Deutsche Energiewende Neuem Atomkurs fehlt die Rechtsgrundlage

Angela Merkel vollzieht in der Energiepolitik eine Kehrtwende. Altmeiler sollen rasch abgeschaltet werden, die Laufzeitverlängerung wird für drei Monate ausgesetzt. Doch Juristen sind skeptisch: Ohne neues Atomgesetz haben die Ankündigungen keine Rechtsgrundlage - selbst das Moratorium nicht. 
AKW Krümmel: Kehrtwende in der Atompolitik

AKW Krümmel: Kehrtwende in der Atompolitik

Foto: CHRISTIAN CHARISIUS/ REUTERS

Hamburg - Mit deutlichen Worten hat die Kanzlerin die Neuordnung ihrer Atompolitik verkündet. "Sicherheit steht über allem", sagte Angela Merkel am Montag. "Alles kommt auf den Prüfstand." Und am Dienstag präzisierte sie: Sieben Altmeiler werden vorübergebend abgeschaltet.

Drei Monate will die Regierung sich nun Zeit nehmen, um ihre Energiepolitik zu überdenken - bis dahin ruht die gerade beschlossene Laufzeitverlängerung und wird noch einmal überdacht. Sieben Altmeiler sollen für Sicherheitsprüfungen rasch vom Netz. "Wir haben nie eine Garantie für den Weiterbetrieb jedes einzelnen Kraftwerks gegeben", erklärte Vizekanzler und FDP-Chef Guido Westerwelle. Merkel sagte, nach dem Moratorium werde die Lage eine andere sein als jetzt.

Klingt nach einer Revolution in der schwarz-gelben Energiepolitik. Aber ist diese überhaupt möglich?

Die Energiekonzerne reagieren verhalten auf die Ankündigungen. "Wir nehmen das zur Kenntnis und warten, dass die Regierung auf uns zukommt", teilte RWE mit. Doch was, wenn die Regierung die Betriebserlaubnis für Biblis nach dem Moratorium ganz kassiert?

Eine Rücknahme der Laufzeitverlängerung, das Abschalten von Altmeilern und auch das Moratorium sind rechtlich heikle Handlungen. In einigen Monaten, wenn die Katastrophe in Japan nicht mehr die Schlagzeilen bestimmen wird, könnten die Konzerne gegen solche Maßnahmen klagen.

Regierung bei Moratorium auf Goodwill der Konzerne angewiesen

Schon das Moratorium für die Laufzeitverlängerung ist problematisch. "Wir haben ein bestehendes Gesetz, das so etwas nicht vorsieht", sagt Gerhard Roller, Atomrechtler an der Fachhochschule Bingen. "Das Moratorium hat rechtlich keine Relevanz." Um es durchzusetzen, müsste zwingend das Gesetz geändert werden. "Ansonsten ist das Augenwischerei." Die Betreiber könnten das Moratorium natürlich von sich aus einhalten. "Aber verbindlich ist das keineswegs."

Im Falle der Altmeiler, die nun vorerst abgeschaltet werden, ist die Frage besonders relevant. "Die Betriebserlaubnis der Kraftwerke wurde verlängert, jetzt wird sie den Betreibern wieder entzogen", sagt Joachim Wieland, Atomrechtsexperte von der Hochschule Speyer. "Das ist ein Eingriff in das Eigentumsgrundrecht nach Artikel 14 des Grundgesetzes."

Das Abschalten bedeutet für die Betreiber Verluste - zumindest zeitweilig. Ob die Kraftwerke nach dem Moratorium wieder ans Netz dürfen, hat Merkel offengelassen. Dennoch rechnet Wieland nicht damit, dass die Konzerne das Moratorium rechtlich angreifen werden. "Ich kann mir das angesichts der Lage in Japan einfach nicht vorstellen."

Problematisches Blitzabschalten der Altmeiler

Auch die angekündigte Blitzabschaltung der sieben Altmeiler hat keine rechtliche Grundlage. Die Regierung beruft sich dabei auf Paragraf 19, Absatz 3 des Atomgesetzes: den sogenannten atomaren Sonderfall. Der ist allerdings nur durchsetzbar, wenn die Gegenseite nicht dagegen vorgeht. "Das ist eine Nebelkerze", sagt Roller.

Die Behörden hätten zwar einen gewissen Beurteilungsspielraum, sie müssten einen Gefahrenverdacht aber erst nachweisen - und zwar einzeln für jeden Meiler, den sie stilllegen wollen. Und sie müssten sich rechtfertigen, warum derselbe Gefahrenverdacht bei der gerade beschlossenen Laufzeitverlängerung noch keine Rolle spielte.

Allerdings gilt auch in diesem Fall: Wo kein Kläger, da kein Richter. Und danach sieht es aus. "Wir werden die Regierung sicher nicht wegen Sicherheitschecks verklagen, wenn in Japan der GAU droht", ist aus einem Energiekonzern zu hören. "Merkels Beschluss ist somit der juristisch schlechteste Weg - aber gleichzeitig auch der schnellste", sagt Roller.

