Henrik Müller

Finanzüberschüsse Fonds national

Deutschland sitzt auf fetten Einnahmen - und es werden noch mehr. Statt das Geld zu verpulvern, sollte die kommende Regierung einen Staatsfonds für Deutschland anlegen. Denn so gut werden die Zeiten nicht bleiben.
Blick auf den Bundestag

Blick auf den Bundestag

Foto: Omer Messinger/ Getty Images

Die "Jamaika"-Sondierer haben ein Luxusproblem: jede Menge Geld. Die nächste Regierung, wie auch immer sie nach diesen zähen Gesprächen aussehen mag, wird über enorme Einnahmen verfügen. Einige zig Milliarden Euro an Überschüssen dürften es werden, soweit das derzeit absehbar ist.

Was wird sie mit all dem Geld anstellen? Im Prinzip kann die Regierung vier Dinge tun, nämlich: die Ausgaben erhöhen, die Steuern senken, Schulden zurückzahlen oder ein Vermögen ansparen.

Bislang dreht sich die Debatte vor allem um die ersten drei Punkte: mehr Kindergeld, den Solidaritätszuschlag zurückfahren, eine "schwarze Null" im Staatshaushalt - solche Sachen.

Aber der Staat könnte natürlich auch Überschüsse in einen Fonds umlenken, die Gelder renditebringend anlegen und sich damit finanzielle Spielräume in der Zukunft eröffnen.

Ein Staatsfonds für Deutschland? Wäre das sinnvoll? Es wäre jedenfalls ein Beitrag zur finanzpolitischen Nachhaltigkeit.

Jede Menge Kohle

Internationale Beispiele gibt es einige: Norwegen, China, Singapur, die Golfstaaten, Russland - alles Länder, die Investmentvehikel besitzen mit zig, teils sogar Hunderten Milliarden Euro in den Kassen.

Auf den ersten Blick können sie keine Vorbilder für Deutschland sein, weil die Bedingungen dort andere sind als hierzulande. Auf den zweiten Blick jedoch sind die fundamentalen Herausforderungen durchaus vergleichbar.

Die Länder, die große Staatsfonds unterhalten, lassen sich in zwei Gruppen teilen: Zum einen solche, die über große Rohstoffvorkommen verfügen, insbesondere Öl und Gas, und die immensen Einnahmen daraus gar nicht sinnvoll ausgeben können.

Zum anderen Länder, die ihre Währungen künstlich unterbewertet gehalten haben und deshalb Milliarden von Dollar (und Euro) an den Devisenmärkten aufgekauft haben. Norwegen, die Golfstaaten und Russland gehören zur ersten Gruppe, China und Singapur zur zweiten Gruppe.

Nun ist Deutschland weder ein großer Rohstoffexporteur, noch verfügen wir über fette Devisenreserven. Aber die Grundidee der Staatsfonds trifft auch auf die Bundesrepublik zu: Einnahmequellen sprudeln überraschend, aber irgendwann werden sie erschöpft sein. Es liegt deshalb nahe, diese Gelder anzusparen, um sie für die Zukunft nutzbar zu machen.

Die Krisen der anderen

Noch im vorigen Jahrzehnt hätte kaum jemand zu hoffen gewagt, dass Deutschlands Staatshaushalte nachhaltig ins Plus driften würden. Die derzeitigen Überschüsse sind nicht nur ein Ausweis deutscher Tüchtig- und Sparsamkeit - vor allem sind sie das Resultat von Sonderfaktoren.

Weil unsere Euro-Partner lange wirtschaftlich darniederlagen und der aktuelle Aufschwung dort immer noch brüchig ist - weshalb die Europäische Zentralbank (EZB) wohl noch auf Jahre tatkräftig nachhelfen wird - , wird die Konjunktur hierzulande von extrem niedrigen Zinsen und einem sehr billigen Euro angeschoben. Bau und Export boomen. Millionen Bürger anderer EU-Staaten kamen seit 2010 nach Deutschland, um zu arbeiten (und Steuern und Abgaben zu zahlen). Der rekordhohe Beschäftigungsstand schwemmt viele Extramilliarden in die Kassen der Sozialversicherungen.

