Gescheiterte Reform des Emissionshandels "Das ist das Ende einer europäischen Klimapolitik"

Braunkohlekraftwerk nahe Cottbus: "Renationalisierung der Klimapolitik"
Foto: Patrick Pleul/ picture alliance / dpaSPIEGEL ONLINE: Das Europäische Parlament hat die Reform des Emissionshandels abgelehnt. Hintergrund sind die drastisch gesunkenen Preise, die Unternehmen für die Verschmutzungsrechte zahlen. Deshalb wollte die EU-Kommission die Zertifikate verknappen. Was bedeutet das Votum für den Emissionshandel?
Matthes: Das wird gravierende Folgen haben. Der bereits heute viel zu niedrige Preis der Zertifikate wird drastisch einbrechen. Außerdem rechne ich mit einer Renationalisierung der Klimapolitik.
SPIEGEL ONLINE: Droht dem europaweiten Emissionshandel das Aus?
Matthes: Ich würde sogar noch weiter gehen: Die Entscheidung bedeutet das Ende eines europäischen Ansatzes für Klimapolitik. Das Paradoxe ist: Gerade jene Politiker, die ständig mehr Harmonisierung bei der Klimapolitik in der EU und im internationalen Raum fordern, treiben die Politik zurück auf die nationale Ebene. Das ist ein riesiger Rückschritt - auch für die globale Klimapolitik. Selbst China fängt derzeit an, Emissionshandel zu betreiben. Südkorea und Australien haben es eingeführt, Kalifornien hat ein sehr ambitioniertes System gestartet.
SPIEGEL ONLINE: Warum halten Sie den Emissionshandel für so wichtig?
Matthes: Der Vorteil ist: Man kann die Systeme weltweit miteinander verbinden. So lässt sich etwas erreichen, was den Vereinten Nationen jahrzehntelang nicht gelungen ist: eine globale Klimapolitik. Und diese Chance wird nun mutwillig zerstört.
SPIEGEL ONLINE: Warum hat das Parlament die Reform der Kommission abgelehnt?
Matthes: Es gab im Wesentlichen zwei Arten von Gegnern. Dem größeren Teil, der Opposition von rechts, geht es gar nicht um den Emissionshandel. Die wollen die Klimaschutzpolitik an sich kaputtmachen. Das bekommen sie auf EU-Ebene vielleicht auch hin. Sie werden es aber nicht in Großbritannien, Frankreich und Deutschland erreichen. Die großen Mitgliedsländer haben sich auf diese Politik verständigt. Gerade die Bundesregierung ist hier Vorreiter mit der Energiewende.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt aber auch Widerstände von links.
Matthes: Ja. Die sagen: Das ist nicht gut, dass die Märkte das regeln sollen. Die wollen Klimaschutz mit anderen Instrumenten machen. Sie verkennen aber, dass wir Ansätze brauchen, die globalisierungsfähig sind. CO2-Steuer und Erneuerbare-Energien-Gesetz sind interessante Instrumente, sie sind aber letztlich nicht globalisierungsfähig. Der Emissionshandel ist trotz aller Probleme das Instrument mit der größten Perspektive. Und das wird jetzt kaputtgemacht.
SPIEGEL ONLINE: In der aktuellen Form hat sich der Emissionshandel als unwirksam erwiesen. Die Zertifikate sind so billig geworden, dass sich Investitionen in klimafreundliche Technologien nicht mehr lohnen. Was ist da passiert?
Matthes: Im Wesentlichen gibt es zwei Ursachen für die Probleme. Die erste: Niemand konnte sich eine Wirtschaftskrise solchen Ausmaßes vorstellen, wie wir es seit 2008 erleben. Die wirtschaftliche Aktivität wird 2020 15 bis 20 Prozent unter dem liegen, was wir 2008 erwartet haben. Das bedeutet eben auch entsprechend weniger Stromverbrauch und Industrieproduktion. Daraus resultiert ein Überschuss von etwa 500 Millionen Zertifikaten.
SPIEGEL ONLINE: Was ist die zweite Ursache?
Matthes: Europa erkennt in seinem Emissionshandelssystem sehr großzügig Emissionsminderungszertifikate aus Projekten in China und anderswo als gleichwertige Maßnahmen an. Da sind 1,5 Milliarden Zertifikate ins System geströmt, wo man an den Preisen von heute wenigen Cent sehen kann: Dahinter stehen gar keine realen Emissionsminderungen. Wir sind in Europa immer davon ausgegangen, dass der Preis realistischerweise nicht unter zehn Euro fallen kann. Jetzt gibt es aber Zertifikate für 30 Cent und weniger. Insgesamt bedeutet das: Im System gibt es einen Überschuss von zwei Milliarden Zertifikaten. Das entspricht etwa dem jährlichen CO2-Ausstoß aller regulierten Anlagen. Die Verknappung wäre ein Signal an die Märkte und an die Welt gewesen, dass ein wirksamer Emissionshandel über 2020 hinaus besteht und den entscheidenden Rahmen für langfristig angelegte Klimapolitik bildet. Diese Chance hat das Europäische Parlament verspielt.