Wunsch fürs Wahljahr Deutschland sollte seine Wirtschaftspolitik ändern

Von Agnès Bénassy-Quéré
Deutschland verdient Respekt für seine Hartnäckigkeit in der Wirtschaftspolitik. Doch das Pochen auf Haushaltsdisziplin allein reicht nicht aus - und die hohen Exportüberschüsse sind in einer Währungsunion sogar gefährlich.
Hamburger Hafen: Problem Exportüberschüsse

Hamburger Hafen: Problem Exportüberschüsse

Foto: © Fabian Bimmer / Reuters/ REUTERS
Zur Autorin

Agnès Bénassy-Quéré (Jahrgang 1966) ist französische Ökonomin. Sie war zeitweise Vorsitzende des Conseil d'analyse économique (CAE), vergleichbar mit dem Sachverständigenrat in Deutschland.

Die Franzosen gelten als arrogant. Sie kritisieren Deutschland gerne für dessen starre Einhaltung von Verpflichtungen und Regeln. Es fällt den Franzosen manchmal schwer, unterschiedliche Standpunkte zu akzeptieren.

Ich würde meinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern erst mal zur Bescheidenheit raten: Lasst uns in Richtung Deutschland unsere Bewunderung und Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Deutschland hat vielen Kriegsflüchtlingen eine neue Zukunft geboten und so gewissermaßen die europäische Ehre gerettet.

Ebenso muss die Hartnäckigkeit gewürdigt werden, mit der Deutschland unermüdlich dem Prinzip der Solidität, das uns ja so irritiert, bei der europäischen Einigung treu geblieben ist. Deutschland ist durch seine Geschichte geprägt, mit dem Land ist weder beim Thema demokratische Kontrolle noch bei der Achtung der demokratischen Institutionen zu spaßen.

Deutschland ist zum Grundpfeiler des Euroraums geworden und die Bundeskanzlerin zu dessen Chefin. Für die Lösung der europäischen Staatsschuldenkrise wurden die Deutschen bisher nicht mehr als Franzosen oder Italiener zur Kasse gebeten, jedoch fürchten sie, in letzter Instanz für einen Euroraum zahlen zu müssen, der unverantwortlich mit seinen Finanzen umgeht.

Der mögliche Verlust ihrer Ersparnisse, sowie die ihnen zugeteilte Rolle des Knecht Ruprecht, belasten die Deutschen. Sie werden das Gefühl nicht los, dass all die Kompromisse, die sie seit Beginn der Krise eingegangen sind, nicht wertgeschätzt werden. Sie fühlen sich von ihren Partnern hintergangen und nehmen der Europäischen Zentralbank (EZB) ihre Nullzinspolitik übel.

Maastricht ist gescheitert

In Deutschland träumen viele von der Wiederauferstehung des Geistes von Maastricht: keine Vergemeinschaftung der Schulden, keine Sanierung eines Mitgliedstaates durch andere, Einhaltung der Haushaltsvorschriften, Überwachung durch funktionierende Märkte, die diejenigen bestrafen, die von diesen Prinzipien abweichen. Jeder soll doch die eigenen Hausaufgaben erledigen, sodass in der ganzen Klasse Harmonie herrscht.

Aber Maastricht ist gescheitert. Die Eurokrise hat gezeigt, dass Haushaltsdisziplin nicht ausreicht, dass die Märkte unfähig sind, die Schwierigkeiten eines Staates vorauszusehen, dass die Banken sich auf alle möglichen Szenarien einstellen müssen, ebenso wie die europäischen Partner für jegliche Art von Kompromiss bereitstehen sollten.

Eine funktionierende Währungsunion ist kein Selbstläufer: Wir müssen Kompromisse eingehen und mit hybriden Lösungen leben. Das haben alle Regierungen seit Beginn der Krise getan - wenn auch manchmal zu spät und ohne dass sie jedes Mal wirklich dazu gestanden hätten.

Seit Jahren spielen Deutschland und Frankreich eine Art ideologisches Versteckspiel: Spricht Frankreich über Solidarität, kontert Deutschland mit Verantwortung; will Paris über Haushaltspolitik reden, antwortet Berlin mit Strukturreformen. Wirtschaftspolitisch sieht Frankreich die Lösung in mehr Nachfrage, für Deutschland ist das Angebot der richtige Ansatz. Wachstum jedoch ergibt sich sowohl aus Angebot als auch Nachfrage.

