Deutsche Wirtschaft Es geht uns gut. Es geht uns sehr, sehr gut

Bauarbeiter in Berlin: Die Lage ist weit besser als die Stimmung
Foto: dapdHamburg - Stellen Sie sich vor, Sie laufen die Straße hinunter und begegnen plötzlich ihrem guten alten Freund, der deutschen Wirtschaft. "Hey, Wirtschaft", sagen Sie, "schön, dich zu sehen, wie geht's dir?" Und die Wirtschaft blickt Sie kurz unschlüssig an und sagt: "Danke der Nachfrage, es geht mir gut. Nein, eigentlich geht es mir schlecht. Nee, eigentlich beides."
Wer sich im Moment über die Lage der Wirtschaft informieren will, muss sich ungefähr so fühlen. Die Bürger bekommen völlig widersprüchliche Angaben. "Der deutschen Wirtschaft geht es gut", sagte etwa Wirtschaftsminister Philipp Rösler am Donnerstag, nachdem die Regierung ihre Herbstprognose präsentiert hatte. Erst kurz zuvor hatte der Bundesverband der Deutschen Industrie vor einer "explodierenden Staatsverschuldung" gewarnt, vor "labilen Finanzmärkten", vor "externen Schocks", die eine gesunde Wirtschaft nach unten ziehen können. Finanzexperten schätzen die Konjunkturaussichten so schlecht ein wie seit drei Jahren nicht.
Was denn jetzt? Geht es der Wirtschaft nun gut oder schlecht?
Die Antwort: Es geht ihr gut. "Deutschland steht besser da als seit langem", sagt Thomas Straubhaar, der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). "Es gibt viele strukturelle Rahmenbedingungen, die gegen einen erneuten Einbruch der Wirtschaft sprechen", sagt Kai Carstensen, der Konjunkturchef vom Ifo-Institut.
Positive Aussichten
Zwar ist das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal nur noch um 0,1 Prozent gewachsen, doch dafür gibt es eine einfache Erklärung. In den vergangenen anderthalb Jahren ging es mit der deutschen Wirtschaft steil bergauf, und das lag vor allem daran, dass sie nach der Finanzkrise stark eingebrochen war und sich dann wieder berappelte. Von einem "Erholungs-Boom", spricht Michael Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW). "Es war abzusehen, dass der nicht ewig anhält."
Ein Rückfall in die Rezession ist dennoch kaum zu befürchten. Es sprechen jedenfalls viele Fakten dagegen.
- Der Jobmarkt - der für die meisten Menschen wohl wichtigste Punkt - entwickelt sich robust. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rechnet damit, dass die Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr von 2,984 Millionen auf 2,868 Millionen sinkt; auch Wirtschaftsinstitute rechnen mit einem weiteren Rückgang. Selbst die Zahl der Langzeitarbeitslosen geht momentan zurück.
- Die Zinsen für Firmenkredite sind zurzeit sehr niedrig. Unternehmen kommen bei Bedarf leicht an Geld - zu günstigen Konditionen.
- Die Löhne von Millionen Menschen steigen. In zahlreichen Branchen haben Gewerkschaften Steigerungen von mehreren Prozent erkämpft. Für 2012 rechnet die Bundesregierung mit weiteren guten Tarifabschlüssen. Die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte sollen 2011 um 3,2 Prozent zulegen und 2012 um 2,9 Prozent. Es wäre der höchste Anstieg seit der Wiedervereinigung.
- Gleichzeitig erwarten Forscher, dass die Verbraucherpreise nur moderat anziehen. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) etwa rechnet für 2012 mit einer Inflationsrate von weniger als zwei Prozent.
- Die Steuerzahler haben vorerst keine Erhöhungen bei den Abgaben zu befürchten. Sie dürfen sogar auf Erleichterungen in Höhe von sechs bis sieben Milliarden Euro pro Jahr hoffen - vorausgesetzt, die CSU spielt mit.
Das alles sind Zeichen dafür, dass es auch künftig weiter bergauf geht - wenn auch langsamer. Die Regierung selbst rechnet für 2012 mit einem Wachstum von einem Prozent. Führende Wirtschaftsforscher hatten ihre Prognose in der vergangenen Woche von plus 2,0 auf plus 0,8 Prozent gesenkt.
Klima der Angst
Für die gestutzten Prognosen gibt es zwei Gründe: Erstens dürfte sich die Wirtschaft in vielen anderen EU-Ländern wegen der Schuldenkrise noch viel schlechter entwickeln als in der Bundesrepublik. Da die deutschen Unternehmen aber mehr als die Hälfte aller Güter in andere EU-Länder exportieren, geht das Wachstum deutlich zurück. Die Regierung geht in ihrem Herbstgutachten davon aus, dass die Ausfuhren in diesem Jahr um 7,5 Prozent zulegen und im kommenden Jahr um 3,5 Prozent.
Zweitens herrscht in Deutschland derzeit ein Klima der Angst. Die drastischen Warnungen der Wirtschaftsverbände, die ständigen Hiobsbotschaften über Griechenlands mögliche Pleite und den bedrohten Euro, die massive Kritik an der Krisenpolitik von Europas Staatslenkern - das macht Investoren und Unternehmer nervös.
All das erinnert sie an den Crash von 2008, daran, dass es mit der Wirtschaft rapide bergab gehen kann, wenn das Bankensystem kollabiert. Zwar ist derzeit nicht damit zu rechnen, dass sich die Katastrophe wiederholt. Doch es hatte auch 2008 kaum einer damit gerechnet, und es passierte trotzdem. Diese Unsicherheit macht Investoren nervös, lässt sie auch sicherere Zeiten warten und Investitionen verschieben. Das bremst die Wirtschaft.
Die wirtschaftliche Lage ist also derzeit weit besser als die Stimmung. Die strukturellen Rahmenbedingungen sprechen für ein stabiles Wachstum, gleichzeitig bremst die Angst vor einem neuen Crash den Aufschwung. Gut wäre jetzt eine Einstellung, wie sie die Band Eins Zwo in einem ihrer Songs beschreibt: "Es geht mir gut, ich mein: Es könnte weißgott schlimmer sein", heißt es darin. "Ich will nix anderes machen als das hier, und zwar in Bestform. Und erfüll mal wieder mit links die Testnorm."
Dass viele Unternehmer nach dem Cash von 2008 nicht mehr so eingestellt sind, kann man ihnen nicht verdenken. Der deutschen Wirtschaft würde ein wenig mehr Optimismus indes guttun.