Gipfel im Kanzleramt Die Baustellen der Energiewende

Vertreter von Regierung, Industrie und Gewerkschaften beraten am Dienstag über die nächsten Schritte bei der Energiewende. Die heikelsten Punkte sind steigende Strompreise, soziale Gerechtigkeit und die von der Industrie reklamierte Gefährdung des Industriestandorts Deutschland.
Proteste vor dem Energiegipfel: Mehrere Baustellen gleichzeitig

Proteste vor dem Energiegipfel: Mehrere Baustellen gleichzeitig

Foto: Kay Nietfeld/ dpa

Hamburg - Die Runde ist hochkarätig besetzt. Eingeladen zu dem Energiewende-Treffen, das um 16.30 Uhr im Kanzleramt startete, sind unter anderem Umweltminister Peter Altmaier (CDU), Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU); dazu Vertreter der wichtigsten Wirtschaftsverbände (BDI, DIHK, BDA und ZDH) sowie Vertreter der Gewerkschaften DGB, IG Bergbau Chemie Energie, IG Metall und Ver.di.

Über die Inhalte des Gesprächs halten sich die Eingeladenen offiziell bedeckt. Die Themen liegen jedoch auf der Hand. Es wird um steigende Strompreise gehen. Um die Frage, ob die Lasten der deutschen Ökorevolution gerecht verteilt sind. Und darum, inwieweit der Industriestandort Deutschland durch steigende Energiekosten bedroht ist. Am Mittwoch wird sich zudem das Bundeskabinett damit befassen, wie der Ausbau der Offshore-Windenergie nach jahrelangen Verzögerungen endlich vorangetrieben werden kann.

Die Regierung werkelt bei der Energiewende auf mehreren Baustellen gleichzeitig. Ein Überblick, um was es bei den Gesprächen geht.


1. Steigende Strompreise

Das größte Problem, das die Regierung rasch lösen will, sind die steigenden Strompreise. Sie werden derzeit durch die Förderung der erneuerbaren Energien in die Höhe getrieben.

Ökostrom wird über die sogenannte EEG-Umlage gefördert. Betreiber von Wind-, Solar- und Biogasanlagen bekommen einen fixen Preis für den von ihnen produzierten Strom garantiert. Der Fixpreis liegt deutlich über dem tatsächlichen Preis, zu dem Strom verkauft wird. Die Differenz zahlen die Verbraucher über ihre Stromrechnung.

Die Kosten dieser Förderung sind zuletzt in die Höhe geschnellt, weil mehr Solar-, Wind- und Biogasanlagen gebaut wurden als geplant. 144 Euro inklusive Mehrwertsteuer zahlt ein Durchschnittshaushalt derzeit pro Jahr für die EEG-Umlage. Im kommenden Jahr könnten es nach Berechnungen des Verbraucherportals Verivox schlimmstenfalls mehr als 200 Euro sein.

Zur Reform des EEG kursieren mehrere Ideen, die zwei generellen Stoßrichtungen folgen:

  • Umweltminister Altmaier will die Förderung von Grund auf neu gestalten. Er will bis November ein umfassendes Konzept vorlegen, das von möglichst vielen Parteien getragen wird, also auch nach der Bundestagswahl Chancen auf eine Umsetzung hat. Generell geht es ihm darum, den raschen Ausbau der erneuerbaren Energien zu drosseln und so die Kosten unter Kontrolle zu bringen. Details lässt er offen. Alles sei möglich: eine scharfe Kürzung der Fördersätze; eine regionale Staffelung, die bestimmte Anlagen dort stärker fördert, wo sie besonders gebraucht werden. Oder eine gezielte Förderung für eine bestimmte Menge Ökostromanlagen in bestimmten Bundesländern.

