Gratisaktion der Bundesregierung Machen Deutschlands Apotheker gerade das Geschäft ihres Lebens?

Um Risikogruppen mit kostenlosen FFP2-Masken zu versorgen, bezahlt der Bund rund eine halbe Milliarde Euro. Der Ansturm ist groß, der Ärger auch. Apotheker sehen sich zu Unrecht in der Kritik.
Apotheker in Bielefeld: Sechs Euro für 60-Cent-Masken?

Apotheker in Bielefeld: Sechs Euro für 60-Cent-Masken?

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Friso Gentsch / dpa

Wer in diesen beschwerlichen Zeiten mal ein schallendes Lachen hören möchte, kann sich in Oberottmarshausen nach Masken erkundigen. In der kleinen bayerischen Gemeinde hat das Familienunternehmen Siegmund seinen Sitz. Seit vergangenem Frühjahr lässt Firmenchef Daniel Siegmund Hunderte Millionen Masken an Krankenhäuser, Pflegeheime und Privatpersonen ausliefern, vom Seidenschutz zur vorgewölbten FFP2-Maske ist alles dabei. Derzeit aber geht in Oberottmarshausen so gut wie gar nichts mehr. »Die Apotheken haben uns völlig leer geräumt«, sagt Siegmund.

Auf der Website  seines Unternehmens prangt eine Warnung an potenzielle Käufer: Aufgrund der kostenlosen Aktion des Gesundheitsministeriums ergebe sich eine Lieferzeit von »10 bis 20 Tagen«. Eine Mitarbeiterin prustet los, wenn man sie am Telefon nach dem aktuellen Lagerbestand fragt. Und in den Auftragsbüchern des Chefs stehen schon jetzt zehn Millionen Masken, die er vor Januar nicht ausliefern kann. »Der Spahn hätte zumindest mal nachfragen können, bevor er so eine Aktion startet«, sagt Siegmund.

6 Euro Entschädigung für 60-Cent-Masken?

Seit Dienstag erhalten rund 27 Millionen Deutsche aus Corona-Risikogruppen kostenlose FFP2-Masken in ihrer Apotheke. So hatte es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Ende November angekündigt. Über 60-Jährige und Menschen mit chronischen Erkrankungen können sich bis zum 6. Januar drei Exemplare gratis abholen. In der Theorie sollte für die insgesamt 81 Millionen Masken genug Angebot zur Verfügung stehen – in der Praxis kommen Lieferanten wie Siegmund mit der Einfuhr oft kaum hinterher.

Das liegt auch daran, dass der Schwabe seine Masken vergleichbar günstig abgibt. Zwischen 60 und 80 Cent bezahlen Apotheken pro Mund-Nasen-Schutz, je nach Menge und Lieferzeit mal mehr, mal weniger. Entsprechend groß ist die Nachfrage, zumal die Pharmazeuten auf diesen Kosten nicht sitzen bleiben. Der Bund bezahlt pauschal 491,4 Millionen Euro Rückerstattung an den Notdienst-Fonds des Apothekerverbands, der das Geld anschließend den Apothekern zukommen lässt. Geteilt durch 81 Millionen Masken ergibt das einen Stückpreis von sechs Euro.

»Der Spahn hätte zumindest mal nachfragen können, bevor er so eine Aktion startet«

Daniel Siegmund, Maskenhändler

Für Lieferanten wie Siegmund ist das unverständlich, derart hohe Margen seien auf dem freien Markt unerreichbar. Er sieht die Apotheker, seine Kunden, im aktuellen Lieferchaos deshalb auch als klare Gewinner: Wer für eine 60-Cent-Maske das Zehnfache zurückbekomme, »macht das große Geld«, sagt Siegmund. Nur: Stimmt das auch?

