
Job- und Konjunkturboom Deutschland läuft heiß


Bauarbeiter in Frankfurt: Zeichen einer Überhitzung?
Foto: Christoph Schmidt/ picture alliance / dpaAlles gut! Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit geht weiter zurück, die Löhne steigen, die Staatsschulden sinken. 2016 wird, zumindest für die deutsche Wirtschaft, ein gutes Jahr. Eine Prognose nach der anderen dürfte Deutschland in dieser Woche ein höchst befriedigendes Zeugnis ausstellen (am Montag ist die Commerzbank an der Reihe, am Mittwoch das Ifo-Institut, am Dienstag gibt's neue Daten zur Entwicklung der Eurozone). Sogar den Zuzug von weiteren anderthalb bis zwei Millionen Menschen wird die Volkswirtschaft ohne Blessuren wegstecken, schätzt die Bundesbank.
Alles gut? Zu übertriebener Selbstzufriedenheit besteht kein Anlass. Die traditionellen Treiber der deutschen Wirtschaft verlieren ihre Kraft: Die ausfuhrstarke Industrie trägt derzeit kaum noch zur Dynamik bei. Wichtige Auslandsmärkte, von der Eurozone bis China, stecken in ausgeprägten Schwächephasen. Zuletzt ist der Welthandel sogar geschrumpft. Keine gute Ausgangslage für die Industrie. Die trüben Aussichten auf den Weltmärkten drücken auf die Stimmung: Umfragen des Ifo-Instituts zeigen, dass die Industrieunternehmen nicht gerade in Partylaune sind.
Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr wie früher. Wenn die Globalisierung auf dem Rückschritt ist, wenn Schwellenländer nicht mehr so schnell wachsen, wenn sich die Terrorangst in Managerköpfen festsetzt, dann ist die offene bundesrepublikanische Volkswirtschaft davon stärker betroffen als andere führende Wirtschaftsnationen.
Die größten Risiken für die Konjunktur liegen in der globalen Großwetterlage. Gängige Prognosen gehen davon aus, dass sich der Welthandel erholt, dass die Schwellenländer sich rasch wieder stabilisieren und dass die Eurozone sich irgendwie weiter durchwurschelt. Aber all das ist keineswegs sicher (achten Sie auf die neuen Exportzahlen am Mittwoch).
Verdeckte Gefahren
Verdeckt werden die Gefahren durch die freigiebige Wirtschaftspolitik. Das billige Geld der Europäischen Zentralbank kommt gerade Deutschland zugute: Die niedrigsten Zinsen seit Generationen und der schwache Euro sorgen für günstige Bedingungen. Auch die Regierung gibt wieder mehr Geld aus: Ausgabenprogramme zur Bewältigung der Flüchtlingskrise stützen die Konjunktur; um 0,5 Prozent soll allein aus diesem Grund das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im kommenden Jahr steigen.
Insgesamt soll das BIP, falls nichts schiefgeht, 2016 und 2017 sogar jeweils um knapp zwei Prozent zulegen. Das klingt gut. Aber hinter dieser Zahl verbirgt sich eine gravierende Verschiebung im deutschen Wirtschaftsgefüge: Statt hochproduktiver Industriebranchen treiben nun binnenwirtschaftliche Branchen das Wachstum.
Wegen der Schwäche auf dem Weltmarkt haben die verarbeitenden Unternehmen im vergangenen halben Jahr ihre Investitionen zurückgefahren. So dürfte es weitergehen, falls eine globale Erholung ausbleibt. Währenddessen erlebt Deutschland eine binnenwirtschaftliche Blüte. Wegen der guten Beschäftigungslage steigen die Löhne. Niedrige Zinsen befördern den Wohnungsbau. Für den Moment ist das kein Problem, wohl aber, falls sich dieser Trend verfestigt.
Erinnerungen werden wach an die Boomjahre der Euro-Südstaaten. Auch dort sorgte in der ersten Hälfte des vorigen Jahrzehnts ein Mix aus niedrigen Zinsen und guter Beschäftigungslage dafür, dass Bau und Konsum florierten. Der Preis allerdings war immens: Hochproduktive Wirtschaftsbereiche wurden teilweise verdrängt; die steigende Verschuldung im privaten Sektor führte in die Finanzkrise.
Zeichen einer Überhitzung
Um nicht missverstanden zu werden: Deutschland steht deutlich solider da als, sagen wir, Spanien vor zehn Jahren. Doch auch hierzulande gibt es inzwischen Anzeichen für eine Überhitzung. Die Bundesbank kalkuliert, dass die Nachfrage inzwischen deutlich schneller wächst als die Produktionsmöglichkeiten, was sich insbesondere in der schnell steigenden Zahl von unbesetzten Stellen niederschlägt. Eine Konstellation, die üblicherweise Kapitalmarktblasen und/oder steigende Verbraucherpreise nach sich zieht.
