Henrik Müller

Wirtschaft im Pandemie-Modus Eine Corona-Treuhand-Anstalt gegen den Crash

Henrik Müller
Eine Kolumne von Henrik Müller
Verstaatlicht! Je länger die Coronakrise dauert, desto wahrscheinlicher werden einschneidende Veränderungen unserer Wirtschaftsordnung. Wir könnten vor einem ungeplanten Systemwechsel stehen.
Volkswagen-Fahrzeuge in Zwickau

Volkswagen-Fahrzeuge in Zwickau

Foto: Hendrik Schmidt / dpa

Hier ist eine Vorhersage: Wenn die Coronakrise länger andauert, dann wird das unsere Wirtschaftsordnung massiv verändern. Die Marktwirtschaft, wie wir sie kennen, wird dann wohl in Teilen abgeschafft. Privateigentum und Wettbewerb werden an Bedeutung verlieren, der Staatseinfluss wird massiv steigen.

Es wäre ein ungeplanter Systemwandel, nicht aus revolutionärem Antrieb, sondern aus der schlichten Notwendigkeit heraus, einen wirtschaftlichen Kollaps im Angesicht des weltweiten Lockdowns zu verhindern.

Ist das übertrieben?

Alles eine Frage der Zeit

Zum Wochenende sah es so aus, als könnte an den Börsen das Schlimmste schon vorbei sein: Die großen Aktienindizes drehten ins Plus, die Rohstoffpreise waren auf Stabilisierungskurs. Endlich, so schien es, hatten die Staaten und die Notenbanken ein ökonomisches Rezept gefunden.

Schon jetzt übersteigen die weltweit angekündigten Pakete die Maßnahmen, die während der Finanzkrise der Jahre 2008/09 ergriffen wurden. Und damals dauerte es Monate, teils Jahre, bis billonenschwere Hilfsprogramme für Unternehmen und Banken beschlossen, bis Konjunkturspritzen und superexpansive Notenbankmaßnahmen ins Werk gesetzt waren. Dieses Mal geht das binnen Wochen, teils binnen Tagen.

Bislang lautet das Kernszenario: Die Coronakrise wird in einigen Wochen abebben. Dann normalisiert sich das Leben allmählich, und die Wirtschaft nimmt wieder Fahrt auf. Diese Phase gilt es zu überstehen. Dafür weitet der deutsche Staat das Kurzarbeitergeld aus, stellt den Unternehmen billige Kredite zur Verfügung, lockert die Insolvenzordnung und die Bankenregulierung und dergleichen mehr. Andere Länder verfahren ähnlich.

Es sei alles eine Frage der Zeit. Und diese Zeit lasse sich überbrücken. Wirtschaftspolitische Instrumente, die sich in der Krise von 2008/09 bewährt haben, stehen zur Verfügung. Danach kehre der Alltag und die wirtschaftliche Dynamik zurück.

18 Monate Stop-and-Go?

In der abgelaufenen Woche hat eine Gruppe von Epidemiologen des Londoner Imperial College eine Studie (Pdf ) veröffentlicht, die Zweifel an diesem Kernszenario aufkommen lässt. Die Forscher rechnen vor, dass die Corona-Epidemie erst dann nachhaltig verschwinden wird, wenn ein Impfstoff zur Verfügung steht. Und das kann nach Lage der Dinge - und angesichts der zeitraubenden üblichen Zulassungsverfahren – 18 Monate dauern.

Bis dahin gehe es darum, die Zahl der Infizierten so niedrig zu halten, dass die Gesundheitssysteme nicht kollabieren. Die Forscher gehen davon aus, dass die Neuinfektionen wieder rapide ansteigen, sobald die Mobilitätsbeschränkungen und das Social Distancing gelockert werden.

Das Resultat wäre ein Stop-and-go-Szenario: In Phasen, in denen die Maßnahmen gelockert werden, steigen die Fallzahlen wieder an, sodass die Behörden abermals einschneidende Maßnahmen ergreifen müssen. In der Simulation der Londoner Forscher sind die Phasen mit Beschränkungen übrigens deutlich länger als Phasen der relativen Bewegungsfreiheit.