Endgültige Abschaltungen noch komplizierter

Im politischen Berlin und in der Energiebranche wird davon ausgegangen, dass es nicht bei dem Moratorium bleibt - sondern dass die Regierung einige Meiler ganz vom Netz nehmen will. Dazu wäre ein sogenannter Widerruf der Betriebserlaubnis nötig. "Der ist laut Atomgesetz nur auf der Grundlage von Paragraf 17, Absatz 5 des Atomgesetzes zulässig", sagt Roller. Das Gesetz spricht von einer "erheblichen Gefährdung der Beschäftigten, Dritter oder der Allgemeinheit".

Die Regierung hat in diesem Fall außerdem die Möglichkeit, ihre Sicherheitsphilosophie aufgrund der Vorkommnisse in Japan zu ändern. Soweit das aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse geschieht, ist dieser Weg unproblematisch - dafür aber müsste die Regierung einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn aus der Katastrophe in Japan glaubhaft machen.

Die neuen Sicherheitsanforderungen müssten zudem deutlich strenger sein als die bestehenden. "Nur wenn die Abweichung eine gewisse Relevanz hat, wenn das Sicherheitsdefizit so groß ist, dass der Weiterbetrieb aus Sicht der Behörde nicht verantwortet werden kann, darf die Betriebserlaubnis widerrufen werden", sagt Roller.

Was passiert bei einem Flugzeugabsturz?

Bei Neckarwestheim könnte die Regierung zum Beispiel anführen, dass der Reaktor keine voneinander unabhängigen Kühlsysteme hat - das japanische Kraftwerk Fukushima hat Probleme an der Kühlung. Biblis A und B verfügen im Vergleich zu moderneren Kraftwerken über vergleichsweise wenig Kühlmittelreserven. Bei Isar I könnte beanstandet werden, dass es nicht von zwei voneinander getrennten Kühlkreisläufen gesichert wird.

Allerdings sind diese Mängel schon länger bekannt, und die Konzerne könnten anführen, man arbeite bereits daran, sie zu beheben. Erfolgsversprechender wäre es daher für die Regierung, noch schärfere Sicherheitsanforderungen aus dem Schrank zu holen, die bereits während der Laufzeitverlängerung diskutiert, dann aber verworfen wurden. Zum Beispiel die Auflage, dass Meiler gegen Flugzeugabstürze abgesichert werden müssen. Viele der älteren Reaktoren würden diese Auflage nach derzeitigem Stand nicht erfüllen.

Auf jeden Fall begibt sich die Regierung auf rechtlich heikles Terrain. "Es ist nicht einfach, eine entsprechende Verfügung gerichtsfest zu machen", sagt Roller. Zudem darf der Widerruf einer Betriebserlaubnis nur als "Ultima Ratio" ausgesprochen werden - also nur, wenn von der Regierung angeführte Mängel nicht in angemessener Zeit behoben werden können.

Es ist fraglich, ob eine Klage Erfolg hätte

Will die Regierung Ernst machen mit ihren Ankündigungen, bleiben ihr aus Expertensicht nur zwei Lösungen: Entweder macht sie einen Deal mit den Atomkonzernen. Oder sie muss den beschwerlichen Weg gehen und ein neues Gesetzgebungsverfahren einleiten. Dann allerdings stünden die Chancen für eine schnelle Abschaltung von Altmeilern und auch für die Rücknahme der Laufzeitverlängerung sehr gut.

Bringt die Regierung ein neues Atomgesetz auf den Weg, könnten die Konzerne dagegen vor dem Verfassungsgericht klagen. "Die Laufzeitverlängerung ist per Gesetz beschlossen, die Betriebserlaubnis wurde verlängert - würde sie nun zurückgenommen, wäre das ein Eingriff in das Eigentumsgrundrecht", sagt Wieland. "Die Betreiber könnten argumentieren, dass das Abschalten von Altmeilern einer Enteignung gleichkomme."

Zudem könnten sich die Konzerne auf den Vertrauensschutz berufen - einen Rechtsgrundsatz, der besagt, dass das Vertrauen zu schützen ist, das der Bürger der Rechtsordnung entgegenbringt. Der Vertrauensschutz wird aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet und ist in Artikel 20 des Grundgesetzes verankert. "Die Energiekonzerne könnten geltend machen, dass der Vertrauensschutz beschädigt wurde, weil das Gesetz zur Laufzeitenverlängerung trotz monatelangen Prüfungen so schnell wieder aufgehoben wird", sagt Wieland.

Es ist jedoch fraglich, ob eine entsprechende Klage großen Erfolg hätte. "Der Vertrauensschutz dürfte für das Gericht nur eine untergeordnete Rolle spielen", sagt Roller. "Denn die Betreiber konnten ohnehin kaum darauf vertrauen, dass die Verlängerung im Falle eines Regierungswechsels Bestand gehabt hätte. Und in einem hochsensiblen Sonderbereich wie der Atomenergie müssen sie generell damit rechnen, dass Regeln geändert werden."

Auch gibt es das Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2 des Grundgesetzes. "Der Staat hat gegenüber den Bürgern eine Schutzpflicht", sagt Wieland. Diese leitet das Bundesverfassungsgericht direkt aus den Grundrechten ab. "Sollte es zu einer Klage kommen, würde das Gericht argumentieren, dass der Staat zum Schutz der Bürger verpflichtet ist und von Verfassung wegen einen weiten Spielraum hat, wie er seiner Schutzpflicht genügt", sagt Wieland. "Die Rücknahme der Laufzeitverlängerung wäre daher wohl gerichtsfest."

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