SPIEGEL-Wirtschaftsmonitor Deutsche lassen Corona-Sorgen hinter sich

Die Angst vor Jobverlust: gering. Der Blick in die Zukunft: recht optimistisch. Die Stimmung der Deutschen ist fast wieder so gut wie vor der Coronakrise.
Passanten in der Kaufinger Straße in München (Ende August): Deutsche erwarten keine strukturelle Wirtschaftskrise

Passanten in der Kaufinger Straße in München (Ende August): Deutsche erwarten keine strukturelle Wirtschaftskrise

Foto: Peter Kneffel / picture alliance / dpa

In den vergangenen Wochen mehren sich die Anzeichen, die zu Optimismus berechtigen: Ob die Umsätze im Einzelhandel, die Stimmung in den Chefetagen oder die wieder abnehmende Arbeitslosigkeit - vieles deutet darauf hin, dass sich die Wirtschaft in Deutschland mit großer Geschwindigkeit von ihrem tiefsten Einbruch der Nachkriegszeit erholt. Zumal dieser Einbruch während des Lockdowns im Frühjahr laut neuesten Daten ein etwas kleineres Ausmaß hatte als in den ersten Schätzungen berechnet. Inzwischen sieht es sogar danach aus, dass der Rückgang der Wirtschaftsleistung im Gesamtjahr 2020 nicht ganz so groß sein wird wie im Finanzkrisenjahr 2009.

Die Deutschen scheinen schon länger ein gutes Gespür dafür zu besitzen, was sich nun nach und nach in diesen objektiven und messbaren Indikatoren niederschlägt. Das zeigt der SPIEGEL-Wirtschaftsmonitor, für den das Meinungsforschungsinstitut Civey die Bevölkerung kontinuierlich repräsentativ befragt. Diese Erhebung über einen langen Zeitraum macht es möglich, die aktuellen Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf die allgemeine und persönliche wirtschaftliche Entwicklung sowie ihre Ängste und Sorgen sowie ihre Prioritäten einzuordnen.

Das Ergebnis: In der Wahrnehmung der Deutschen herrscht fast schon wieder Vorkrisennormalität, was die wirtschaftliche und soziale Lage betrifft. Bereits Anfang Juni hatte gefühlt das Schlimmste der Corona-Wirtschaftskrise hinter den Bundesbürgern gelegen. Diese Stimmungslage hat sich nun entweder stabilisiert oder noch verbessert.

So ist die Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes weiterhin fast so wenig verbreitet wie vor Beginn des Lockdowns. Im März und April war diese drastisch angewachsen, 20 Prozent der Befragten mit einem Arbeitsplatz äußerten damals die Angst, binnen einem Jahr ihren Job zu verlieren, fast doppelt so viel wie in normalen Zeiten. Doch ebenso rasch schwand diese Furcht bei den meisten wieder - allerdings nicht bei allen. Seitdem liegt der Anteil derjenigen, die um ihren Arbeitsplatz besorgt sind, stabil zwischen 13 und 14 Prozent, zwei bis drei Prozentpunkte mehr als vor der Krise. Rund vier von fünf Beschäftigte befürchten hingegen keinen Jobverlust.

Nicht stabil geblieben, sondern drastisch verbessert hat sich seit Juni hingegen die Einschätzung der aktuellen Wirtschaftslage in Deutschland. Inzwischen schätzt eine deutliche relative Mehrheit von 46 Prozent sie wieder als "gut" ein, Tendenz stark steigend. Exakt ein Drittel der Befragten hält die Lage hingegen für "schlecht", dieser Anteil nimmt aber rasch und stetig ab.

In absoluten Werten ist die Wahrnehmung der Konjunktur damit zwar noch nicht ganz auf dem Normalniveau vor der Krise, als fast durchweg mehr als die Hälfte der Befragten die Lage als gut bewerteten und weniger als 30 Prozent als schlecht. Doch der Trend legt nahe, dass dieses Niveau in den kommenden Wochen wieder erreicht werden könnte.

Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Pandemieverlauf nicht erneut für Rückschläge sorgt. Angesichts des rapiden Anstiegs des Infektionsgeschehens gerade in den europäischen Nachbarländern und der bevorstehenden nasskalten Monate besteht die Gefahr neuerlich unterbrochener Lieferketten oder sogar erneuter drastischer Kontaktbeschränkungen.

