etwas aufbauen wollten – statt das Gros der Kredite zum Spekulieren zu nutzen. Damals war der Kapitalverkehr international reguliert und überschaubar. Deshalb gab es auch keine alljährlich drohenden regionalen oder globalen Finanzkrisen. Damals schien auch kein Klima zu kippen. Und Einkommen und Vermögen drifteten so wenig auseinander, wie es vorher und seither nicht mehr der Fall war.
In dieser sonnigen Welt bekam die Bundesbank den Auftrag, für »stabile« Preise zu sorgen – indem sie gelegentlich den Leitzins etwas anhebt oder senkt, je nach aktueller Konjunktur. Zu Hochzeiten der marktliberalen Lehre galt sogar der Satz als ausgemacht, dass der einzige und beste Beitrag zum Wohlstand des Landes darin liege, unter allen Umständen für stabile Preise zu sorgen.

Bundesbankzentrale in Frankfurt am Main
Foto: brennweiteffm / IMAGODas Kuriose ist, wie stoisch unbekümmert solche Sätze anno 2021 noch in Deutschland zu lesen sind – etwa wenn ein Bundesbank-Chef abtritt.
Zu bröckeln begann das Ganze schon mit dem, was in den Siebzigerjahren passierte – als das Bretton-Woods-System fester Wechselkurse kollabierte und die D-Mark dramatisch aufwertete. Das hatte mit Stabilität schon nichts mehr zu tun, stellte die Bundesbank aber immer wieder vor neue Aufgaben – die eben nicht mehr mit ein bisschen Zinsen hier und da, sowie dem schlichten Verfolgen des alleinigen Ziels stabiler Preise zu bewältigen waren. Dazu kam mit der großen Finanzderegulierung seit Ronald Reagan und Margaret Thatcher in den Achtzigerjahren, dass per se Schluss war mit stabilen Finanzmärkten. Seither folgten fast im Jahresrhythmus Crashs. Und eine Welt, in der Finanzpaniken gewählte Regierungen kippen und Rezessionen mit sich bringen können.
Was in so einem Umfeld ein herkömmliches Verständnis von Stabilitätsorientierung anrichten kann, hat die Bundesbank unfreiwillig dargelegt, als 1992 Finanzjongleure in immer neuen Schüben gegen die Währungen im Europäischen System spekulierten – und die Bundesbanker an ihren angeblich stabilitätsgerecht hohen Zinsen festhielten. De facto trugen die deutschen Notenbanker so maßgeblich dazu bei, dass die Spekulanten gewannen und das britische Pfund damals aus dem Klub rausflog – ein Drama, das nach Einschätzung mancher Beobachter der Urknall war, der früher oder später zum Brexit führen musste.
Man braucht ein relativ enges Verständnis von Stabilität, um das, was die Bundesbanker damals unter der Stabilitätsflagge machten, als Stabilitätsbeitrag einzustufen. Sie nahmen vor lauter falschem deutschen Stabilitätseifer das Gegenteil in Kauf. Erst als auch der französische Franc attackiert wurde, sahen die Notenbanker ein, dass es ganz offenbar noch andere Dimensionen von Stabilität gibt, über die sie mitbestimmen. Und die für Menschen und Wohlstand im Land ziemlich wichtig sind.
Der Mythos blieb. Als 2008 die globale Finanzkrise eskalierte, wartete die Europäische Zentralbank unter dem »deutschen Franzosen« (SPIEGEL) Jean-Claude Trichet noch Wochen, bevor sie reagierte – da war die Krise schon eskaliert. Ähnliches passierte im April 2011, als die EZB unter damals noch stark urdeutsch geprägter Führung die Zinsen anhob – mitten in der damals gerade eskalierenden Eurokrise, wie der Würzburger Ökonom Peter Bofinger diese Woche schrieb. »Mit diesen Fehlentscheidungen hat die EZB den Euroraum destabilisiert«, so Bofinger .
In all den Fällen gilt: Was als stabilitätspolitisch motivierte Politik daherkommt, hat de facto das Gegenteil bewirkt. Umgekehrt spricht viel dafür, dass es zu noch viel mehr Turbulenzen und Krisen geführt hätte, wenn etwa Mario Draghi in Abweichung vom Bundesbank-Dogma dereinst nicht die Eurokrise gestoppt hätte. Wäre die EZB streng der »stabilitätsorientierten« deutschen Linie gefolgt, wie es Weidmanns Vorgänger noch wollten, hätte das mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einem Auseinanderbrechen der Union und jahrelangem Währungschaos geführt. Kurioses Verständnis von Stabilität, was meinen Sie?
