In welchen Punkten Frankreich und Deutschland übers Geld streiten Zahlst du oder ich?
Man könnte meinen, Angela Merkel und Emmanuel Macron wollen das Gleiche. Frankreichs Präsident hat seine steile Karriere auf dem Bekenntnis zu mehr Europa aufgebaut und in mehreren Grundsatzreden seine Visionen für eine Erneuerung der EU präsentiert. Die deutsche Kanzlerin führt eine Regierung an, die ihren Koalitionsvertrag unter das Motto "Ein neuer Aufbruch für Europa" gestellt hat.
Doch der Arbeitsbesuch von Macron bei Merkel blieb am Donnerstag ohne konkrete Ergebnisse - und wurde von vielen Störgeräuschen begleitet. In der Unionsfraktion formulierte man kurz vorher noch ein Papier mit zahlreichen Bedenken, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt blaffte: "Ich habe überhaupt keine Veranlassung, Macrons persönliche Glücksgefühle zu meinem politischen Programm zu machen." Deutsch-französische Freundschaft klingt irgendwie anders.
Woher kommt das deutsche Misstrauen?
Macrons umfangreiche Ideen reichen von Austauschprogrammen für alle jungen Europäer bis zur gemeinsamen Grenzpolizei. Der Widerstand in Deutschland aber richtet sich vor allem gegen Pläne für die Finanz- und Wirtschaftspolitik. Im Kern steht dabei eine alte Sorge: Deutschland soll mehr bezahlen. Entweder kurzfristig, indem Budgets erhöht oder neu geschaffen werden. Oder langfristig, indem Risiken neu verteilt und vergemeinschaftet werden - und Deutschland einen Teil der Kontrolle abgibt.
Kurzfristig steigen könnten die Ausgaben durch einen eigenen Haushalt für die Eurozone, wie ihn Macron fordert. Bislang gibt es ein gemeinsames Budget nur für die EU insgesamt, nicht aber für die 19 Länder, die sich eine Währung teilen. Macron will solche gemeinsamen Mittel einführen, um die Konvergenz innerhalb der Währungsunion zu erhöhen, also die Leistungsfähigkeit der Mitgliedsländer anzugleichen. Das Budget soll gemeinsame Investitionen finanzieren und wirtschaftliche Schocks abfedern.
"Keine Währungsunion könnte überleben, wenn es nicht auch Konvergenzelemente gäbe", sagte Macron am Donnerstag bei seinem Auftritt mit Merkel. Deren Regierung hat sich für die Ideen ausdrücklich offen gezeigt: Laut Koalitionsvertrag befürwortet sie "spezifische Haushaltsmittel für wirtschaftliche Stabilisierung und soziale Konvergenz", die "Ausgangspunkt für einen künftigen Investivhaushalt für die Eurozone sein können".
Nach Schulz ist vieles anders
Allerdings entstanden diese Formulierungen noch unter Führung des mittlerweile abgetretenen SPD-Chefs Martin Schulz. Der langjährige Europapolitiker stand einer weiteren Integration der EU deutlich offener gegenüber als Finanzpolitiker in der Union und auch der heutige Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD).
Die Kritiker verweisen darauf, dass die EU schon heute viel Geld für Investitionen zur Verfügung hat. So fließen allein 350 Milliarden Euro des laufenden Haushalts in die Kohäsionspolitik, also in Maßnahmen, die die Unterschiede zwischen verschiedenen Regionen verringern sollen. Über den sogenannten Juncker-Plan unterstützt die EU-Kommission zudem private Investitionen in die Infrastruktur, die bis zu 500 Milliarden Euro erreichen sollen. Macron wird deshalb wohl genau erklären müssen, wo aus seiner Sicht zusätzliche Investitionen notwendig sind.
Klärungsbedarf besteht auch beim Konzept eines Budgets zur Abfederung wirtschaftlicher Krisen. Die Idee einer sogenannten Fiskalkapazität entstand infolge der Eurokrise. Der Gedanke: Wenn das nächste Mal ein Euroland in Schwierigkeiten gerät, soll der Rest der Währungsunion früher gegensteuern.
Auch das könnte durch Investitionen geschehen. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese nicht auch so möglich wären - zumal Eurostaaten in Krisenzeiten ihre Neuverschuldung ohnehin ausweiten dürfen. Das gewünschte Gegensteuern in der Krise könnte aber auch durch automatische Mechanismen geschehen - etwa durch eine europäische Arbeitslosenversicherung. In sie würden alle Staaten einzahlen, in Krisenzeiten würden dann Arbeitnehmer in einzelnen Ländern unterstützt.

