Desolate Staatsfinanzen Eine schwarze Woche für Italien

Italien im Herbst: Anleger ziehen Kapital ab, die Börsenwerte fallen, die Kosten der Staatsverschuldung steigen - und ein fundamentaler Krach mit der EU scheint unausweichlich.
Salvini und Conte: populistisches Duo

Salvini und Conte: populistisches Duo

Foto: REMO CASILLI/ REUTERS

"Heiter, mit Vertrauen und Geschlossenheit" habe man die anfangs etwas streiterfüllte Woche abgeschlossen, verkündete Vizepremier Matteo Salvini von der Lega. Und gemeinsam ein Gesetz kreiert, ergänzte der andere Vizepremier von der 5-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, das den "Staat zum Freund der schwächsten Steuerzahler" mache. Denn die dürfen jetzt die meisten ihrer Streitigkeiten mit den Steuerbehörden gegen einen bescheidenen Obolus ad acta legen und den Rest der umstrittenen Steuerschuld behalten. Auch die nicht ganz so schwachen Steuerzahler dürfen sich über ihre lukrative Begnadigung freuen.

Ja, und dann gebe es ja noch den Zoff mit der EU um die ausufernde Staatsverschuldung, verabschiedeten sich die Parteiführer heiter und geschlossen ins Wochenende, doch den könne man auch schnell beenden. Man werde der EU-Kommission die Sache erklären, dann würde die das auch kapieren. Im Übrigen "fühlen wir uns wohl in diesem Europa", sagte Salvini, der noch zwei Tage vorher gewütet hatte, "Paris, Brüssel und Berlin sollen uns nicht länger auf den Geist gehen". Während sein Kollege Di Maio, etwas dezenter im Ton, von einem "inakzeptablen Ultimatum" sprach.

Dieses Ultimatum steht diese Woche freilich wieder an und die gute Wochenend-Laune in Rom wird schnell verfliegen. Es wird nämlich ernst für die politischen Hauptdarsteller am Tiber.

Die EU-Kommission hat den Römern in einem Brief klipp und klar mitgeteilt, dass deren Vorhaben, den staatlichen Schuldenberg um weitere 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wachsen zu lassen, eklatant gegen die EU-Regeln verstoße und in Europa "ernsthafte Besorgnis" auslöse. Man werde das nicht hinnehmen.

Bis Montagmittag soll die römische Regierung darauf antworten. Nun wird die sich ganz gewiss nicht so einfach mit einer von Brüssel als Maximalwert genannten Neuverschuldung von 1,5 Prozent abfinden.

Aber darauf ist die Kommission vorbereitet. Die will, so heißt es in Brüssel, schon am Dienstag auf einer bereits in Straßburg anberaumten Sitzung die letzte Warnung an Italien formulieren und abschicken. Obwohl sie sich eigentlich bis Ende November Zeit dafür nehmen könnte. Aber Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und seinem Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici scheint Eile geboten.

Nach der Mahnung haben Salvini und Di Maio drei Wochen Zeit, ihren Haushalt an die EU-Regeln anzupassen. Das werden die weder wollen noch können. Denn sonst sind ihre teuren Wahlgeschenke - vom Mindesteinkommen bis zur Steuersenkung - nicht finanzierbar. In dem Fall scheint die Kommission entschlossen, einen noch nie gewagten Schritt zu tun: einen nationalen Haushalt abzulehnen und Strafaktionen gegen Italien einzuleiten.

Europas Feinde in Brüssel

Spätestens dann wird Salvini wieder zu seiner alten Sprache zurückfinden und sich, wie kürzlich, über "Europas Feinde" aufregen, "diejenigen, die abgeschottet im Bunker von Brüssel sitzen... die Junckers und die Moscovicis, die Unsicherheit und Angst nach Europa gebracht haben und sich weigern, ihre Chefsessel zu verlassen".

Dumm nur, dass die meisten und die wichtigsten EU-Länder hinter der Kommission stehen. Ob am Ende wirklich alle, wie es nach den EU-Statuten nötig ist, gegen Italien und für die Strafaktion der Kommission votieren, ist offen. Aber selbst Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, der ja eigentlich mit Salvini seine "Achse der Willigen" verstärken will, um "die illegale Migration weiter zu reduzieren", sagt jetzt, es gebe "kein Verständnis für Italien", denn deren allzu hohe Staatsverschuldung sei "gefährlich für alle".

Richtig gefährlich wird es vor allem für Italien. Deshalb sind alle, die dem Land Geld geliehen haben und weiterhin Geld leihen sollen, ziemlich besorgt. Manche ziehen ihr Investment zurück, zwischen Mai und Ende August wurden ausländische Anlagen über 42 Milliarden Euro aus Italien abgezogen, davon 24 Milliarden aus Staatsanleihen. Neuere Zahlen gibt es nicht. Der Trend dürfte sich freilich verstärkt haben.