Natürlich, dies ist ein modellgestütztes Szenario mit vielen Unbekannten. Möglich, dass China, Südkorea und andere asiatische Länder beweisen, dass die Lockerung der Maßnahmen nicht notwendigerweise einen starken Anstieg der Infektionen auslöst. Dann könnte es beim Kernszenario einer heftigen, aber kurzen Krise bleiben.

Aber was, wenn nicht?

"Ein normales politisches Instrument"

Was, wenn Quarantänemaßnahme längere Zeit in Kraft bleiben müssen und das Stop-and-go-Szenario Realität würde – oder lange andauernde Beschränkungen, wie sie andere Forscher für nötig halten? Was würde das für die Wirtschaft und die wirtschaftspolitische Strategie bedeuten?

Dann kommen Verstaatlichungen auf die Tagesordnung. Ein Volumen von 100 Milliarden Euro für direkte Unternehmensbeteiligungen will die Bundesregierung Montag beschließen, wie das "Handelsblatt" berichtet. Es ist, so muss man das sehen, ein Einstieg. Bei einer langen, schweren Krise wird es um ein Vielfaches dieser Summe gehen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) ließ am Donnerstag im ZDF wissen, ihm schwebe vor, die bisher vereinbarten staatlichen Kredit- und Zuschussprogramme so zu ergänzen, dass "wir dann mit Eigenkapital helfen können, uns also zeitweilig an solchen Unternehmen auch beteiligen, wenn die das sinnvoll und hilfreich finden".

Ex-Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen, der 2008/09 zum engsten Kreis der Krisenmanager zählte und demnächst dem Versichererverband GDV vorstehen wird, hält Verstaatlichungen für ein "normales politisches Instrument in Krisenzeiten".

Die US-Regierung teilverstaatlichte 2008 amerikanische Großbanken und dann auch die Autobauer General Motors und Chrysler. Die Bundesregierung stieg bei der Commerzbank ein und legte mit dem Bankenschutzschirm SoFFin einen Sicherungsring um die Kreditwirtschaft. Auch dieses Mal könnten Maßnahmen geboten erscheinen, "bei denen sich der Staat mit Eigenkapital an Unternehmen beteiligt", schrieb eine Gruppe namhafter Ökonomen vorige Woche in einem wirtschaftspolitischen Strategiepapier (Pdf ). Dieser Schritt könne nur als "ultima ratio" infrage kommen. Aber immerhin sind Verstaatlichungen eine denkbare Option in einer Zeit, in der tagtäglich wirtschaftspolitische Glaubenssätze durch die Realität infrage gestellt werden.

Alles im GRIFF?

Es wäre, wie gesagt, der Einstieg in eine andere Wirtschaftsordnung. Unternehmen, deren Eigenkapital durch die Corona-bedingten Umsatzausfälle in weiten Teilen aufgezehrt ist, könnte der Staat beispringen, indem er gegen Geldinjektionen Unternehmensanteile bekäme – oder indem er Kredite vergibt, die sich bei Rückzahlungsproblemen automatisch in Eigenkapitalanteile verwandeln ("Debt Equity Swaps").

Dieses Vorgehen hätte mehrere Vorteile: Viele Unternehmen würden auch im Laufe eines ökonomisch sehr schwierigen, länger andauernden Lockdown-Szenarios nicht pleite gehen. Jobs blieben erhalten, unterstützt durch Kurzarbeitergeld und andere staatliche Maßnahmen. Der Staat, dessen Schulden durch die Krise massiv steigen werden, würde nicht nur Geld in die Wirtschaft pumpen, sondern im Gegenzug auch an Vermögenswerten beteiligt.

Im Endeffekt könnte ein deutscher Staatsfonds entstehen, der Beteiligungen an weiten Teilen der heimischen Wirtschaft hält – eine Art Treuhand-Anstalt 2.0.

Ich schlage an dieser Stelle schon mal einen Namen dafür vor: German Recovery and Investment Financial Facility, was sich zu dem schönen Akronym GRIFF verdichten lässt.