Die Deutschen rechnen allerdings offenbar eher nicht damit, wie ihre Erwartung der wirtschaftlichen Entwicklung in den kommenden zwölf Monaten zeigt. Hier ist zu beachten, dass die Menschen in Deutschland traditionell eher pessimistisch in die nahe Zukunft blicken. Vor der Krise rechneten fast durchweg mehr als die Hälfte der Befragten mit einer Verschlechterung der Lage, etwas mehr als ein Drittel mit keiner Veränderung und deutlich weniger als ein Zehntel mit einer Verbesserung. Aktuell erwarten jedoch 54 Prozent zumindest keine Verschlechterung (28 Prozent eine Verbesserung, 26 Prozent keine Veränderung).

Die relativ geringe Sorge um die allgemeine wirtschaftliche Lage und den eigenen Arbeitsplatz drückt sich weitgehend auch bei der Frage nach dem dringendsten Handlungsbedarf in der Wirtschafts- und Sozialpolitik aus. Hier wird gezielt nicht nach dem "wichtigsten Thema" gefragt. Der Unterschied ist groß: Ein Problem kann durchaus als das Wichtigste bewertet werden, ohne dass ein großer Handlungsbedarf gesehen wird - wenn das Gefühl vorherrscht, dass bereits genug getan wird, um es zu lösen.

Auffallend ist, dass auf den ersten drei Plätzen Themen zu finden sind, die mit der aktuellen Coronakrise höchstens am Rande zu tun haben: die ökonomische und soziale Ungleichheit mit 21 Prozent der Nennungen sowie die Vereinbarkeit von Wirtschaft mit Umweltschutz sowie die Absicherung im Alter (jeweils 15 Prozent). Allerdings nennen mit 13 Prozent deutlich mehr Befragte als vor der Krise (acht Prozent) den Bereich "Umbruch der Arbeitswelt und Arbeitslosigkeit" als dringendstes Feld des Handlungsbedarfs.

Das könnte durchaus auf ein höheres Bewusstsein dafür hindeuten, dass der zuvor jahrelang boomende Arbeitsmarkt in der Krise geschwächt wurde - aber auch Ausdruck dessen sein, dass viele Menschen weiterhin im Homeoffice arbeiten und die Krise darüber hinaus in vielen Betrieben für neue Arbeitsabläufe gesorgt hat. Die daraus entstehenden Belastungen und der Bedarf neuer Regelungen könnte ebenfalls zu der höheren Gewichtung dieses Themenbereichs geführt haben.

Insgesamt scheinen die Deutschen die Coronakrise eindeutig als kurz- bis mittelfristige Ausnahmesituation zu betrachten - und nicht als systembedrohende Strukturkrise. Denn befragt danach, wie sich ihre persönliche wirtschaftliche Lage in fünf Jahren darstellen wird, antworten sie in ihrer Gesamtheit so wie vor Ausbruch der Pandemie. Während des Lockdowns war kurzzeitig ein starker Anstieg des Anteils derjenigen zu beobachten, die langfristig negative Wirkungen für sich selbst befürchteten, doch fast ebenso rasch fiel dieser Anteil wieder auf das Niveau zwischen 25 und 30 Prozent.

Mit 48 Prozent glauben jedoch nach wie vor die meisten, dass ihre Lage auch in fünf Jahren wenig anders sein wird als heute, etwas mehr als jeder und jede Fünfte geht davon aus, dann besser dazustehen.

Mehr als ein halbes Jahr, nachdem die Pandemie auch Deutschland zu ergreifen begann, ist also so etwas wie die Rückkehr zur Normalität festzustellen, was die Wahrnehmung der Wirtschaftslage betrifft. Für viele Wirtschaftszweige, die von der Konsumbereitschaft der Verbraucher abhängen, ist das ermutigend - denn wer sich um seine eigene ökonomische Situation oder die des Landes Sorgen macht, hält sein Geld eher zurück, als es auszugeben. Zumindest in dieser Hinsicht geht Deutschland mit guten Voraussetzungen in den ersten Herbst der Corona-Pandemie.

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