
Schulden gegen Putin Wenn der Staat plötzlich doch Milliarden raushauen kann


Bundeswehrsoldaten: Offenbar doch bessere Schulden
Foto: Patrick Pleul / dpaKaum zwei Wochen ist es her, da hat der Bundesfinanzminister noch gewarnt, die Regierung müsse dringend Ausgabenwünsche begraben. Alles gehöre »auf den Prüfstand«. Und in Zeitungen war zu lesen, dass erstmals seit Langem wieder konsolidiert werden müsse – weil mehr Schulden nicht gingen. Und Schulden nun mal Schulden sind.
Jetzt ist Wladimir Putin in die Ukraine einmarschiert, selbst bei uns wirkt der Frieden in Gefahr. Und? Schon sind 100 Milliarden Euro an Schulden geplant, um die Bundeswehr zu »ertüchtigen«. Prüfstand-Minister Christian Lindner warnt, dass man, wenn es um die Wehrfähigkeit geht, jetzt nicht vor Schulden warnen dürfe (hat er gesagt). Wofür jetzt ein »Sondervermögen« geschaffen wird, was netter als Schulden klingt (und bei der Schuldenbremse nicht gezählt wird), aber nichts anderes ist. Weshalb zumindest bei der Bundeswehr jetzt doch nicht »alles auf den Prüfstand« muss, anders als noch vor zwei Wochen. Weil diese Schulden offenbar doch besser sind als andere.
Jetzt mag der Anlass auf Anhieb hinreichend besonders sein, um ein Sonderding zu begründen und »nicht auf jeden Cent zu gucken«, wie in einem Kommentar zu lesen war. Und doch weckt die bundesfiskalische Wendung seit ihrer Ankündigung am Sonntag beim einen oder anderen kognitive Dissonanz in einem Land, in dem tagein, tagaus erklärt wurde, dass kein Geld für dies und das da sei – und man nur so viel ausgeben könne, wie man einnimmt. Eherne schwäbische Gesetze.
Ein Land, in dem bei entsprechenden Pandemien, Bankenkrisen und Kriegen dann doch immer wieder ganz schön schnell Geld da zu sein scheint. Was wiederum auch jenes konservativ-deutsche Dogma allmählich ad absurdum führt, wonach gute Finanzpolitik durch möglichst strikte Schuldenregeln und unbeugsame jährliche Defizitziele entsteht.
Was alles als Ausnahme gilt
Selbst pazifistisch verankerte Gemüter haben gerade Schwierigkeiten, der Feststellung zu widersprechen, dass die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ganz gut sind – um Putins Aggression zumindest warnend etwas entgegenzuhalten. Was dafür spricht, dass es hier um eine absolute Ausnahme geht, die so besonders ist, dass dafür womöglich gar das Grundgesetz geändert wird. So weit, so gut. Was aber, sollte Putin aus welchem Grund auch immer in Kürze nicht mehr da sein – und stattdessen internationale Abrüstungsgespräche stattfinden mit dem Ziel, deutlich weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Militärisches auszugeben? Nur mal angenommen.
Dann könnten andere Dinge wieder umso besonderer wirken. Wenn doch noch eine gefährlichere Virusvariante zu uns mutiert. Oder das Klima einem der Kipppunkte näherkommt, vor dem ja nicht nur Klimaaktivisten, sondern auch artgerecht emotionsfreie Physiker warnen – und plötzlich Ausnahmelage herrscht und Hilfsfonds für Unwetteropfer nötig werden. Nur sehr viel mehr als vergangenen Sommer. Wir hoffen, dass das alles nicht kommt. Es ist aber eben als Risiko nicht so ganz weit weg.
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Gibt es dann alle zwei Jahre neue Notfonds, die mit Ausnahmelage begründet werden? Was der Definition der Ausnahme früher oder später dann doch entgegenliefe. Vor allem, weil Putin eben nicht der erste Notfall ist: mit der Begründung gab es 2009 (völlig zu Recht) mehr Schulden wegen der großen Finanzkrise, danach Notlagen in der Eurokrise, gefolgt von Sondersituationen, als die Geflüchteten aus Syrien kamen, von der Notlage der Unwetter 2021 und dem Sonderdebakel der Coronapandemie.
Was also ist die Ausnahme? Die Frage ist ja berechtigt, ob eine womöglich drohende Klimakatastrophe nicht ein mindestens ebenso guter Grund für schuldenfinanzierte Gegenwehr ist – wie nun die Ausgaben, die dafür dienen sollen, Wladimir Putin zu beeindrucken. Das würde auch die argumentativen Verrenkungen kurios wirken lassen, mit denen die Regierenden der Ampelkoalition angesichts drohender CDU-Verfassungsklagen gerade begründen müssen, warum ungenutzte Gelder aus dem Corona-Sonderfonds auch für den Versuch eingesetzt werden dürfen, das Klima zu retten. Weil zwar Corona als nationale Notlage galt, aber nicht die drohende Klimakrise, die ja noch nicht da ist. Tückisch.
