Strategie der Strafzölle Trumps Attacke auf den Welthandel
Auf dem Brüsseler EU-Gipfel war es die Top-Nachricht: Die USA nehmen die EU zumindest vorerst von ihren Strafzöllen auf Stahl und Aluminium aus. Doch die Erleichterung der Europäer hat einen bitteren Beigeschmack - denn alle fragen sich: Was will Donald Trump?
Eine Theorie lautet, dass der US-Präsident mit seiner nach wie vor bestehenden Strafzoll-Drohung kurzfristige Zugeständnisse von der EU erpressen will. So beunruhigend das wäre - für die EU und den Rest der Welt wäre das vermutlich die angenehmere Variante. Denn es gibt noch eine andere: Die Strafzoll-Initiative ist Teil eines systematischen Angriffs der USA auf das internationale Handelssystem - und diese Interpretation erscheint zunehmend als die plausiblere.
So weigern sich die USA seit mehr als einem Jahr, frei werdende Stellen im Revisionsgremium der Welthandelsorganisation (WTO) neu zu besetzen. Sollte der Stillstand nicht schnellstens behoben werden, würde das Gremium von sieben auf drei Mitglieder schrumpfen und seine Aufgaben nicht mehr vollständig erfüllen können.
Trump verstärkt Ängste
Dem Streitbeilegungsmechanismus der WTO - einer der machtvollsten internationalen Institutionen - droht damit schon bald die Handlungsunfähigkeit. Ein Verfahren gegen die USA wegen der Strafzölle, so befürchten Handelsexperten, käme dann nicht mehr von der Stelle. "Die Prüfung von Beschwerden kommt zum Erliegen, und das Streitbeilegungssystem wird extrem geschwächt, wenn nicht sogar komplett ausgeschaltet", heißt es etwa beim Thinktank "European Centre for International Political Economy". Das wiederum "könnte das gesamte System in Gefahr bringen", warnte WTO-Chef Roberto Azevedo in der "New York Times" .
Der Verdacht, dass Trump die WTO ausschalten will, erhält nun zusätzliche Nahrung durch seinen Versuch, die Strafzölle auf Stahl und Aluminium mit der nationalen Sicherheit der USA zu begründen. Handelsexperten halten das für absurd, da die USA zwei Drittel ihres Stahls bereits selbst produzieren und es bei der EU zudem um Verbündete geht. Stattdessen, so argwöhnt man etwa in der EU-Kommission, führe die US-Regierung einen systematischen Angriff auf die WTO an sich.
Diese Sicht der Dinge hat die US-Regierung selbst bestärkt. Am 7. März schickte sie einen Brief an das WTO-Hauptquartier in Genf, in dem es um die sogenannte Sicherheitsausnahme in den WTO-Regeln geht. Die Passage in Artikel 21 des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT erlaubt es einem Mitgliedstaat, einseitig Maßnahmen einzuleiten, um seine "wesentlichen Sicherheitsinteressen" zu schützen.
In dem Schreiben, das dem SPIEGEL vorliegt, stellt die US-Regierung eine klare Forderung: Sobald ein WTO-Mitglied sich auf diese Sicherheitsausnahme beruft, soll die WTO nur noch "befinden" dürfen, dass der Sicherheitsparagraf gezogen wurde - und darüber hinaus nichts mehr unternehmen. "Wenn sich diese Sicht der Dinge durchsetzt, kann in Zukunft jeder Staat nationale Sicherheitsbedenken vorschieben, um Zölle zu erheben", meint ein Brüsseler Insider.
WTO ohne USA?
Gerade einmal zwei Wochen nach dem Brief an die WTO wählt die US-Regierung genau diesen Weg - da sie nach Ansicht der meisten Experten sonst kaum eine Chance hätte, die Zölle zu rechtfertigen. Denn um eine reguläre Schutzmaßnahme zu begründen, müsste die WTO im Rahmen eines Verfahrens prüfen, ob der US-Wirtschaft durch erhöhte Stahl- und Aluminiumeinfuhren aus einem anderen Staat ein Schaden entsteht. Das aber halten viele Handelsexperten für aussichtslos.
Für den Angriff auf das WTO-System gäbe es einen naheliegenden Grund: Die Frustration der US-Regierung angesichts der weitgehenden Erfolglosigkeit der WTO, Chinas unfaire Handelspraktiken einzudämmen. Die Einbindung Chinas in die Organisation, in der es seit 2001 Mitglied ist, hat in dieser Hinsicht nur wenig vorzeigbare Ergebnisse produziert.
Trump scheint nicht mehr auf die Hilfe der WTO im Kampf gegen China zu hoffen, sondern die Angelegenheit in eigene Hände nehmen zu wollen: Eine Organisation, die internationale Regeln durchsetzt, wäre dabei nur hinderlich. Dazu passt, dass die US-Regierung bisher keinerlei Vorschläge zur Verbesserung des WTO-Systems vorgelegt hat, wie WTO-Chef Azevedo beklagt.
Macron: "Wir reden über nichts, wenn man uns die Pistole an die Stirn setzt"
Kanzlerin Angela Merkel warnte die USA nach dem Gipfel am Freitag indirekt vor europäischen Vergeltungsmaßnahmen gegen Strafzölle: "Wir wollen nicht in eine Spirale der Handelsmaßnahmen kommen, bei der alle verlieren", so Merkel. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die US-Strategie als "falsche Antwort auf ein echtes Problem". Man sei gegen "exzessive unilaterale Maßnahmen". Zudem lasse man sich von den USA nicht unter Druck setzen: "Wir sprechen prinzipiell über alles mit einem Land, das WTO-Regeln akzeptiert", so Macron. "Aber wir reden über nichts, wenn man uns die Pistole an die Stirn setzt."
Sollte Trumps Angriff auf die WTO erfolgreich sein, käme das im internationalen Handel einer Rückkehr zum Recht des Stärkeren gleich. Zwar wäre theoretisch auch eine WTO ohne die USA vorstellbar - eine Möglichkeit, die etwa der ehemalige WTO-Generalsekretär Pascal Lamy bereits ins Spiel gebracht hat. Doch diesen Weg hat die EU womöglich unfreiwillig selbst verbaut, indem sie Washington um eine Ausnahme von den Strafzöllen bittet. Der Rest der Welt, so die implizite Botschaft, kann sehen, wo er bleibt.
Zusammengefasst: Mit seinen Strafzöllen hat der US-Präsident die EU aufgeschreckt und China erzürnt. Die Hinweise verdichten sich, dass die USA einen systematischen Angriff gegen die Welthandelsorganisation führen.