Bleibt das derzeitige Szenario intakt, wird die Bundesrepublik noch über Jahre mit Überhitzungssymptomen zu tun haben. Große zusätzliche Ausgabenprogramme sollten für die nächste Regierung daher genauso tabu sein wie Steuersenkungen. Beides würde die Konjunktur weiter anheizen.

Die Dürre nach der Flut

Doch absehbar ist auch: Ewig werden die hohen Einnahmen nicht währen. Die demographische Entwicklung wird ab dem kommenden Jahrzehnt, wenn geburtenstarke Jahrgänge in den Ruhestand wechseln, den Staatshaushalten zusätzliche Ausgaben abfordern. Und wenn der Anteil der Älteren in der Bevölkerung steigt, dürfte auch das Wirtschaftswachstum nachlassen - was wiederum die Staatseinnahmen belasten wird.

Deutschland steht damit vor einer Situation, die in gewisser Hinsicht der Lage von Ländern mit Staatsfonds ähnelt: Auch wir haben eine (für deutsche Verhältnisse) unterbewertete Währung und überraschende sprudelnde Einnahmequellen. So wie die Ölstaaten, die in Jahren hoher Energiepreise gigantische Vermögenspolster an ihre Staatsfonds überwiesen. So wie China, das über Jahre hohe Leistungsbilanzüberschüsse einfuhr, weil die Staatsführung den Yuan billig hielt - und im Gegenzug Billionen US-Dollar an Devisenreserven anhäufte und damit Fonds ausstattete.

Denn sie ahnten: So gut würden die Zeiten nicht ewig bleiben.

Ähnliches gilt für Deutschland: Die derzeit günstige Lage ist ein vorübergehendes Phänomen. Der Segen der überraschenden Zusatzeinnahmen sollte deshalb zeitlich gestreckt werden, damit auch die heute Jüngeren und künftige Generationen etwas davon haben.

Von Bayern lernen?

Das Ziel der Generationengerechtigkeit ließe sich auch befördern, indem man den Schuldenberg abträgt, den wir künftigen Steuerzahlern hinterlassen. Allerdings erscheint es wirtschaftlich nicht unbedingt sinnvoll, derzeit rasch die Verschuldung zurückzufahren. Noch sind die Zinsen unfassbar niedrig: Der Bund kann sich derzeit für 30 Jahre Geld leihen für Sätze um lediglich 1,2 Prozent: Bei Laufzeiten unter acht Jahren sind die Zinsen sogar negativ; es lockt also eine kleine Extraeinnahme für den Finanzminister.

Würde der Staat stattdessen seine Überschüsse anlegen, wären deutlich höhere Renditen drin. Der Norwegische Staatsfonds - der größte der Welt mit einem Volumen von fast 900 Milliarden Euro - erwirtschaftete voriges Jahr eine Rendite von 6,9 Prozent vor Verwaltungsausgaben.

Der Freistaat Bayern, der seit 1999 Steuergelder anspart, um künftige Beamtenpensionen bezahlen zu können - einzigartig innerhalb der Bundesrepublik -, kam 2016 immerhin auf 4,29 Prozent. Die Bayern investieren konservativer als die Norweger, nämlich größtenteils in Anleihen; nur ein Drittel steckt in Aktien von (überwiegend deutschen und europäischen) Großunternehmen.

Eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung empfiehlt denn auch den norwegischen Ansatz als Vorbild für einen möglichen deutschen Staatsfonds. Anders als die undurchsichtigen Konstruktionen anderswo, legen die Norweger Wert auf Transparenz. Das Parlament hat ein Wort mitzureden. Der überwiegende Teil der Gelder ist weltweit in Aktien angelegt, wobei der Anteil am jeweiligen Unternehmen nicht so groß sein darf, dass der Fonds übermäßigen Einfluss nehmen kann. Nachhaltige Geschäftsmodelle werden bevorzugt. Ansonsten soll das jeweilige Management ungestört von etwaigen politischen Interessenlagen in Oslo agieren können.

