Der Brexit und die Korruption Die Briten versagen zunehmend in ihrer einstigen Paradedisziplin

Britischer Premierminister Boris Johnson
Foto: Tolga Akmen / DPA / PA WireNach dem EU-Austritt Großbritanniens versuchen beide Seiten nun, sich auf ein Freihandelsabkommen zu einigen. Während über alles von fairen Wettbewerbsbedingungen bis hin zu vermeintlich unlösbaren Fischereifragen diskutiert wird, scheint ein Thema auf der Prioritätenliste zu fehlen: die Korruption.
Grund dafür ist unter anderem die weit verbreitete Unbeholfenheit rund um das Thema. Die EU hatte einst einen jährlichen Antikorruptionsbericht versprochen; geliefert hat sie diesen nur einmal, im Jahr 2014. Insbesondere neue EU-Mitglieder haben nur geringe Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung aufzuweisen. Hinzu kommt, dass Großbritannien – der Staat, mit dem die EU nun verhandelt – stets als Vorkämpfer in Sachen Antikorruption galt.
Auf den ersten Blick scheint Großbritannien tatsächlich erfolgreich zu sein im Kampf gegen Korruption. Zwar ist das Land auf dem Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) von Transparency International (TI) zuletzt abgerutscht, jedoch nur vom achten Platz im Jahr 2017 auf den zwölften im Jahr 2019. Großbritannien ist nach wie vor eine liberale Demokratie mit Pressefreiheit und soliden staatlichen Institutionen, die für Rechtsstaatlichkeit sorgen.
Angesichts solcher zumindest scheinbar solider Grundlagen haben britische Politiker in Sachen Korruption oft den Finger auf andere Länder gerichtet, die in ihren Augen Integritätsstandards ignorieren, demokratische Normen untergraben und wichtige Institutionen angreifen.
Doch die Regierung unter Boris Johnson ist selbst keineswegs immun gegen solche Verfehlungen. Formelle und informelle Kontrollmechanismen in der Gewaltenteilung werden zunehmend ignoriert, die Unabhängigkeit der Justiz untergraben und die Arbeit des öffentlichen Dienstes beeinträchtigt. Es handelt sich hierbei nicht um schlichte Inkompetenz oder Missmanagement. Tatsächlich hätte solches Gebaren unter früheren britischen Regierungen als Korruption gegolten.
Die Fehltritte sind vielfältig:
Kumpel aus dem engen Kreis um Johnson wurden zu Mitgliedern des britischen Oberhauses (House of Lords) ernannt.
Die britische Regierung bricht inländisches wie auch internationales Recht, um ihre politischen Ziele durchzusetzen (»Internal Market Bill«).
Immer wieder missbrauchen Minister und Berater ihre Macht, um sich oder ihren Freunden Vorteile zu verschaffen (sogenannte »chumocracy«, oder »Kumpelherrschaft«).
Zudem verdeutlichen die kürzlich veröffentlichten FinCen-Files, dass Großbritannien weiterhin als Hort der Geldwäsche gilt. Akteure in Londoner Banken, im Rechtswesen und in der Immobilienbranche sind implizit an der Verschiebung von schmutzigem Geld in Milliardenhöhe beteiligt.
Die gute Nachricht: Großbritannien ist zum Glück kein hoffnungsloser Fall. David Camerons Zeit als Premierminister wird sicher vor allem wegen des Brexit-Referendums in Erinnerung bleiben, doch von seinen Ministern wurde auch gute Antikorruptionsarbeit geleistet. Sie entwickelten eine nationale Antikorruptionsstrategie und führten starke Rechtsvorschriften zur Korruptionsbekämpfung ein, zum Beispiel das Bestechungsgesetz (UK Bribery Act, 2010) und ein Gesetz zur Bekämpfung des Gebrauchs kriminell erworbener Gelder (Criminal Finances Act, 2017).
Dennoch ist das Verhalten vieler Mitglieder der aktuellen Verwaltung und Regierung zutiefst besorgniserregend. Es ist an der Zeit, dass innerhalb und außerhalb Großbritanniens das, was hier geschieht, als das bezeichnet wird, was es tatsächlich ist: Korruption in einem Ausmaß, über das sich alle Freunde Großbritanniens Sorgen machen sollten.