Wäre es dann nicht überhaupt und per se besser, das Geld zu investieren, bevor die Notfälle eintreten – bevor die Regierung Notfall-Fonds mit Ausnahmeschulden auflegen muss? Ist ja nicht unbedingt schlau, der Bundeswehr erst über Jahre Gelder zu kürzen, weil es das allgemeine Spardiktat will – um sie dann abrupt ertüchtigen zu müssen, weil im akuten Putin-Fall der Verdacht aufkommt, dass sie uns gar nicht mehr so richtig verteidigen könnte. Wenn vorausschauendes Verschulden dazu beitrüge, den Klimawandel zu stoppen, wären teure Sonderfonds gar nicht mehr nötig – weil Flutkatastrophen ausblieben. Vorsorge statt Aufräumen.
Jetzt beim Klimaschutz sparen? Ehrlich?
All das lässt auch jene Kommentare aus den vergangenen Tagen befremdlich wirken, nach denen die Bundeswehr jetzt zwar das große Geld bekommen soll – dafür aber alles andere (erst recht) nun auf den Prüfstand gehöre; und in den nächsten Jahren ebendort umso mehr zu sparen sei. Ernsthaft? Alles? Auch das Geld, das gerade mühsam in Klimapolitik gesteckt wird? Oder in Ämter, damit die in einer Pandemie nicht wieder Faxe verschicken müssen? Oder ins Gesundheitssystem? Und in die Pflege? Oder in Prävention, damit die nächste Pandemie erst gar nicht aufkommt? Oder in Schulen? Und in die Stabilität des Bankensystems, damit nicht zur Abwechslung die nächste Notsituation wieder von dort kommt – und die Regierung sich dann wieder verschulden muss, um Banken zu verstaatlichen?
Selbst der gängige Rat irrlichternder Ökonomen, statt der Investitionen besser Sozialausgaben zu kürzen, könnte sich als verrückt erweisen. Wenn sich bestätigt, was Studien schon länger zeigen, bekommen Populisten gerade dort besonders viel Zulauf, wo die Menschen unter einem Mix aus wirtschaftlichen Brüchen und staatlicher Kürzung von Unterstützung leiden. In Großbritannien haben die Frustrierten in solchen Regionen entscheidend zum Brexit-Votum beigetragen, fand der Ökonom Thiemo Fetzer in einem viel zitierten Paper heraus. In den USA kam Donald Trump aus ähnlichen Gründen einst an die Macht. Wenn das so ist, könnte sich in ein paar Jahren auch bei uns als fatal erweisen, die jetzt angekündigte Ertüchtigung der Bundeswehr durch Kürzen sozialer Ausgaben gegenfinanzieren zu wollen.
Wie derlei Notlagenfinanzpolitik politisch nach hinten losgehen kann, wurde in Deutschland nach der Finanzkrise ebenso spürbar wie 2015, als plötzlich Geld erst für Banken und dann für die Aufnahme von Geflüchteten da war – nachdem es unter Gerhard Schröder kurz vorher noch geheißen hatte, es sei für alles Mögliche kein Geld da. Hochzeit für die AfD.
Was sich mit der Idee des finanzpolitischen Vorbeugens alles legitimieren ließe, darüber lässt sich streiten, klar. So ist das in der Politik. Den Gedanken vorbeugender Schulden gar nicht erst zuzulassen, weil sonst ja – deutsches Totschlagargument – jeder kommen könnte, ist allerdings der denkbar dämlichste Reflex. So dämlich wie der Versuch, eine vernünftige Finanzpolitik dadurch hinzukriegen, dass man nur möglichst harte pauschale Schuldengrenzen einzieht – oder alles »auf den Prüfstand« stellt. Das ersetzt kein Nachdenken darüber, was sinnvolle und unsinnige Ausgaben sind, also auch sinnvolle und unsinnige Schulden. Da hilft alles, aber keine Rumtata-Regel, die nur Schuldensalden setzt – und nicht beantwortet, welche Ausgaben in Zukunft Erträge versprechen und sich so selbst (mit-)finanzieren; oder dazu beitragen, nationale Notlagen erst gar nicht aufkommen zu lassen.
Ob beim Klima, in der Demokratie oder beim Verteidigen des Landes gegen Tyrannen.