Interview mit DIW-Chef Fratzscher "Wir haben immer noch mit Zombie-Banken zu kämpfen"

Frankfurter Bankentürme: Düstere Aussichten für die Zombie-Institute
Foto: © Kai Pfaffenbach / Reuters/ REUTERSSPIEGEL ONLINE: Herr Fratzscher, die Europäische Zentralbank (EZB) unterzieht die Banken der Eurozone derzeit einem Stresstest, um ihre Krisenfestigkeit zu überprüfen. Wie groß ist die Gefahr, dass allzu schlechte Testergebnisse eine neue Bankenkrise überhaupt erst auslösen?
Fratzscher: Es gibt sicherlich das Risiko, dass der Stresstest zu bösen Überraschungen im Markt führt. Ich erwarte, dass in dem Verfahren mehrere Banken identifiziert werden, die zusätzliches Kapital benötigen und vielleicht sogar abgewickelt werden müssen. Das betrifft nicht nur Banken in den südeuropäischen Krisenstaaten, sondern auch bei uns in Deutschland.

Marcel Fratzscher (Jahrgang 1971) ist seit Februar 2013 Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Zuvor arbeitete er rund zehn Jahre bei der Europäischen Zentralbank (EZB), wo er unter anderem die Positionen zu Treffen der G20-Staaten koordinierte. Zu früheren Stationen Fratzschers gehören die asiatische Entwicklungsbank und die Weltbank. Fratzscher studierte in Kiel, Oxford und Harvard. Er gilt als Experte für Makroökonomie und hat unter anderem zur Ausbreitung von Finanzkrisen geforscht.
SPIEGEL ONLINE: Welche Bank könnte es in Deutschland treffen?
Fratzscher: Ich will nicht spekulieren, aber wir sehen ja, dass auch Banken in Deutschland seit Jahren Schwierigkeiten haben.
SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel die HSH Nordbank, die immer wieder als eine mögliche Verliererin des Stresstests genannt wird.
Fratzscher: Tatsache ist doch, dass der Bankensektor in der Eurozone dringend konsolidiert werden muss. Die USA und Großbritannien haben das nach 2008 bereits hinter sich gebracht. In beiden Ländern sind Banken tatsächlich geschlossen worden. Aber in der Eurozone haben wir immer noch mit Zombie-Banken zu kämpfen. Mit lebenden Toten ohne wirkliches Geschäftsmodell, die mangels Finanzkraft der eigentlichen Aufgabe von Banken schon lange nicht mehr richtig nachkommen können - nämlich Investitionskapital für die Wirtschaft bereitzustellen. Und sie erschweren auch das Leben für die Banken, die gut aufgestellt sind.
SPIEGEL ONLINE: Die Ergebnisse der Bilanzüberprüfung und des anschließenden Stresstests laufen nach und nach bei der EZB ein, im Oktober sollen sie bekannt gegeben werden. Danach haben Problembanken noch einmal sechs Monate Zeit, um sich mit frischem Eigenkapital zu versorgen. Monate der Ungewissheit, in denen womöglich bereits das Gerücht, eine Bank könnte in Schwierigkeiten stecken, dazu führt, dass Anleger die Flucht ergreifen. Steht den Finanzmärkten ein heißer Herbst bevor?
Fratzscher: Man sollte Banken, die absehbar keine Überlebenschance haben, nicht noch sechs Monate für die Kapitalsuche einräumen. Da muss die Abwicklungsentscheidung früher kommen. Aber dann müssen diese Banken auch wirklich abgewickelt werden. Die Abhängigkeit zwischen Banken und Staaten hat in den letzten Jahren besorgniserregend zugenommen. Die berechtigte Sorge ist daher, dass Bankenrettungen die Staatshaushalte der hochverschuldeten Eurostaaten überfordert. Dann könnten wir leicht wieder in eine Krisensituation wie im Sommer 2012 geraten, als die Anleihezinsen für viele Eurostaaten drastisch nach oben geschossen sind.
SPIEGEL ONLINE: Wäre es angesichts dieser erheblichen Risiken nicht besser, den Stresstest ganz abzublasen?
Fratzscher: Nein, wir brauchen einen glaubwürdigen Stresstest, um endlich wieder Vertrauen ins Bankensystem zurückzubringen. Wichtig ist, dass die Ergebnisse des Tests klar ausfallen und schnell zu entsprechenden Entscheidungen führen: Diese Bank kriegt frisches Kapital, diese Bank wird abgewickelt. Wir dürfen nicht vergessen: Seit der Finanzkrise hat die Eurozone bereits zwei Stresstests in den Sand gesetzt. Die dort geprüften Szenarien waren so unglaubwürdig, dass sie das Vertrauen ins Finanzsystem nicht wieder herstellen konnten. Wir dürfen nicht das Risiko eingehen, dass es uns mit dem dritten Stresstest ähnlich ergeht.
SPIEGEL ONLINE: In wenigen Wochen geht in Brüssel eine neue Kommission unter Leitung von Jean-Claude Juncker an den Start. Was kann er tun, damit der Stresstest ein Erfolg wird?
Fratzscher: Die größte Herausforderung für Europa ist, Wachstum zu schaffen. Nur durch ein deutlich stärkeres Wachstum kann es gelingen, dass die Unternehmen Beschäftigte einstellen, die Banken faule Kredite abbauen und die Staaten ihre Finanzen in Ordnung bringen. Das DIW Berlin hat dazu erst vor kurzem einen Vorschlag vorgelegt: Die Kommission sollte europaweit die Investitionen fördern, um mehr wirtschaftliche Dynamik zu erzeugen.
SPIEGEL ONLINE: Wollen Sie, dass die Euroländer wieder mehr Schulden machen dürfen - wie es derzeit Frankreich oder Italien fordern?
Fratzscher: Nein. Die Mehrzahl der Euroländer ist zu hoch verschuldet, um höhere öffentliche Ausgaben tätigen zu können, ohne eine Vertiefung der Krise zu riskieren. Deutschland ist hier die Ausnahme. In der Bundesrepublik besteht sowohl die Möglichkeit als auch die Notwendigkeit, öffentliche Investitionen zu stärken. Was wir in Europa und Deutschland jedoch brauchen, sind vor allem mehr private Investitionen. Dafür könnte die EU-Kommission mit den nationalen Regierungen einiges tun, ohne die Stabilitätskriterien zu verletzen. Sie könnte den europäischen Binnenmarkt für Dienstleistungen vollenden, Steueranreize für Unternehmensinvestitionen setzen und durch einen Investitionsfond dafür sorgen, dass Firmen leichter an Kredite kommen.
SPIEGEL ONLINE: Die Bundesbank will die Konjunktur durch höhere Löhne in Deutschland ankurbeln. Kann das gelingen?
Fratzscher: Ohne Zweifel, eine gesunde deutsche Binnennachfrage ist ein wichtiger Beitrag zum Wachstum, und zwar in ganz Europa. Zudem kann die Bundesrepublik, nach 15 Jahren der Lohnzurückhaltung, sich höhere Löhne zurzeit auch leisten. Deutschland hat die Fähigkeit, um in den nächsten Jahren zur Konjunkturlokomotive für den ganzen Kontinent zu werden.