Energiewende im großen Stil China baut gigantische Solar- und Windparks in der Wüste

In unwirtlicher Umgebung will China Ökostromanlagen mit der Leistung von 450 kleineren Atomkraftwerken bauen. Das Land wird damit zur größten Hoffnung für die globale Energiewende – während es massiv CO₂ emittiert.
Chinesischer Solarpark (Archivbild)

Chinesischer Solarpark (Archivbild)

Foto: © Carlos Barria / Reuters/ REUTERS

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Die Nachricht ging, angesichts ihrer immensen Tragweite, ziemlich unter. Am vorvergangenen Samstag gab China offiziell die Baupläne von Solar- und Windparks mit rund 450 Gigawatt Leistung bekannt.

Es sei das größte derartige Projekt in der Geschichte, sagte  He Lifeng, Direktor der Nationalen Kommission für Entwicklung, am Rande des Nationalen Volkskongresses zu der Nachrichtenagentur Reuters. Beachtung in anderen Medien fand er damit kaum, vermutlich wegen Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine.

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Dabei ist die Ankündigung nicht weniger als eine Sensation. 450 Gigawatt – das entspricht der Leistung von 450 kleineren Atomkraftwerken. Es ist ungefähr dreimal so viel wie die Kapazität aller deutschen Ökostromanlagen zusammen. Und mehr als viermal so viel Leistung, wie das gescheiterte Desertec-Projekt für Europa bereitstellen sollte. Wie bei den EU-Plänen in der Sahara sollen auch Chinas Gigaparks in Wüstenregionen entstehen, vor allem in der Gobi.

Hinter der Ökooffensive dürften vor allem Wirtschaftsinteressen stecken. Erneuerbare Energien gelten als eine der größten globalen Zukunftsmärkte – und als geopolitischer Machthebel. Wer sie konsequent ausbaut, darf auf mehr Versorgungssicherheit, sinkende Energiekosten und zusätzliche Einnahmequellen durch Patente und Technologieexporte hoffen. Die chinesische Regierung stellt schon seit mehr als zehn Jahren die entsprechenden Weichen in Richtung globale Marktführerschaft.

Experten waren Chinas Wüstenstrompläne schon länger bekannt. Bereits im Dezember habe die Nationale Energieverwaltung (NEA) Unternehmen aufgerufen, sich für den Bau der Solar- und Windparks zu bewerben, sagt Frank Haugwitz, Chef des deutsch-chinesischen Beratungsbüros AECEA, dem SPIEGEL. Schon Mitte Januar, kurz vor dem chinesischen Neujahr, hätten sich die entsprechenden Interessenbekundungen auf knapp über 460 Gigawatt belaufen.

Die ersten hundert Gigawatt hatte Chinas Präsident Xi Jinping vergangenen Oktober im Rahmen der Uno-Diversitätskonferenz in der südchinesischen Stadt Kunming angekündigt. Die meisten dieser Projekte habe die NEA schon genehmigt. »Etwa die Hälfte könnte bis Ende 2022 am Netz sein.« Die restlichen 350 Gigawatt sollen bis spätestens 2030 folgen.

Hinzu kommen weitere Ökostromprojekte im gesamten Land. Insgesamt will  die chinesische Regierung bis 2030 Anlagen mit einer Leistung von 1200 Gigawatt bauen lassen.

Megaparks für Chinas »Supergrid«

Es ist nicht nur das ambitionierte Tempo, das die Ökostromambitionen in Fernost so bemerkenswert macht. Die Gigaparks in der Wüste sollen zusätzlich auch noch über sogenannte Ultrahochspannungsleitungen (UHV) mit den Ballungszentren im Osten des Landes verbunden werden, teils auch mit weniger entwickelten Regionen in Chinas Westen.

In UHV-Leitungen fließt Strom mit einer Spannung von bis zu 800.000 Volt durch Gleichstromkabel oder mit bis zu 1,1 Millionen Volt durch Wechselstromsysteme. Elektrizität kann so über sehr weite Distanzen mit vergleichsweise geringen Verlusten transportiert werden.

Mittelfristig will die Volksrepublik mittels UHV-Leitungen ein nordasiatisches »Super Grid« bauen, das Russland, die Mongolei, Südkorea, Nordkorea und Japan mit China vernetzt  und den Austausch von Elektrizität über Tausende Kilometer hinweg ermöglicht. Sogar die Idee einer Art Weltstromnetz stand einmal im Raum. Es fragt sich allerdings, wie realistisch solche Projekte sind – angesichts der politischen Spannungen zwischen vielen dieser Länder.

Eine Herausforderung ist laut Energieexperten zudem die Effizienz der Solarpaneele. Gerade in Wüstengebieten sind die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht extrem. Hinzu kommt die hohe Staubkonzentration in der Luft. Beides könnte die Stromproduktion rasch verringern und teure Wartungsarbeiten nötig machen.

Klimakiller China

Hauptproblem aber bleibt, dass China trotz des Ökostrombooms vorerst weiter massiv Kohle verfeuert. So stammen noch immer fast sechzig Prozent des gesamten in der Volksrepublik erzeugten Stroms aus Kohlekraftwerken. Chinas Meiler haben eine Leistung von insgesamt 1200 Gigawatt. Allein 2020 hat das Land neue Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 38,4 Gigawatt in Betrieb genommen – fast so viel wie alle bestehenden deutschen Meiler zusammen leisten.

Und wegen der globalen Energiekrise lässt China gerade fast alle Kohlekraftwerke auf Hochtouren laufen. Im vergangenen Sommer und Herbst hatte es immer wieder Berichte über Stromknappheit in Teilen Chinas gegeben. Hintergrund waren ein ungewöhnlich großer Energiebedarf der Industrie, die wegen Nachholeffekten nach der Coronakrise Bestellungen aus aller Welt abarbeiten musste, und die hohen Preise auf dem Gasmarkt, derentwegen die chinesischen Importe von Flüssiggas zurückgingen.

Die Belastung für das Klima ist massiv. Im Jahr 2020 emittierte China mehr als zehn Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid – doppelt so viel wie die USA. Die Volksrepublik ist mit Abstand der größte CO2-Emittent der Welt. Und der Kohlenstoffdioxid-Ausstoß könnte noch bis 2030 weiter steigen. Erst dann soll er nach Willen der Regierung in Peking seinen Zenit erreichen.

Und so ist die Volksrepublik China Klimaretter und Klimakiller zugleich. Einerseits befeuert sie mit ihren Gigaprojekten die Massenfertigung von Ökostromanlagen und drückt weltweit die Kosten der Energiewende. Andererseits beschleunigt sie gerade jedes Jahr mehr die Erderhitzung.

Einen Widerspruch mag die Regierung in Peking darin nicht erkennen. Die Kohlekraft bleibe vorerst ein »lebenswichtiger Teil« seiner Energiestrategie, sagte Xi auf dem Nationalen Volkskongress. Auch China könne bei den fossilen Brennstoffen keine Vollbremsung machen.

Anmerkung: In einer früheren Version waren die deutschen Ökostromkapazitäten zu hoch angegeben. Wie haben die Passage angepasst.

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