Die Überhitzung könnte weiter fortgeschritten sein, als es die offiziellen Zahlen zeigen. Carsten-Patrick Meier vom Forschungsinstitut Kiel Economics geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft in Wahrheit deutlich schneller expandiert, weil heimische Branchen wie Bau und Einzelhandel ihre Daten teils mit erheblicher Zeitverzögerung an die Statistiker weitergäben.
Die wahre Wachstumsrate für 2016 taxiert Meier auf stolze 2,7 Prozent. Entsprechend weit fortgeschritten wäre die Überhitzung der Wirtschaft. Entsprechend groß wäre das Crash-Potenzial, insbesondere auf den Immobilienmärkten (achten Sie auf den neuen Immobilienmarktbericht, den die amtlichen Gutachterausschüsse am Montag vorlegen).
Alles gut also?
Genießen Sie die guten Zeiten, solange sie andauern.
Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der kommenden Woche:
MONTAG
Berlin - Zwischen Boom und Not - Trotz reger Bauaktivität zeigen einige Regionen deutliche Überhitzungserscheinungen, während andererseits billiger Wohnraum fehlt. Der Arbeitskreis der amtlichen Gutachterausschüsse legt seinen Immobilienmarktbericht vor.
Brüssel - Euro-Fixing - Die Finanzminister der Eurozone beraten über Griechenland und Zypern sowie über die Weiterentwicklung der Bankenunion.
Frankfurt - Glaskugelspiel - Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer stellt seinen Konjunkturausblick für 2016 vor.
Wiesbaden - Produktionszahlen - Das Statistische Bundesamt legt neue Zahlen zur Nettoproduktion in der Industrie im Oktober vor. Die beiden Vormonate brachten herbe Enttäuschungen.
DIENSTAG
Luxemburg - Zwischenstand - Neue Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt der Eurozone im dritten Quartal.
Brüssel - Finanzielle Terrorabwehr - Die EU-Finanzminister beraten, unter anderem über die Eindämmung der Terrorfinanzierung und über ein europäisches System der Sicherung von Bankeinlagen.
Berlin - Bauernbilanz - Die Welt aus agrarischer Sicht: Der Deutsche Bauernverband äußert sich zur wirtschaftlichen Lage der Landwirtschaft.
München - Schrumpfen und Wachsen - Siemens-Chef Kaeser stellt seine neue Innovationsstrategie vor.
Hannover - Testurteil - Das Landgericht Hannover entscheidet, ob Anleger, die während der Übernahmeschlacht zwischen Porsche und VW Geld verloren haben, ein sogenannte Musterverfahren anstrengen können. Gewissermaßen die deutsche Variante der Sammelklage.
MITTWOCH
Berlin - Sinns Welt - Ifo-Chef Hans-Werner Sinn stellt seine Konjunkturprognose für 2016 vor.
Frankfurt - Perioden-System - Der Verband der Chemischen Industrie legt seine Sicht auf die Wirtschaftsentwicklung dar.
Wiesbaden - Flatlining - Neue Zahlen zur Entwicklung der deutschen Exporte im Oktober.
DONNERSTAG
Hannover - Urlaub von den Krisen - Die Tui AG legt Jahreszahlen vor.
Buenos Aires - Epochenwende - Der neue argentinische Präsident Mauricio Macri, zur Abwechslung mal kein Peronist, tritt sein Amt an. Sein Versprechen: Staat und Wirtschaft zu modernisieren.
FREITAG
Paris - Der Preis ist heiß - Geplanter Abschluss der 21. UN-Klimakonferenz bei Paris. Die ökologischen und ökonomischen Kosten eines Scheiterns wären dramatisch.
Brüssel - Herr Minister, Telefon! - Ministerrat für Telekommunikation. Thema unter anderen: Schutz vor Cyberattacken.
Berlin - Sigmar-Show - Die SPD begeht ihren Bundesparteitag.
SAMSTAG
Peking - Bremsmanöver - Wie schwach ist China wirklich? Neue Zahlen zur Industrieproduktion könnten Antworten erhellen.
SONNTAG
Karlsruhe - Merkel-Dämmerung? - Die Kanzlerin gilt wegen ihrer Flüchtlingspolitik als angeschlagen. Umso entscheidender wird ihr Auftreten auf dem CDU-Bundesparteitag für ihre weitere politische Zukunft sein.
Paris - Wie stark werden die Rechten? - Zweite Runde der Regionalwahlen in Frankreich. Europa zittert vor dem Abschneiden der Le-Pen-Partei Front National.

Institut für Journalistik, TU Dortmund
Henrik Müller ist Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund. Zuvor arbeitete der promovierte Volkswirt als Vizechefredakteur des manager magazin. Außerdem ist Müller Autor zahlreicher Bücher zu wirtschafts- und währungspolitischen Themen. Für den SPIEGEL gibt er jede Woche einen pointierten Ausblick auf die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der Woche.