  • Wirtschaftsminister Rösler will ebenfalls bis zum Herbst sein eigenes Konzept entwickeln. Er könnte vorschlagen, die fixen Abnahmepreise für Ökostrom nach und nach abzuschaffen - oder aber die Garantie zu streichen, dass Ökostrom den Anlagenbetreibern stets abgekauft wird. Stattdessen könnte ein bestimmter Anteil an Ökostrom in den Netzen vorgeschrieben werden, den die Stromanbieter dann möglichst preiswert produzieren oder zukaufen würden.


2. Soziale Gerechtigkeit

Die hohen Kosten der Ökostromförderung werden immer mehr zur sozialen Frage. Der Preisschub trifft vor allem Geringverdiener. Auch Hartz-IV-Empfänger bekommen Probleme, denn sie erhalten für Strom nur eine fixe Pauschale, die nicht automatisch an steigende Strompreise angepasst wird. Gutsituierte Hausbesitzer dagegen können den Preisansteig eher verkraften. Sie leisten sich am ehesten energiesparende Kühlschränke und Waschmaschinen, um die steigenden Kosten zu kompensieren. Hausbesitzer können sich zudem eine Solaranlage aufs Dach schrauben und Förderung in Anspruch nehmen.

Erhard Ott, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Ver.di, forderte deshalb im Vorfeld des Energiegipfels einen Sozialausgleich für steigende Strompreise. "Um noch höhere Belastungen für Menschen mit sehr geringen Einkommen zu vermeiden, ist es notwendig, mindestens eine Erhöhung der Sozialleistungen vorzunehmen", sagte er.


3. Industriestandort Deutschland

Die deutsche Industrie sieht die steigenden Strompreise als Belastung. Sie warnt, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit sei in Gefahr.

Man muss allerdings differenzieren: Tatsächlich spüren viele Unternehmen den Preisschub kaum. Bei den meisten liegt der durchschnittliche Anteil der Energiekosten an der Wertschöpfung bei weniger als zehn Prozent. Probleme bekämen vor allem energieintensive Betreibe wie Stahl-, Aluminium- und Zementhersteller. Bei ihnen machen die Energiekosten rund ein Viertel der Wertschöpfung aus.

Eine Deindustrialisierung Deutschlands, selbst in den wenigen energieintensiven Branchen, will die Regierung nicht in Kauf nehmen. Auf keinen Fall sollen wegen der Energiewende Produktion und Jobs ins Ausland verlagert werden. Für energieintensive Großbetriebe gelten deshalb bereits heute weitreichende Ausnahmen von der EEG-Umlage. Die Wirtschaftsverbände dürften im Kanzleramt darauf dringen, dass diese Vergünstigungen zumindest bestehen bleiben oder sogar ausgeweitet werden.

Auch dürfte die Unternehmenslobby ihre Sorgen über die Stabilität der Netze kundtun. Denn da der Ausbau der Leitungen nicht mit dem Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion schritthalten kann, kommt es immer öfter zu Spannungsabfällen im Millisekundenbereich. Unternehmen, die mit hochsensiblen Maschinen arbeiten, können dadurch Millionenschäden entstehen, betont der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft.


4. Offshore-Windenergie

Während bei den ersten drei Problemen noch verschiedene Lösungen erwogen werden, scheint der weitere Pfad bei der Offshore-Windenergie klar zu sein. Am Mittwoch will das Kabinett Hindernisse für den seit Jahren stockenden Ausbau der Windräder auf hoher See aus dem Weg räumen.

Es geht um ein zentrales Problem: Windparkbauer haben keine Garantie, dass ihr Park, wenn er fertig ist, tatsächlich ans Stromnetz angeschlossen werden kann. Um Investoren nicht zu verschrecken, sollen Windparkbetreiber künftig Entschädigungen für den Strom bekommen, den sie mangels Anschluss nicht verkaufen können. Einen Teil der Kosten sollen die Verbraucher tragen - womit man wieder bei Punkt 1 wäre, den steigenden Strompreisen.

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