Spanische Arbeitslose in der Eurokrise
Foto: Alkis Konstantinidis/ picture alliance / dpaReizvoll an der Idee ist, dass sie Transfers in alle Richtungen ermöglichen würde - ohne, dass zuvor jedes Mal mühsam darüber verhandelt werden muss. Das überzeugt Kritiker in der Union aber nicht. Durch eine solche Versicherung werde auf deutsche Kosten die Arbeitslosigkeit in anderen Ländern finanziert, sagte CSU-Landesgruppenchef Dobrindt.
Sorge vor den Altlasten der Banken
Groß ist der Widerstand auch bei jenen Reformen, die für Deutschland langfristig größere Belastungen bringen könnten. Dazu gehören insbesondere die Europäische Bankenunion und ein Europäischer Währungsfonds (EWF).
Die Bankenunion ist ebenfalls eine Lehre aus der letzten Krise. Damals wurde deutlich, dass Finanzinstitute in einzelnen Mitgliedsländern zum Problem für die gesamt EU werden können. Deshalb wurden für Großbanken bereits eine gemeinsame Aufsicht und ein einheitlicher Abwicklungsmechanismus eingeführt. Als dritte Säule der Bankenunion ist eine gemeinsame Einlagensicherung im Gespräch, durch die Sparguthaben in den EU-Ländern gemeinsam vor dem Fall einer Bankpleite geschützt würden.

Frankfurter Bankenviertel
Foto: Boris Roessler/ picture alliance / dpaDie Idee hat viele Fürsprecher. "Ich teile die Sicht, dass man sich zuerst auf die Vollendung der Bankenunion konzentrieren sollte", sagte etwa Philipp Hildebrand, Vizechef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, dem SPIEGEL. In Deutschland gibt es jedoch erhebliche Bedenken, dass über die Einlagensicherung auch Altlasten von Banken vergemeinschaftet werden. Insbesondere italienische Institute haben noch unbediente Kredite in Milliardenhöhe in ihren Büchern, diese müssen aus Sicht der Bundesregierung erst abgebaut werden. Bei ihrem Auftritt mit Macron betonte Merkel, dass die Einlagensicherung erst "in einer ferneren Zukunft" kommen werde.
Mit Skepsis sehen Teile der Union auch den Europäischen Währungsfonds. Dieser könnte in künftigen Krisen die Aufgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) übernehmen. Zwar sagte Merkel am Donnerstag, man wolle den Rat des IWF weiterhin in Anspruch nehmen. Tatsächlich haben sich die Europäer aber vor allem in der Griechenlandkrise mit dem in Washington ansässigen Fonds überworfen.
Der EWF würde aus dem heutigen Euro-Rettungsschirm ESM heraus entstehen, der in der letzten Krise Länder wie Griechenland oder Portugal mit Krediten vor der Pleite bewahrte. Weil diese Hilfen sehr umstritten waren, musste der Bundestag neue Zahlungen regelmäßig genehmigen. Dieses Recht müsse auch bei einem EWF erhalten bleiben, warnen Unionsvertreter - obwohl das im Koalitionsvertrag ohnehin so vorgesehen ist.
Gesellschaft für die Finanzminister?
Macrons Visionen treffen in Deutschland also auf erhebliche Sorgen vor Kontrollverlust. Dabei geht es nicht immer nur um Geld: In der letzten Krise entstand zeitweise auch der Eindruck, dass mit der sogenannten Euro-Gruppe der Finanzminister ein demokratisch schlecht legitimiertes Gremium folgenschwere Entscheidungen für den ganzen Kontinent trifft. Interessant ist deshalb ein Vorstoß, den Merkel kurz vor Macrons Besuch machte: Die Finanzminister könnten künftig gemeinsam mit den Wirtschaftsministern tagen.

Eurofinanzminister in Brüssel (im Jahr 2015)
Foto: THIERRY CHARLIER/ AFPEin solcher "Jumbo-Rat" sei reine Symbolpolitik gegenüber Frankreich, kritisierte FDP-Chef Christian Lindner im Interview mit SPIEGEL ONLINE. Nahe liegt auch der Verdacht, dass Merkel so die Position von Wirtschaftsminister und Parteifreund Peter Altmaier stärken will.
Doch zur von Macron geforderten Vertiefung der Eurozone würde eben auch gehören, dass Finanz- und Wirtschaftspolitik künftig besser koordiniert werden. Schließlich sind Finanzminister qua Amt vor allem dafür da, das Geld beisammenzuhalten. Große Impulse für Investitionen sind von ihnen alleine kaum zu erwarten.
Macron widersprach denn auch nicht, als Merkel ihren Vorstoß bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Hinweis verteidigte, dass auch Außen- und Verteidigungsminister gelegentlich zusammen tagen. Reichen wird dem Franzosen ein neuer Stuhlkreis in Brüssel aber sicher nicht.
Zusammengefasst: Mit seinen Visionen für Reformen der Eurozone trifft Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Deutschland auf erheblichen Widerstand, vor allem in Teilen der Union. Dabei geht es einerseits um die Sorge vor kurzfristig steigenden Belastungen, etwa durch einen gemeinsamen Haushalt der Eurozone. Andererseits fürchten Abgeordnete auch einen langfristigen Kontrollverlust, unter anderem durch eine Vergemeinschaftung von Banken-Altlasten oder einen Europäischen Währungsfonds, dessen Kredite nicht mehr von den Parlamenten genehmigt werden müssen.