Ein gemeinsames Wirtschaftslehrbuch

Deutschland und Frankreich sollten gemeinsam das Wirtschaftslehrbuch für ihren Dialog schreiben. Der vermutlich wichtigste Reibungspunkt betrifft den Begriff Wettbewerbsfähigkeit. In Deutschland werden die eigenen Handelsüberschüsse gerne als das Ergebnis einer hohen Wettbewerbsfähigkeit gesehen, die sowohl aus den Strukturen der deutschen Industrie als auch aus der Lohnzurückhaltung der Nullerjahre resultiert.

Die Franzosen betrachten die deutschen Handelsüberschüsse dagegen als Zeichen mangelnder Importe, also einer mangelnden Nachfrage, die nicht alleine durch eine alternde Bevölkerung erklärt werden kann. Eine Strategie der niedrigen Löhne für den gesamten Euroraum stellen die Franzosen ebenso infrage. Sie würden den Wechselkurs des Euro aufwerten, aber keine zusätzliche Wettbewerbsfähigkeit in Europa mit sich bringen. Kurz gesagt: Mit dem deutschen Wirtschaftsrezept lässt sich nicht gut für die Währungsunion als Ganzes kochen.

Der Stabilitätspakt ist asymmetrisch: Es werden nur die Haushaltsdefizite und nicht die Überschüsse gedeckelt. Das nach der Krise ins Leben gerufene Verfahren bei übermäßigen makroökonomischen Ungleichgewichten hätte dies verändern und es ermöglichen können, außenwirtschaftliche Ungleichgewichte besser zu überwachen. Doch das Verfahren wird nicht ernst genug genommen und hat keine Wirkung gezeigt.

Wenn ich eine Bitte an Deutschland richten könnte, dann wäre es, dass das Land seine Wirtschaftspolitik in Einklang mit der Teilnahme an einer Währungsunion bringt. Dies entspricht auch Deutschlands langfristigem Interesse daran, dass der Euro überlebt.

Ein Außenhandelsüberschuss in Höhe von acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes bedeutet, dass diese acht Prozent außerhalb von Deutschland angespart und investiert werden. Im Idealfall würde dieses Geld aber Investitionen im Euroraum finanzieren - was im Moment nur teilweise der Fall ist. Weil der Euroraum insgesamt Überschüsse erwirtschaftet, bedeutet dies, dass ein Großteil der deutschen Ersparnisse außerhalb von Europa investiert wird. Solange die öffentlichen Finanzen in den anderen europäischen Ländern nicht genesen sind, ist dies eine nicht wünschenswerte Situation. Wenn alle Länder des Euroraums gleichzeitig sparen würden, würde nirgendwo mehr bestellt und gekauft.

Deutschland sollte sich solidarischer zeigen

Ich würde auch gerne noch einen anderen, größeren Wunsch formulieren: Ich wünsche mir, dass unsere beiden Länder zu gemeinsamem Elan und Ehrgeiz zurückfinden. Jede einzelne Entscheidung, die seit der Krise getroffen wurde, musste sein. Es waren aber sehr technische, teilweise sogar technokratische Schritte, kaum sichtbar für die Bürger, die ihr Vertrauen in die EU verloren haben.

Ich wünsche mir, dass Deutschland und Frankreich gemeinsam auftreten bei Themen, die eigentlich ihre nationale Souveränität betreffen, wie die finanzielle Regulierung, Fragen des Steuerwettbewerbs oder Antidumpingmaßnahmen.

Hat Europa nicht versprochen, sich wie ein großes Land zu verhalten? Könnten wir nicht zusammen ein ambitioniertes und konkretes Projekt, wie zum Beispiel ein Europa der beruflichen Chancen, der Weiterbildung, der Arbeit, der gesellschaftlichen und geographischen Mobilität erbauen? Ein Europa, das den sozial Schwächsten Schutz bietet, um die Bürgerinnen und Bürger mit Europa zu versöhnen und wirtschaftlich wieder auf den Wachstumspfad zu gelangen?

Europa hat in der Vergangenheit die Kraft gefunden, solch ambitionierte Projekte in mehreren Schritten, mit Konvergenzkriterien und Reformanreizen durchzuführen. Wenn Deutschland sich solidarisch zeigen würde, könnte das einen neuen Impuls für gemeinsame Projekte geben und es würde Deutschlands Partnern als Anregung dienen, Reformen durchzuführen.

Wenn Frankreich bereit wäre, weniger selbstgerecht aufzutreten, könnte das wieder zu einem konstruktiven Dialog führen. Denn letztendlich wartet Deutschland nur darauf, den "deutsch-französischen Motor" wieder zu starten.

Dieser Beitrag erscheint ebenfalls an diesem Mittwoch auf Französisch in der Zeitung "Le Monde".

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