Allerdings wäre eine solch großflächige Auffanglösung in vielerlei Hinsicht problematisch. Ich greife fünf Felder heraus:

  1. Großunternehmen werden systematisch bevorzugt. Wo auf einen Schlag zig- oder sogar Hunderttausende Jobs verloren zu gehen drohen, wird sich der Staat eher beteiligen als an kleineren Mittelständlern. Dies entspricht der Erfahrung und auch der administrativen Notwendigkeiten: Sich an vielen kleineren Unternehmen zu beteiligen, dürfte die öffentliche Verwaltung schlicht überfordern. Der Mittelstand ist in Familienhand. Die allermeisten deutschen Unternehmen sind nicht börsennotiert, viele nicht mal als Kapitalgesellschaften verfasst. Sich daran zu beteiligen, wäre schwierig und juristisch enorm aufwändig.

  2. Wettbewerbsverzerrungen sind unvermeidlich. Unternehmen, die auf eine Staatsbeteiligung verzichten und versuchen, aus eigener Kraft weiterzumachen, würden ins Hintertreffen geraten, weil sie sich schlechter finanzieren können. Unternehmer, die ihr eigenes Vermögen für den Fortbestand der Firma einsetzen, würden implizit bestraft.

  3. Wie und durch wen übt der Staat Kontrolle aus? In Unternehmen kontrollieren die Besitzer die Geschäftsführung. Wo der Staat beteiligt oder alleiniger Besitzer ist, müsste er folglich unternehmerisch tätig werden. Gibt es dafür eigentlich genug geeignete Leute? Werden Beamte in Aufsichtsräten und vielleicht sogar Vorständen nicht jedwedes unternehmerische Risiko durch übermäßige Vorsicht abwürgen?

  4. Der Staat dürfte auf Jahre im Geschäft bleiben. Der GRIFF wäre als vorübergehende Krisenmaßnahme gedacht. Wenn das Coronavirus und danach auch die Wirtschaft erst unter Kontrolle sind, sollte der Staat sich wieder zurückziehen. Das aber kann sehr lange dauern, wie das Beispiel der Commerzbank zeigt, an der auch nach einem Jahrzehnt guter Konjunktur immer noch der Bund beteiligt ist. Möglich, dass Staat und Politik Gefallen am direkten Zugriff auf große Teile der Wirtschaft finden. Denkbar auch, dass es in einer Nach-Krisen-Welt zu einer verschärften Konfrontation zwischen Nationalstaaten kommt, sodass staatliche Beteiligungen als Schutzmaßnahme vor feindlichen Übernahmen angeraten sein können.

  5. Wer killt die Zombies? Im Zuge der Coronakrise hat die Bundesregierung versprochen, Unternehmen ohne Ansehen des Einzelfalls zu helfen. Sollte dies auch für Beteiligungen gelten, wird am Ende der Krise ein breites Portfolio im GRIFF der öffentlichen Hand sein, und zwar vermutlich auf Jahre (siehe oben). Dann gilt es, einen Strukturwandel zu managen, über dessen Natur wir heute nur mutmaßen können. Aber die schockierenden Erfahrungen der Pandemie und ihrer Folgen werden die Wirtschaftsstrukturen verändern. Beispielsweise stellt sich die Frage, ob wir zur globalen Hypermobilität und zum Dauerurlauben der vergangenen Jahre zurückkehren. Sollte es zu einem massiven Rückgang der Mobilität kommen, blieben massive Überkapazitäten bei Airlines, Touristik oder Autoherstellern zurück. Wo Überkapazitäten entstehen, müssen sie abgebaut werden. Kapitalmärkte sind ziemlich gut darin, solche Bereinigungen anzustoßen. Die Politik tut sich dabei viel schwerer. Denkbar, dass wir am Ende mit einer großen Anzahl von strukturell verlustreichen Zombie-Unternehmen dastehen, die mit staatlichen Billigkrediten so gerade eben aufrechtgehalten werden.

Am Ende lautet die gute Nachricht: Der Staat kann den ökonomischen Kollaps verhindern. Ein Systemzusammenbruch lässt sich aufhalten. Doch je länger die Krise dauert und je einschneidender die Auffanglösungen sein müssen, desto stärker wird sich die Wirtschaftsordnung auf Dauer verändern. Und zwar nicht unbedingt zum Besseren.

Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der bevorstehenden Woche

Brüssel - Vor der Ernte - Rat der EU-Landwirtschaftsminister (bis Dienstag). Unter anderem dürfte es um die Personalengpässe bei der beginnenden Gemüseernte im Zeichen des Lockdown gehen.

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