Die Wut der Apotheker

Die Wahrheit ist komplizierter. Der Erstattungspreis je Maske beträgt tatsächlich sechs Euro, allerdings muss er deutlich mehr abdecken als nur Material und Beschaffungskosten. Neben der Umsatzsteuer enthalte der Betrag auch anteilige Kosten für »Beratung und Kontrolle der Anspruchsberechtigung«, erklärt ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Um den Andrang zu bewältigen, mussten Apotheker teils Studierende einstellen oder ältere Kollegen aus der Rente zurückholen. Und weil die Masken in der Regel nicht in Dreierbündeln geliefert werden, werden sie oft vor Ort neu verpackt, auch das frisst Zeit und Arbeitskraft. Außerdem tragen die Apotheken ein unternehmerisches Risiko: »Masken, die nicht abgegeben werden, können auch nicht abgerechnet werden«, heißt es aus dem Ministerium. Die Preise dürften wegen der hohen Nachfrage in den nächsten Wochen ebenfalls steigen – die Erstattung aber bleibt gleich.

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Entsprechend wütend ist man in der Apothekerzunft über den Vorwurf, man zocke den Bund ab. »Klugscheißer, die das behaupten, gibt es immer«, sagt Friedemann Schmidt, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände, die Frage nach dem Geld könne er nicht mehr hören. »Bei fast allen unseren Kollegen steigen derzeit die Personalkosten. Und wir sehen schon jetzt, dass Lieferanten teilweise höhere Preise verlangen.« Dafür fehle jedes Verständnis. Überhaupt hat Schmidt das Gefühl, dass er mit seinen Botschaften in der Öffentlichkeit im Moment nicht mehr durchdringt.

»Klugscheißer, die das behaupten, gibt es immer«

Friedemann Schmidt, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände

Vor wenigen Tagen hatte er die Menschen im ganzen Land dazu aufgerufen, doch bitte nicht wegen der Gratismasken die Apotheken zu stürmen – »vergeblich«, wie er sagt. Er hat beobachtet, wie die Kunden immer ungeduldiger wurden, und unverschämter. Könnte er sich etwas wünschen, dann dass Spahn die Leute einmal öffentlich zur Vernunft riefe. Stattdessen ist der Einzige, der redet, er selbst: »Wir verschicken Durchhalteparolen ins ganze Land«, sagt Schmidt.

Eine schwierige Kalkulation

Menschen wie Markus S. können diese Unterstützung gut gebrauchen. Wie viele seiner Kollegen und Kolleginnen wartet der Hamburger Apotheker derzeit dringend auf die nächste Mundschutzlieferung. Obwohl er die knapp 3000 Masken, die er in den kommenden Tagen bekommen soll, von vier verschiedenen Firmen bezieht, ist sein Lager fast leer. Schuld sind nicht die Hersteller, sondern die Paketdienste, die mitten im Weihnachtsstress offenbar Schwierigkeiten bei der Zustellung haben.

Zwischen 1,20 und 2,68 Euro bezahlt S. pro gelieferter Maske, sagt er, damit könnte er bei einer Rückerstattung in Höhe von sechs Euro immer noch einen ordentlichen Gewinn machen. Tatsächlich rechnet er aber nur mit weniger als der Hälfte – und dafür gibt es einen einfachen Grund. Die 491,4 Millionen Euro, die der Bund für die Erstattung auszahlt, werden anteilig vergütet. Und zwar danach, wie viele rezeptpflichtige Arzneipackungen eine Apotheke im 3. Quartal abgegeben hat. Je mehr Rezepte, desto mehr Geld gibt es. Das bedeutet: Jeder Pharmazeut kann nur eine begrenzte Anzahl von Gratismasken verteilen, bevor er jeden zusätzlichen Mundschutz aus eigener Tasche bezahlt. Wer lediglich seinen Auftrag erfülle, sei rechtlich in Ordnung, sagt Verbandspräsident Schmidt, »wir hören aber von einigen Kollegen, dass sie darüber hinausgehen«. Unter ihnen ist auch Markus S.

»Wir versorgen deutlich mehr Patienten, als uns der Staat aufträgt«, sagt der Hamburger Apotheker, er will bis auf Weiteres niemanden abweisen, der noch keine Masken bekommen hat. Vor Kurzem hat S. seine Kalkulation abgeschlossen, er kam auf einen Betrag von nur noch 2,90 Euro, den er je abgegebenem Mundschutz zurückerstattet bekommt. Als es die Gratismasken noch nicht gab, die Liefernot und den Patientenansturm, verkaufte er die FFP2-Exemplare für etwa 2,50 Euro das Stück, sagt er. Der Preis für all die zusätzlichen Mühen liegt demnach für ihn bei schmalen 40 Cent.

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