Von derartigen Überlegungen sind die schwarzgelbgrünen Unterhändler bislang weit entfernt. Im Gegenteil: Es sieht sogar so aus, dass der Bund Staatsanteile von Unternehmen verkaufen und direkt für laufende Ausgaben - oder Steuersenkungen - nutzen könnte.

An mehr als 60 Unternehmen mit Geschäftstätigkeit ist der Bund beteiligt, darunter Post, Telekom, Commerzbank. Fraglich, ob diese direkten Beteiligungen ordnungspolitisch vernünftig sind. Es mag einiges dafürsprechen, Staatsanteile zu privatisieren, gerade in Zeiten hoher Aktienkurse. Aber die Erlöse daraus sollten eher in einem Staatsfonds angelegt als im laufenden Regierungsgeschäft ausgegeben werden.

Allerdings sieht es so aus, als könnten sich die "Jamaikaner" vor allem auf Geldausgebe-Maßnahmen einigen - sofern sie sich überhaupt auf irgendetwas einigen. Aber der zwischenzeitliche Appell an die ökonomische Vernunft ist ja nicht strafbar - und vielleicht auch nicht nutzlos, solange nichts endgültig vereinbart ist.

Die wichtigsten Wirtschaftstermine der Woche

MONTAG

Naypyidaw - Euroasien - Beginn des Asien-Europa-Außenministertreffens (Asem). Mit dabei: Sigmar Gabriel.

Niedersachsen - Erdverwachsen - Kleiner Parteitag der niedersächsischen CDU zum geplanten Koalitionsvertrag mit der SPD auf Landesebene.

Brüssel - Jenseits der Insel - Die EU-Staaten entscheiden über die künftigen Standorte von zwei EU-Agenturen, die wegen des Brexits von Großbritannien auf den Kontinent verlagert werden. Es handelt sich um die Bankenaufsicht EBA und die Arzneimittelagentur EMA.

Stuttgart - Nach der Pleite - Plädoyers im Prozess gegen den ehemaligen Drogeriemarktbesitzer Schlecker.

DIENSTAG

Köln - Alles gegen Zucker - Vor Gericht: Geschädigte des sogenannten Zuckerkartells - insbesondere mehrere Süßwarenhersteller - fordern Schadensersatz von den Produzenten.

MITTWOCH

London - Auf Kante genäht - Der britische Schatzkanzler Hammond präsentiert seinen Haushaltsentwurf - heikel in Zeiten großer Brexit-Risiken.

Frankfurt/Main - Vor dem nächsten Crash? - Jahreskonferenz der Europäischen Versicherungsaufsicht Eiopa. Interessant in Zeiten extrem hochbewerteter Anleihen und Niedrigstzinsen.

DONNERSTAG

Wien - Jenseits des Deals - Der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) berät unter anderem über aktuelle Erkenntnisse zum iranischen Atomprogramm - das entsprechende Abkommen wird von US-Präsident Trump vehement hintertrieben.

FREITAG

München - Die Stimmung in Deutschland - Neues vom Ifo-Geschäftsklimaindex.

SAMSTAG

Berlin - Ampel auf Grün? - Bündnis 90/Grüne entscheiden beim Bundesparteitag über die Aufnahme von Jamaika-Koalitionsverhandlungen.

Kühlungsborn - Merkel an der Basis - Die Kanzlerin wird beim CDU-Landesparteitag Mecklenburg-Vorpommerns erwartet. Ein erster Stimmungstest, wie die Resultate der langen Berliner schwarzgelbgrünen Gespräche aufgenommen werden.

SONNTAG

Rom - Frieden, jetzt! - Während die muslimische Minderheit der Rohingya in Burma verfolgt und massakriert wird, reist Papst Franziskus nach Burma und Bangladesch.

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