Hermann-Josef Tenhagen

Coronakrise Diese Hilfen gibt es noch für Solo-Selbständige

Hermann-Josef Tenhagen
Eine Kolumne von Hermann-Josef Tenhagen
Solo-Selbstständige in England bekommen vom Finanzamt einfach einen Scheck. In Deutschland ist die Unterstützung dagegen unübersichtlich. Sicher, dass Sie alle möglichen Geldquellen geprüft haben?
Broadway Market, London, am vergangenen Wochenende: Bei der Finanzhilfe kann man sich an Großbritannien ein Beispiel nehmen

Broadway Market, London, am vergangenen Wochenende: Bei der Finanzhilfe kann man sich an Großbritannien ein Beispiel nehmen

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John Sibley/ REUTERS

Die Briten haben in der Coronakrise zu Beginn auf eine schnelle "Herdenimmunität" gesetzt, also auf eine rasche Ansteckung großer Teile der Bevölkerung, während nur die Alten und Vorerkrankten geschützt werden. Ein ganz anderer Weg als der, den man in Deutschland und den meisten anderen Industriestaaten eingeschlagen hat, mit allgemeinen Kontaktsperren als wichtigster Maßnahme. Die Folge: fast 35.000 Tote, also 50,7 Tote pro 100.000 Einwohner. Zum Vergleich: in Deutschland sind es 9,5.

Das prägt unsere Wahrnehmung vom britischen Umgang mit Corona. Inzwischen hat zwar Boris Johnson selbst die Krankheit durchgestanden, seine Regierung aber längst die Kehrtwende vollzogen – nicht nur bei den Kontaktsperren. Für britische Arbeitnehmer gibt es in dieser Krise erstmals so etwas wie Kurzarbeit, furlough genannt. Bei der Hilfe für Solo-Selbstständige und kleine Firmen gehen die Briten sogar einen Schritt weiter als wir: Denn es gibt auch für Selbstständige eine Art Kurzarbeitergeld. Der monatliche Scheck kommt vom Finanzamt.

Wenn Sie hierzulande als Selbstständiger Post vom Finanzamt bekommen, dann freuen Sie sich nicht unbedingt darauf. Ganz anders in Großbritannien. Millionen von Selbstständigen warten gerade auf einen Brief von Her Majesty´s Revenue and Customs – dem britischen Finanzamt. Das soll nämlich mitteilen, für wen nach den amtlichen Erkenntnissen in der Coronakrise Anspruch auf eine Art Kurzarbeitergeld für Selbstständige besteht.

Diese staatliche Leistung kann sich durchaus sehen lassen: 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes der vergangenen drei Jahre – maximal aber 2500 Pfund im Monat, rund 2800 Euro für die kommenden Monate. Als Zuschuss, geschenkt.

Die Bedingungen: Die Empfänger müssen tatsächlich in den vergangenen Jahren selbstständig gearbeitet, Geld verdient und Steuern gezahlt haben. Sie dürfen maximal 50.000 Pfund im Jahr verdient haben. Und Sie müssen mehr als die Hälfte Ihres Verdienstes durch diese selbstständige Arbeit erworben haben . Mieteinnahmen, Pensionen und Dividenden zählen nicht.

Wer sich gerade erst selbstständig gemacht hat, fällt deshalb durchs Raster. Auch wer 2019 etwa 50.001 Pfund verdient hat oder hauptsächlich von jetzt ausbleibenden Mietzahlungen gelebt hat, bekommt keine Förderung. Alle anderen aber haben von ganz allein Post bekommen vom Finanzamt – mit der Zahlungszusage.

Vorbild für deutschen Flickenteppich

Das Modell würde auch etliche der Probleme der Solo-Selbstständigen und Kleinunternehmer in Deutschland lösen. Es bietet sogar ein Stück Schutz gegen Subventionsbetrug. Und ein Finanzamt, dass den Steuerzahlern proaktiv schreibt, ihnen stehe staatliche Notfallhilfe zu, das wäre eine wirkliche Revolution. Es würde wohl auch psychologisch das Verhältnis zwischen Staat und Steuerzahler verbessern.

In Deutschland ist die Situation von Selbstständigen im Vergleich komplizierter. Bund und Länder haben zwar rund zehn Milliarden Euro an Soforthilfen an kleine Selbstständige ausgezahlt, allein NRW als größtes Bundesland über vier Milliarden Euro.

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Aber der größte Teil des Geldes darf nur genutzt werden, um die Firma fortzuführen . Davon leben darf man nicht. Im Behördendeutsch: "Die Soforthilfe deckt nicht die privaten Lebenshaltungskosten (zum Beispiel Miete der Privatwohnung, eigene Krankenversicherungsbeiträge oder Altersvorsorge) ab."

Das gilt für die Antragsteller auf Soforthilfe in Bayern genauso wie für Antragsteller in Hessen, NRW oder inzwischen auch Berlin.

Landesprogramme, von denen Selbstständige auch leben durften, sind nach einem kurzen Aufflammen im März von den meisten Bundesländern radikal zusammengestrichen worden. Denn für solche Hilfen wollte der Bund seine Kassen nicht anzapfen. Und die meisten Hilfen, die hier verteilt wurden, kamen aus den Kassen des Bundes, nicht der Länder.

Inzwischen dämmert mancher Landesregierung, dass dieses Hin und Her nicht vertrauensbildend ist. In NRW verkündete das Wirtschaftsministerium einen Sinneswandel: Selbständige, die im März oder April Soforthilfe beantragt haben, sollen nun immerhin 2000 Euro der oft ausgezahlten 9000 Euro für den privaten Lebensunterhalt nutzen dürfen. Das Geld dafür will das Bundesland dem Bund zurückerstatten. NRW hatte Geld an fast 400.000 Antragsteller ausgeschüttet .

