Unruhe am Aktienmarkt Das Ende der deutschen Illusion

Merkel: Wer den Euro retten will, muss noch mehr nationale Macht abgeben
Foto: dapdHamburg - Da sind sie wieder: die Börsenhändler mit den traurigen Blicken und die Kurstafeln mit den zackigen Linien nach unten. Mehr als 16 Prozent hat der Deutsche Aktienindex (Dax ) in den vergangenen zehn Wochen an Wert verloren. An diesem Montag fiel er sogar zeitweise unter die Marke von 6000 Punkten. Hat die Krise, die lange nur im Ausland stattzufinden schien, nun auch Deutschland erreicht?
Der Kurssturz an der Börse ist ein Warnsignal. So wie im vergangen Sommer, als der Dax binnen weniger Wochen rund 30 Prozent verlor. Damals löste der "Crash auf Raten" eine Welle des Aktionismus aus: Ein Euro-Gipfel jagte den nächsten. Immer größere Rettungsschirme wurden gespannt. Und die Bundesregierung versuchte das Problem zu bewältigen, indem sie bestimmte Wetten auf sinkende Aktienkurse einfach verbot. In Deutschland, so der weit verbreitete Glaube, waren es ja nur die Finanzmärkte, die verrückt spielten.
Das ist vielleicht das größte Problem der Deutschen in der nun schon seit mehr als zwei Jahre währenden Euro-Krise: Sie war für sie bisher vor allem eine Krise der anderen - der Griechen, der Portugiesen, der Spanier und der Italiener. Also all jener, die ihre Finanzen nicht im Griff haben und nach deutscher Denkart nun gefälligst dafür büßen sollten. Hierzulande dagegen blühte die Wirtschaft und die Menschen hatten Arbeit. In einem Meer von Gebeutelten war Deutschland eine Insel der Glückseligen.
Nun dürfte langsam auch dem letzten Bürger klar werden, dass dieses Konzept nicht funktionieren kann. Die einbrechenden Aktienkurse sind nur ein Zeichen von vielen. Die Einkaufsmanager der Unternehmen berichten in Umfragen seit Monaten von schlechten Aussichten - und im Mai brach mit dem Ifo-Index erstmals seit einem halben Jahr auch das wichtigste Konjunkturbarometer der deutschen Wirtschaft ein.
Die Unternehmen fürchten, dass die Krise, die an den Rändern Europas begann und sich immer weiter zur Mitte vorfrisst, auch sie erreicht - und diese Angst ist begründet. Auf Dauer kann eine Volkswirtschaft sich nicht von den Entwicklungen um sie herum abkoppeln. Die Unternehmen merken, dass die Nachfrage aus den Krisenländern einbricht - und sie ahnen, dass dies erst der Anfang sein könnte.
Die Party könnte bald vorbei sein
Dass Deutschland die Krise bisher so wenig spürte, lag vor allem an Schwellenländern wie China, Indien, Brasilien oder Russland. Diese Volkswirtschaften boomten, die Unternehmen und Verbraucher kauften Produkte aus Deutschland. Noch nie wurden in China so viele deutsche Autos abgesetzt wie im Jahr 2011.
Doch auch hier stehen die Zeichen auf Abkühlung. Die chinesische Wirtschaft wächst mittlerweile längst nicht mehr so schnell wie noch vor einem Jahr, Russland bekommt die Auswirkungen der Krise in Form von Währungsturbulenzen zu spüren - und auch die größte Volkswirtschaft der Welt, die USA, hat gewaltige Probleme. Die Party in Deutschland könnte bald vorbei sein.
Umso wichtiger wäre es, endlich zu begreifen, wie tief wir mit drinstecken in der Krise. Raushalten ist keine Option mehr. Von Asien oder Amerika aus betrachtet, verschwimmen die Unterschiede ohnehin längst. Wenn die Investoren dort das Vertrauen in die Euro-Zone verlieren und ihr Geld aus Europa abziehen, wird auch Deutschland mittelfristig die Folgen spüren.
Deshalb ist es in deutschem Interesse, die lebensbedrohlichen Probleme der Währungsunion möglichst schnell und nachhaltig zu lösen. Doch dafür braucht es radikalere Schritte als Deutschland bisher zu gehen bereit ist. Das betrifft nicht nur die Bundesregierung unter Angela Merkel, sondern auch einen großen Teil der Bevölkerung, der sich vehement dagegen wehrt, dass Deutschland Macht und Geld abgeben soll, um den Euro zu retten.
Genau darauf wird es am Ende aber hinauslaufen müssen. Ohne eine Wirtschaftsregierung und eine wirkliche Fiskalunion wird der Euro auf Dauer wohl nicht überleben. Zum Teil gibt es solche Institutionen ja schon: Bei ihren Krisengipfeln diktieren Regierungschefs und Finanzminister den Krisenländern bereits jetzt deren Haushaltspläne. Und im geplanten Fiskalpakt verpflichten sich die Staaten einer einheitlichen Sparpolitik. Doch das alles sind unvollständige Provisorien.
Wer den Euro retten will, muss noch mehr nationale Macht abgeben und noch mehr gemeinschaftliche Entscheidungen akzeptieren - und am Ende wird er auch einsehen müssen, dass die Euro-Länder gemeinsam für ihre Schulden haften müssen.