Andere Investoren leihen dem römischen Kassenwart weiter Geld, aber nur für deutlich höhere Zinsen. Das reißt neue Löcher in den Staatsetat, die mit zusätzlichen Schulden ausgeglichen werden müssen. Die Spirale dreht sich schneller.

Schon vorige Woche lag der in diesen Tagen in Italien vielzitierte "Spread" - das ist der Aufpreis auf den Zinssatz, den die Italiener bei ihren Schuldpapieren mehr zahlen müssen als die deutschen Staatsschulden-Verwalter - bei 327 Punkten. Italiens Finanzminister muss mithin über drei Prozent höhere Zinsen offerieren als sein deutscher Kollege, um auf den privaten Märkten an Geld zu kommen. Da er etwa 400 Milliarden jährlich umschulden muss, kostet ihn der Aufschlag zusätzliche Milliarden.

Armer Staat, reiche Bürger

An diesem Montag sank der Spread vorerst. Und das, obwohl die Kreditwürdigkeit des Landes am späten Freitagabend durch die Ratingagentur Moody's abgestuft wurde. Allerdings wurde der Ausblick für das Rating auf "stabil" gesetzt, was angesichts der Kreditbewertung des Landes nur eine Stufe über dem sogenannten Ramsch-Bereich den Anlegern zumindest ein Stückchen Hoffnung bietet.

Doch laut den Moody's-Experten gibt es immer noch Grund genug zur Sorge: Für sie ist nicht nur die ungebremste Schuldenpolitik äußerst riskant. Sie finden auch im Regierungsprogramm der Lega-5-Sterne-Koalition keine Reformen, die die wirtschaftlichen Strukturen Italiens verbessern könnten. Damit werde es auch keinen Wachstumsschub geben, und ohne den fiele auch die von Rom angekündigte leichte Rückführung der Kreditaufnahme ab 2020 flach. Beim nächsten Wachstumseinbruch der Weltwirtschaft, der ja irgendwann zu erwarten sei, wäre die italienische Finanzpolitik nicht mehr in der Lage zu reagieren. Das Land schlitterte wehrlos in die nächste Krise. (Den englischen Originaltext von Moody's finden Sie hier .)

Ein Spread über 400, fürchten Finanzexperten, könnte zu einem schnellen Kapitalabfluss von über 100 Milliarden Euro führen. Zudem müssten Banken für die Absicherung ihrer Kredite an den Staat immer mehr Geld zahlen - schon jetzt kostet die Absicherung italienischer Staatskredite zehnmal so viel wie die für französische Anleihen.

Mittlere und kleinere italienische Banken könnten sogar in Existenzgefahr geraten. Die müssten zum Ausgleich für die Wertverluste der Staatspapiere, die sie in ihren Bilanzen haben, neues Eigenkapital einbringen. Nur, wer soll ihnen das geben?

Na, Italiens Bürger natürlich. Die Familien in "Bella Italia" sind nämlich, anders als ihr Staat, vergleichsweise reich. Nach einer Untersuchung der OECD liegen sie in der Rangliste der westlichen Industrienationen an fünfter Stelle, gleich hinter Amerikanern, Japanern, Belgiern und Holländern, weit vor deutschen Familien (vor allem, weil deren Immobilienbesitz geringer ist).

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Aber freiwillig dürften die begüterten Familien ihre Schätze kaum herausrücken. Deshalb wird bei Bankern und Börsen-Profis längst spekuliert, dass die Regierung in Rom sich irgendwann mit einer Sondersteuer oder einer Krisenabgabe Geld bei den eigenen Bürgern holen wird. Dafür müsste die Not allerdings schon ziemlich arg sein. Denn so könnten Salvini und Di Maio womöglich den Staatshaushalt vor dem Kollaps retten. Sie wären aber im Volk unten durch - wo sie doch gerade so wunderbar weit oben in der Gunst stehen dank ihrer schönen, teuren, nicht seriös finanzierbaren Geschenke.


Zusammengefasst: Die EU-Kommission hat Italien einen blauen Brief geschickt: Das Vorhaben der Regierung in Rom, den staatlichen Schuldenberg um weitere 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wachsen zu lassen, verstoße eklatant gegen die EU-Regeln und löse in Europa "ernsthafte Besorgnis" aus. Bis Montagmittag soll die römische Regierung nun darauf antworten. Allerdings wird sich Italien mit einer von Brüssel als Maximalwert genannten Neuverschuldung von 1,5 Prozent nicht abfinden können - zu teuer sind die Wahlgeschenke, von denen man nicht abrücken will. Brüssel wird deshalb möglicherweise erstmals einen nationalen Haushalt ablehnen und Strafmaßnahmen einleiten. Die Folgen ihrer Budgetplanung bekommen die Italiener auf dem Markt schon jetzt zu spüren: Das Kreditrating des Staates sinkt, Kredite werden noch einmal teurer. Viele Investoren ziehen Kapital ab.

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