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Stimmung vor der EM: Frankreich macht blau

Foto: CHARLES PLATIAU/ REUTERS

Stimmung vor der EM Frankreich macht blau

Jetzt streikt auch noch die Müllabfuhr, in manchen Städten türmt sich der Unrat. Dennoch steigt beim Gastgeber Frankreich die Vorfreude auf die EM. Präsident Hollande hofft auf eine politische Atempause.

"Les Bleus" allgegenwärtig. Der Spitzname für Frankreichs Nationalelf ("Die Blauen") prangt auf Magazinen und dominiert TV-Sondersendungen, das Indigo ihrer Trikots ziert Fanartikel wie Perücken, Schals und "original Trillerpfeifen". Azur ist die Werbung für Autos, Hotels oder Banken. Und das Sportblatt "L'Equipe" zeigte zum Wochenauftakt auf der Titelseite zwei Dutzend Anhänger, ausstaffiert in den Traditionsfarben der Nationalelf.

In dem Maße, in dem der Countdown zur EM 2016 abläuft, nehmen bei der Gastgebernation Stolz, Fröhlichkeit und Erwartungen zu, nur bisweilen überschattet von der Angst vor Attentaten. Die Vorfreude auf das Vier-Wochen-Spektakel jedenfalls überwiegt: "Wir können es kaum erwarten", so Stürmer Antoine Griezmann, "dass es nun endlich losgeht."

Kein Detail der Vorbereitungen bleibt unerwähnt, auf täglichen Pressekonferenzen aus dem Trainingslager in Clairefontaine bei Paris werden Gesundheitszustand wie Kampfgeist analysiert, Reporter grübeln über die Aufstellung von Trainer Didier Deschamps oder berichten über den handfesten Speiseplan der Nationalmannschaft: "Fisch, Fleisch und viel Pasta."

"Repräsentanten Frankreichs"

Das Fußballfieber hat nicht nur die Anhänger der "Bleus" gepackt, es mobilisiert Medien oder Sponsoren, selbst François Hollande mimte den Experten und zeigte sich nach einem Treffen mit den Spielern mit einem Trikot - Nummer 24, ehrenhalber. Der Präsident bedankte sich und gab der Elf schon einmal die taktische Marschrichtung vor: "Sie müssen nicht nur den besten Fußball spielen, sondern ihnen kommt auch die Rolle von Repräsentanten Frankreichs zu."

Kein Wunder, die Stars der Nationalelf stehen besser im Kurs als die gesamte Promi-Riege der Politik. Vor allem Hollande, nach vier Jahren Amtszeit zum unpopulärsten Staatschef der V. Republik aufgestiegen, setzt auf das Sportevent - als Stimmungsaufheller für seine Landsleute, gebeutelt von Bitterkeit und Depression. Die EM soll den Zwist der vergangenen Monate vergessen machen: den Streit um die Reform des Arbeitsrechts, gewalttätige Ausschreitungen, Straßenblockaden, Benzinknappheit.

Und davon ablenken, dass nach den Eisenbahnern nun auch Bauern, Handwerker und sogar die Müllabfuhr auf ihre Art blaumachen - mit einem Streik. In Paris und Marseille türmen sich Tonnen von stinkendem Unrat, Ratten nagen an Abfallbeuteln und Kartons. "Eine Gefahr für das Image Frankreichs", schimpft Sportminister Patrick Kanner und beklagt die Aktionen einer "gewerkschaftlichen Guerilla, die uns das Fest verderben will".

"Ansatzpunkt des Zusammenhalts"

Ein sportlicher Erfolg der "Bleus" käme äußerst gelegen - er könnte der Nation immerhin vorübergehend ein emotionales Sommerhoch verschaffen - und Hollande könnte gar politisch davon profitieren. Denn die Europameisterschaft 2016 soll nach dem Wunsch der Regierung als "Schaufenster französischen Könnens" funktionieren, als "Ansatzpunkt des sozialen Zusammenhalts" und "verstärkter Anziehungskraft und Beschäftigung der Regionen".

Der wirtschaftliche Nebeneffekt des Turniers ist jedenfalls greifbar. Für die beteiligten Städte - Austragungsorte oder Trainingslager - bringen die 51 Begegnungen Erträge in bis zu dreistelliger Millionenhöhe. Insgesamt, so eine Studie des Zentrums für Recht und Wirtschaft des Sports (CDES), belaufen sich die EM-Einnahmen auf rund 1,3 Milliarden Euro.

Grund für die Gastgeber, den Turnierteilnehmern - von Albanien (Perros Guirec, Bretagne) über Deutschland (Evian-les-Bains) bis Ukraine (Aix-en-Provence) -, den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Untergebracht in Luxusherbergen, Schlössern oder exklusiven Fünf-Sterne-Hotels, verfügen die Teams über diskreten Polizeischutz, abgeschirmtes Wohnen und ausgezeichnete Sportanlagen - begeistertes Publikum inklusive.

Tea für das Team

Denn die meisten Trainingseinheiten sind der Öffentlichkeit zugänglich, was die ansässigen Sportsfreunde begeistert. "Die englische Mannschaft einmal direkt und auf Tuchfühlung zu beobachten", so ein Fußballfan aus Chantilly im Radiosender France Info, "ist für mich wie ein Traum, der in Erfüllung geht."

Die Stadt im Département Oise, vierzig Kilometer vor den Toren von Paris, hat sich mächtig ins Zeug gelegt, um Wayne Rooney und seine Kameraden gebührend zu empfangen. Die örtliche Sporthalle wurde generalüberholt und mit Sicherheitstechnik ausgestattet. Dank seiner fast tausend britischen Zuwanderer verfügt Chantilly bereits über einen "English Shop" mit authentischem Tea-Room - damit dürften sich auch die anreisenden Fans in dem Ort wie zu Hause fühlen.

Für das erste Training der Briten hatten zudem die Gymnasiasten des Ortes eine Überraschung parat: Sie empfingen das Team am Sportplatz mit der Absingen Nationalhymne: "God Save the Queen."

Die Stimmung ist gut, die Gäste willkommen. So sieht sich der Gastgeber gern. Doch die Streikschatten wollen partout nicht weichen. Einen Tag vor der EM-Eröffnung deutet sich eine Ausweitung der Ausstände an. Die Fluglotsen im EM-Gastgeberland haben für den 14. Juni einen 24-stündigen Streik angekündigt. Damit könnte an diesem Tag der Flugreiseverkehr komplett zum Erliegen kommen, denn auch die Piloten der Air France wollen vom 11. bis 14. Juni die Arbeit niederlegen.

Zusammengefasst: In Frankreich wächst die Vorfreude auf die EM. Die Regierung hofft auf einen positiven Effekt für die Wirtschaft. Und auch darauf, dass die Euphorie von innenpolitischen Querelen ablenken. Doch schon kündigen Gewerkschaften neue Streiks an.

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