Schleppende Energiewende Deutschland droht gewaltige Ökostromlücke

Windräder und Hochspannungsleitung in Niedersachsen: Viel zu wenig Ökostrom
Foto: Julian Stratenschulte / picture alliance / dpaDie Bundesregierung könnte ihr Ziel, bis 2030 mindestens 65 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen, deutlich verfehlen. Das zeigen Berechnungen, die die Denkfabrik Agora Energiewende in den kommenden Tagen veröffentlichen will und die dem SPIEGEL vorliegen.
Bei aktuellem Ausbautempo würde der Ökostromanteil zu Anfang des kommenden Jahrzehnts demnach maximal 55 Prozent betragen. Und auch das sei nur zu schaffen, wenn sich der Ausbau der Windkraftanlagen an Land gegenüber dem Krisenjahr 2019 bis 2023 ungefähr verdopple. Der Ausbau der Windenergie auf See und der Ausbau der Photovoltaik müssten zudem die Zielvorgaben des Klimaschutzprogramms 2030 erfüllen, schreiben die Experten von Agora Energiewende, die oft auch die Regierung in Sachen Energiewende beraten.
Unter Fachleuten gilt es als unsicher, dass selbst diese konservativen Annahmen eintreffen. Denn in drei der wichtigsten Ökostromsparten kriselt es zurzeit:
Bei der Windenergie an Land streitet die Große Koalition seit Monaten über eine mögliche pauschale Abstandsregel für neue Anlagen. Zuletzt sah es so aus, als würde diese Idee wieder verworfen.
Für den Ausbau der Windenergie auf See hat die Regierung bis heute keine langfristige Strategie vorgelegt. Derzeit gibt es noch nicht einmal ein Gesetz, das den Bau zusätzlicher Offshore-Windanlagen mit einer Leistung von 5000 Megawatt bis 2030 garantiert. Die Große Koalition hatte diese Maßnahme in ihrem Klimaschutzpaket versprochen.
Und in der Solarbranche bekommen erste Projekte keinen Kredit mehr, weil die Förderung derzeit nicht sicher ist. Die Förderung der Solarenergie ist derzeit auf 52 Gigawatt begrenzt, Ende 2019 waren nach aktuellen Zahlen der Bundesnetzagentur rund 49 Gigawatt installiert . Die Große Koalition wollte den Solardeckel längst beseitigt haben. Doch die CDU nutzt ihn als Druckmittel in Verhandlungen mit der SPD über die Abstandsregel für Windräder.
Steigender Strombedarf
Weniger Ökostrom und mehr Strom aus fossilen Energieträgern würden laut Agora-Prognose zu höheren Kosten führen. Bei nur 55 Prozent Erneuerbaren-Anteil würden die Börsenstrompreise im Jahr 2030 um 5 bis 10 Euro pro Megawattstunde steigen. Die CO2-Emissionen lägen um 5 bis 20 Millionen Tonnen höher als geplant.
Die Experten von Agora Energiewende weisen zudem darauf hin, dass der Stromverbrauch bis 2030 deutlich steigen dürfte - wegen zunehmender Elektromobilität, mehr Wärmepumpen, Wasserstoffgewinnung und zusätzlichem Energiebedarf in der energieintensiven Industrie.
Die Offshore-Windkraftleistung müsse daher bis 2030 auf mindestens 25 Gigawatt steigen. Bei der Windkraft an Land müssten mindestens wieder vier Gigawatt pro Jahr zugebaut werden. Im Solarsektor wären sogar zehn Gigawatt pro Jahr nötig.
Gerade beim Wind an Land müsse die Krise rasch politisch gelöst werden, schreiben die Experten. "Andernfalls droht auch der Energiewende insgesamt schwerer Schaden."