Dieselgipfel für Kommunen Missglückter Harmonieversuch

Mit weiteren Millionen will die Regierung Städten beim Schadstoffabbau helfen und so die Dieseldebatte ersticken. Doch es hilft nichts: Fahrverbote drohen noch immer und die Autoindustrie zieht nicht ohne Weiteres mit.
Dieselgipfel-Demonstranten vor dem Bundeskanzleramt

Dieselgipfel-Demonstranten vor dem Bundeskanzleramt

Foto: Soeren Stache/ dpa

Die Kanzlerin wollte Harmonie verbreiten auf dem heutigen Dieselgipfel im Kanzleramt. Sie wollte Autofahrer ruhig stellen, denen Fahrverbote drohen. Sie wollte Menschen beruhigen, die sich wegen überhöhter Schadstoffwerte sorgen. Das war ihr eine hübsche Summe wert, genau genommen eine halbe Milliarde Euro. Die wolle der Bund über die "Priorisierung der Ausgaben" beim Mobilitätsfonds für die Städte noch einmal oben drauflegen, sagte Merkel im Anschluss an das Spitzentreffen mit Ministerpräsidenten und Bürgermeistern in ihrem Berliner Amtssitz.

Es ist atemberaubend, wie locker das Geld im Bundeshaushalt auf einmal sitzen kann - wenn die Regierung angesichts des Skandals um manipulierte Dieselautos und überhöhte Schadstoffwerte auf deutschen Straßen ein Problem hat, und in knapp drei Wochen Bundestagswahlen stattfinden.

Das ganze Geld solle schnell bereit stehen, sagte Merkel, eine Koordinierungsstelle, die "sofort eingesetzt" werde, solle sinnvolle Projekte für das Geld identifizieren. So wolle sie "pauschale Fahrverbote oder Verbote für bestimmte Fahrzeugtypen" verhindern.

Kanzlerin, Ministerpräsidenten und Bürgermeister wollen mit insgesamt einer Milliarde Euro dafür sorgen, dass der Verkehr flüssiger fließt, weniger Autos auf der Suche nach Parkplätzen herumkurven, mehr Menschen Fahrrad fahren. Vor allem sollen die Flotten der öffentlichen Hand, also Busse, Lieferwagen, Dienstfahrzeuge, auf Elektroantrieb umgestellt sowie genügend Ladesäulen für E-Fahrzeuge aufgebaut werden. Damit hat sich bestätigt, was der SPIEGEL bereits am Wochenende über die Pläne der Kanzlerin berichtet hatte.

Die Taktik von Angela Merkel wäre heute Nachmittag fast aufgegangen. Doch so schön die Kanzlerin ihren Harmoniekurs geplant hatte - kritische Stimmen stören ihn schon jetzt.

Missmut bei deutschen Autoherstellern

Die Kanzlerin hofft bei ihrem neuen Geldversprechen auf weitere Hilfen der Autoindustrie für den Fonds. Die deutschen Hersteller hatten zuletzt zugesagt, 250 Millionen Euro beizusteuern - und damit die Hälfte des bisher geplanten Budgets für die Städte. "Die deutsche Automobilindustrie wird, wie beim Dieselgipfel Anfang August zugesagt, ihren Beitrag zum geplanten Mobilitätsfonds leisten", sagte Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA).

Mehr Geld? Dazu äußerte er sich lieber nicht.

Hinter den Kulissen werden andere deutlicher. So eine erneute Forderung nach Geld sei schnell in den Raum gestellt, heißt es bei einem deutschen Autohersteller. Wenn man hier weitergehe, müssten sich jedoch auch ausländische Konzerne mit beteiligen - so die Forderung. "Wir finanzieren Software-Updates, Prämien für Neuwagen, helfen beim Mobilitätsfonds, die Hersteller aus dem Ausland beteiligen sich daran nicht", hieß es bei einem deutschen Autokonzern. "Am Ende kaufen deutsche Städte von dem neuen Geld noch E-Busse ausländischer Fabrikate und wir fördern das."

Offenbar ist Merkel das Problem immerhin bewusst. Auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA), die kommende Woche in Frankfurt beginnt, werde es Gespräche mit den ausländischen Herstellern geben, sagte sie.

Kontroverse um die Blaue Plakette

Zugleich kommt Merkel nun aber auch noch einer der Hauptakteure des Mobilitätsfonds in die Quere, der in den letzten Tagen die Fäden für die weiteren Hilfsgelder gezogen hat: Winfried Kretschmann. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg machte auf dem Gipfel die zur Schau gestellte Harmonie nicht mit. "Es gab hier noch einmal eine Kontroverse um die Blaue Plakette", sagte er stattdessen und rief gereizt, als die Mikrofone schon abgeschaltet waren: "Was wir doch brauchen ist etwas, was wir den Verwaltungsrichtern schnell vorlegen können."

Die Blaue Plakette hatte er schon vor über einem Jahr ins Gespräch gebracht, weil sie auf das Kernproblem des Dieselskandals zielt: jene Autos mit manipulierter Abgasreinigung, die praktisch flächendeckend von der gesamten Autoindustrie millionenfach verkauft worden waren.

Wer es von den Herstellern schafft, alte Wagen durch technische Nachrüstungen sauber zu machen oder neue mit modernster Abgastechnik zu verkaufen, der könnte seinen Kunden eine Blaue Plakette in Aussicht stellen. Mit dem Aufkleber auf der Windschutzscheibe könnten die Kunden in die Innenstädte fahren, ohne dass ihnen ein Fahrverbot droht. So hatte es Kretschmann ausgeheckt, zusammen mit Daimler-Chef Dieter Zetsche, der so gleich den Autoverkauf ankurbeln will.

Gerade die Nachfrage nach den in Deutschland oft verkauften Dieselmodellen bricht immer weiter ein. Im August sank die Zahl der Neuzulassungen von Pkw mit Dieselmotor im Vergleich zum Vorjahresmonat um knapp 14 Prozent.

Doch Kretschmann biss auch auf dem Dieselgipfel im Kanzleramt auf Granit: Nicht nur Angela Merkel sprach sich auf Nachfrage gegen eine Blaue Plakette aus, auch SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel lehnte sie als zu bürokratisch ab.

Am Risiko Fahrverbot ändert sich nichts

Der Betrogene ist der Dieselfahrer: Denn alles, was Merkel heute angekündigt hat, wirkt nicht dagegen, dass Verwaltungsrichter Fahrverbote verhängen werden. Da hilft alles Geld und aller Pomp nichts. Denn Elektrobusse und "Verkehrsverflüssigung" reichen nicht aus, wenn die Dieselautos nicht sauberer werden.

Wer wollte, konnte das sogar am Ende des Gipfels hören. Dieter Reiter, Oberbürgermeister von München, hat es seine Umwelt-Leute ausrechnen lassen. "Wenn wir unsere Busflotte umrüsten, würde das die Schadstoffkonzentration nur um vier Prozent verringern."

Gerade das offenbart das zentrale Problem des neuen Geldsegens: Es fehlt an einer Strategie, wie die Mobilität in den Städten der Zukunft aussehen kann. Hier hat die Bundesregierung bislang nichts anzubieten.

"Die Richtung ist sinnvoll, dass man sich grundsätzlich über die Zukunft der Städte unterhält und überlegt, wie Mobilität dort funktionieren kann. Nun wird jedoch nur Geld ausgeschüttet", kritisiert Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Es fehle ein Plan für die Städte der Zukunft. "Das Risiko ist sonst groß, dass es nur beim Stückwerk bleibt."

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