Baden-Württemberg erlaubt Unternehmern und Solo-Selbstständigen im Rahmen der Soforthilfe einen sogenannten "fiktiven Unternehmerlohn" in Höhe von maximal 1180 Euro im Monat zu kassieren und so mit abzurechnen . Hamburg zahlt Solo-Selbstständigen immer noch einmalig 2500 Euro zum Lebensunterhalt  – Antrag bis zum 31. Mai.

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Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.

Getrennte Kassen gibt es noch für sogenannte Kulturschaffende. Für manche der fast 500.000 häufig solo-selbstständigen Sänger, Schauspieler, Maler, Kunsthandwerker, Fotografen und Journalisten in Deutschland gibt es in einigen Bundesländern kleine Programme, die aber viele Menschen nicht erreichen. NRW will nun auch für 15.000 Künstler 1000 Euro im Monat mindestens für die Monate März und April bereitstellen. Bayern hat erklärt, Kulturschaffenden in der Künstlersozialkasse drei Monate lang 1000 Euro Kulturstipendium zu zahlen.  

Wenn aber alle Stricke reißen, werden Solo-Selbstständige und kleine Unternehmer, nicht nur Künstler, noch immer auf Hartz IV verwiesen .

Die schlecht beleumundeten Regeln von Hartz IV sind für Corona-Opfer in den vergangenen Wochen entschärft worden. Die Größe der Wohnung ist kein Hinderungsgrund mehr für Stütze. Und das Schonvermögen, das Corona-Hartz-IV-Empfänger besitzen dürfen, wenn sie Hilfe beziehen wollen, liegt bei Anträgen zwischen März und Juni bei immerhin 60.000 Euro für die kommenden sechs Monate – und nicht nur bei 150 Euro pro Lebensjahr, also 4500 Euro für einen 30-Jährigen. Für jedes weitere Familienmitglied kommen noch mal 30.000 Euro Schonvermögen dazu.

Aber in Not geraten die Menschen trotzdem. Wie viel einfacher ist dagegen die Regelung in Großbritannien.

Hierzulande müssen sich viele anders helfen. Praktisch sind dafür aktuell ein halbes Dutzend andere Hinweise:

  • Wenn Sie aus einem Landesprogramm Geld zum Überleben bekommen haben, als es noch möglich war, das Hilfsprogramm für den Lebensunterhalt zu verwenden, dann können Sie sich freuen. Achten Sie aber darauf, fein säuberlich dieses Geld getrennt zu verwalten und tatsächlich privat auszugeben.

  • Wenn Sie aus einem Förderprogramm Geld bekommen haben, mit dem Sie Ihre Firma über Wasser halten sollen, bestreiten Sie auch nur Kosten der Firma damit. Dazu kann auch das Arbeitszimmer  gehören. Besonders dann, wenn Sie dieses Arbeitszimmer immer schon als betrieblich in der Steuererklärung angegeben haben.

  • Sie können auch die Leasingraten für Ihr Firmenauto und die technische Ausstattung zur Digitalisierung Ihrer kleinen Firma aus diesem Topf bestreiten. Aber dokumentieren sie alles ganz genau. Spätestens bei der Steuererklärung für 2020 im kommenden Jahr werden Sie all diese Kosten belegen müssen .

  • Wichtig bei allen Anträgen auf Soforthilfen: Sie haben alles immer schon bei der Antragstellung korrekt angegeben. Haben Sie Zweifel an sich selbst, sprechen Sie mit Ihrem Steuerberater.

  • Sie haben jetzt zwar das Geld fürs Büro, für den Internetanschluss und die Infrastruktur, aber nicht für die Wohnungsmiete. Die können Sie stunden, genau wie die Raten für den Autokredit und den Ratenkredit der Wohnungseinrichtung. Tun Sie das jetzt! Die Miete für April und Mai können Sie schon nicht mehr stunden, die Kreditraten häufig auch nicht mehr. Verschaffen Sie sich wenigstens für Juni Luft, wenn Sie wirklich in Not sind. Nach Angaben des Bankenverbandes gab es dazu schon mehrere hunderttausend Anfragen.

  • Kredite zu stunden ist in der Corona-Not Ihr gutes Recht. Auf den Prüfstand gehören aber auch  die hohen monatlichen Beiträge für Lebens-, Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherungen.

  • Beantragen Sie alternativ Wohngeld und auch einen Kinderzuschlag , wenn Sie Familie haben und das Geld aktuell vorne und hinten nicht reicht. Die Aussichten auf Erfolg sind in den vergangenen Monaten viel höher geworden.

  • Und dann kümmern Sie sich verschärft um die neuen Kredittöpfe der KfW und der Landes- und Bürgschaftsbanken der Länder. Die Hinweise auf die Kreditprogramme in den einzelnen Bundesländern finden Sie im Finanztip-Ratgeber  meiner Kollegen.

  • Für die Soforthilfe der Länder, wie sie eigens für Solo-Selbstständige vorgesehen sind, hat Verdi eine hilfreiche Zusammenstellung  erarbeitet.

Vor allem aber: Geben Sie nicht auf. Das Leben mit dem Coronavirus wird noch eine Weile dauern. Und das Leben muss weitergehen. Für uns alle. Halten Sie durch! Und bleiben Sie gesund!

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