Wenn die Notenbanken nach wie vor weltweit eine so ungewöhnliche Politik niedriger Zinsen fahren, ist das ja nicht der Ursprung für Instabilität – sondern die Reaktion darauf, dass die Finanzmärkte immer wieder zu gefährlichen Euphorie- und Panikwellen neigen. Da wäre schon gut, Ursache und Reaktion nicht zu verwechseln – und die Feuerwehr zum Brandstifter umzudeuten.
Sich theatralisch als Verfechter der Stabilität hochloben lassen
Dass all das keine kleinen Ausreißer-Krisen wegen unsittlicher Südeuropäer waren, ist spätestens seit Ausbruch der Coronapandemie im März 2020 klar. Auch da mussten die Notenbanker weltweit eingreifen, um einen neuen Finanzcrash zu verhindern. Stabilitätsorientierte Rettung. Dass solche Eingriffe in Bundesbank-Freundeskreisen immer noch als Abkehr von einer stabilitätsorientierten Politik eingeordnet werden, zeigt vor allem eins: welche Dramen es auslösen kann, wenn man zu lange und zu stur an alten Mythen festhält. Und: Dass Jens Weidmann sich trotzdem so theatralisch als einsamer Verfechter der Stabilität hochloben lassen konnte, hat natürlich auch damit zu tun, dass er im Zentralbankrat die Rolle des Mahners immer wieder spielen konnte – ohne für die potenziellen Folgen eines womöglich falschen Verständnisses von Stabilität die Verantwortung übernehmen zu müssen. Es kam ja mangels Mehrheit für die eigene Position nie zum Realitätscheck.
Was in Sachen Finanzmarkt gilt, gilt heute auch für anderes. Gerade weil die Notenbanker so aktiv eingreifen, sind sie unfreiwillig zu Akteuren geworden, deren Aktionen auch anderweitig noch (de-)stabilisierend wirken können. Es hätte anno 2021 etwas Groteskes, wenn Notenbanker, die monatlich zig Milliarden Euro Anleihen kaufen, dabei nicht auch darauf achteten, nicht die globalen Versuche zu konterkarieren, das Klima zu retten – indem sie de facto klimaschädliche Investitionen bevorzugen. Immer deutlicher wird heute zudem, welch enormen Einfluss die Politik der Notenbanken auf die Verteilung von Vermögen hat – wenn ihre Interventionen zum einen für stark steigende Aktienkurse sorgen, den profanen Sparer aber mit Nullzinsen stehen lassen (Was auch nicht so einfach anders geht, wenn man den nächsten Crash verhindern will).
Auch da wirkt das Label von der angeblich so stabilitätsorientierten deutschen Geldpolitik plötzlich widersinnig – wenn die damit herkömmlich gemeinte Politik eher zur Beschleunigung von Klimakrisen oder einem auf Dauer gesellschaftlich nicht mehr tragbaren Auseinanderdriften der Vermögensverhältnisse beiträgt. Da geht es um sehr viel mehr als einfach nur stabile Preise wie zu goldenen Bundesbank-Zeiten.
Es lässt sich darüber streiten, ob deshalb jeder Schritt der Notenbanker in den vergangenen Jahren richtig war – und ob es richtig war, zur Stabilisierung der Finanzwelt so viel Geld über die Banken gehen zu lassen, statt es den (Nicht-Finanz-)Menschen zu geben. Das hat mit hoher Wahrscheinlichkeit Aktien- und andere Blasen verstärkt – und mehr Kollateralschäden mit sich gebracht, als womöglich nötig war.
Da helfen keine alten Sonntagsreden. Da liegt das Problem viel tiefer: in einer entglittenen Finanzglobalisierung. Und dann muss man sehr viel ernsthafter darüber nachdenken, wie sich die Finanzwelt wieder so regulieren ließe, dass sie vor allem der Realwelt dient und das nötige Geld liefert. So wie das zu guten Bundesbank-Zeiten mal der Fall war.
Es hat etwas umso Absurderes, den Abtritt Jens Weidmanns' dadurch zu romantisieren, dass dem armen Mann in seinem heroischen Kampf gegen das Böse »die Geduld ausging« (das ist ernsthaft so geschrieben worden). Die plausiblere Beschreibung wäre, dass Weidmann vor der Aufgabe kapituliert hat, mit dem alten Bundesbank-Werkzeug die Probleme unserer Zeit zu lösen – und zu einer Neuerfindung der Bundesbank in Zeiten instabiler Finanzmärkte, akuter Klimaprobleme und gesellschaftlicher Instabilität beizutragen.
Vielleicht wollte Jens Weidmann das auch sagen, als er in seiner Rücktrittserklärung geschrieben hat, es sei nun auch für die Bundesbank Zeit, »ein neues Kapitel aufzuschlagen«.
Spricht vieles dafür. Und dafür, als Nachfolger oder Nachfolgerin jemanden auszuwählen, der oder die das zumindest versucht. Und vielleicht als Erstes noch einmal neu definiert, was eigentlich stabil ist.