Bemerkenswerte Kehrtwende Bundesfinanzministerium will Solidaritätszuschlag nicht vor Gericht verteidigen

Finanzminister Lindner: Würde den Solidaritätszuschlag gern abschaffen
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Wenn der Bundesfinanzhof am kommenden Dienstag über die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags verhandelt, wird offenbar ausgerechnet ein prominenter Fürsprecher fehlen – nämlich der Vertreter des Bundesfinanzministeriums.
Laut einem Bericht der »FAZ« soll Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) persönlich entschieden haben, dass sein Haus den sogenannten Beitritt zu dem Verfahren vor dem Bundesfinanzhof zurückzieht. Aufgabe des Vertreters wäre es gewesen, den Soli vor Gericht zu verteidigen. Doch dazu wird es nun wohl nicht kommen.
Ein Sprecher des Gerichts bestätigte, dass das Ministerium – anders als bislang geplant – nun doch keinen Vertreter zu dem Verfahren entsenden möchte. Die Kehrtwende ist bemerkenswert, denn mit dem Schritt korrigiert Lindner eine Entscheidung seines Amtsvorgängers Olaf Scholz (SPD), inzwischen Bundeskanzler.
Lindner wirbt schon länger für eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags, der inzwischen nur noch für Personen mit höheren Einkommen gilt. SPD und Grüne haben sich gegen Steuersenkungen für Reiche ausgesprochen. Im Koalitionsvertrag hatten die Ampelparteien das heikle Thema Solidaritätszuschlag ausgeklammert.
Bei dem Verfahren muss der Bundesfinanzhof klären, ob die Erhebung des Solis seit dem Jahr 2020 noch verfassungsgemäß ist. Vor Gericht zog ein Ehepaar aus Bayern.
Das Finanzamt setzte für das Paar als Einkommenssteuervorauszahlung für das Steuerjahr 2020 einen Solidaritätszuschlag in Höhe von ungefähr 2000 Euro fest. Das Ehepaar beantragte, diese Zahlung auf null Euro zu senken. Es gab an, dass der Solidaritätszuschlag eine Ergänzungsabgabe sei und nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden dürfe.
Beim Finanzamt hatte es damit keinen Erfolg. Auch das Finanzgericht Nürnberg wies die Klage ab, soweit sie sich auf das Steuerjahr 2020 bezog. Nur für 2021 senkte es den Vorauszahlungsbescheid deutlich. Seitdem gilt nämlich eine neue gesetzliche Regelung. Seitdem sind Privatleute nur noch vom Soli betroffen, wenn sie zu den Gutverdienern zählen oder den Sparerfreibetrag überschreiten.
Hat der Solidaritätszuschlag noch eine Berechtigung?
Der erste Solidaritätszuschlag wurde 1991 eingeführt und lief Mitte 1992 aus. Er diente vor allem der finanziellen Bewältigung der Wiedervereinigung. Sein Nachfolger wird seit 1995 erhoben, er betrug zunächst siebeneinhalb und danach fünfeinhalb Prozent der zu zahlenden Einkommensteuer. Dabei gab es aber eine Freigrenze, die im Jahr 2019 für zusammen veranlagte Ehepaare bei 28.569 Euro lag. Oberhalb dieser Grenze wurde der Solidaritätszuschlag schrittweise bis auf fünfeinhalb Prozent angehoben.
Ab dem Jahr 2021 wurde die Grenze deutlich nach oben verschoben, sodass inzwischen 90 Prozent der Steuerpflichtigen keinen Solidaritätszuschlag mehr zahlen. Die Freigrenze liegt bei mehr als 125.000 Euro zu versteuerndem Einkommen für Verheiratete.
Der sogenannte Solidarpakt II, mit dem die ostdeutschen Länder unterstützt wurden, lief allerdings schon 2019 aus. Damit argumentierte das Ehepaar: Der Solidaritätszuschlag habe 2020 seine Berechtigung verloren, er verstoße gegen das Grundgesetz. Auch die ab 2021 geltende Regelung halten die beiden für verfassungswidrig, sie verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Sie zogen gegen die Entscheidung des Finanzgerichts vor den BFH.
Dieser muss darüber beraten, ob er das Solidaritätszuschlagsgesetz von 1995 nunmehr ebenfalls für verfassungswidrig hält. In dem Fall müsste er die Frage dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorlegen. Wie der BFH mitteilte, geht es in dem Verfahren um ein Steueraufkommen von insgesamt etwa elf Milliarden Euro pro Jahr. Eine Entscheidung soll am Dienstag noch nicht fallen, sie wird voraussichtlich Ende Januar verkündet.
Aktenzeichen: IX R 15/20
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Artikels hieß es, dass der Solidaritätszuschlag nur von Gutverdienern bezahlt werden muss. Tatsächlich wird er auch für Anleger fällig, die den Sparerfreibetrag überschreiten. Wir haben die entsprechende Passage geändert.