
Umstrittenes Umweltgesetz Österreich stoppt Import von Atomstrom
Wien/Hamburg - Werner Faymann hält das quietschgelbe Plakat mit den spitzen Fingern der linken Hand, totenstill ist es an diesem Dienstagnachmittag im Empfangssaal des Wiener Kanzleramts. Journalisten hat der sonst so medienfreundliche Regierungschef diesmal gar keine eingeladen - und das mitten im Wahlkampf. Dabei hat Faymann den Bürgern doch eine frohe Botschaft zu verkünden: "Atomstromfreies Österreich".
So steht es in dicken Lettern auf dem Transparent, das der Kanzler von den Chefs der Umweltschutzorganisationen Greenpeace und Global 2000 überreicht bekommt. So hat es Faymann einst seinem Volk gelobt, damals nach Fukushima. Er hat Österreich als "Vorreiter" für andere Staaten Europas gepriesen, allen voran für den großen Nachbarn Deutschland. Jetzt aber bangt der Sozialdemokrat, ob er sein Versprechen halten kann. Denn ausgerechnet Europa könnte seinen Plan durchkreuzen.
Heute soll das Wiener Parlament den Weg für Faymanns Nulllösung freimachen. Nicht ein einziges Kilowattstündchen Atomstrom sollen die Österreicher künftig verbrauchen: So will es der Kanzler, so wollen es alle Fraktionen, so will es die breite Mehrheit der Bürger.
Einziger Reaktor ging nie in Betrieb
Seit jeher ist Österreich eine kernkraftwerkfreie Zone. Der einzige Reaktor, den die Alpenrepublik je errichtete, ging nach einem Referendum im Jahr 1978 nie in Betrieb - und diente später als Filmkulisse und Quartier für eine Grundschule. Dennoch verbraucht Österreich reichlich Atomstrom, importiert aus Tschechien und Deutschland. Denn aus eigener Kraft kann Österreich seinen Elektrizitätsbedarf nicht decken. Ein Zustand, der auch Deutschland nach dem Vollzug der Energiewende im Jahr 2022 blühen könnte: Daheim stehen die AKW still, beim Nachbarn laufen sie auf Hochtouren.
"Nach Fukushima hat man uns vorgeworfen, wir seien nicht ehrlich, würden den Atomstrom in den Bilanzen verstecken", sagt Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Auch Deutschland wird sich dieser Frage stellen müssen." Österreich wolle sie jetzt lösen.
Ein direktes Atomstromverbot verstößt allerdings gegen Europarecht. Also spielt Wien über Bande. Heute wird das Parlament den sogenannten Graustrom verbieten: importierte Elektrizität aus unbenannter Quelle, die knapp 14 Prozent Anteil am österreichischen Strommix hat. Von 2015 an muss jede einzelne Kilowattstunde mit einem Herkunftszertifikat versehen werden; einem "Mascherl", wie sie in Wien sagen. Und weil sich alle österreichischen Versorger "freiwillig" verpflichtet haben, keinen Atomstrom mehr zu kaufen, könnte der totale Ausstieg über den Umweg gelingen. Aber nur, wenn die EU das "Mascherl" akzeptiert. Und danach sieht es nicht aus.
"Wir machen es trotzdem"
"Es wird nicht einfach, weil unser Vorgehen womöglich den Verträgen der EU widerspricht", gibt Wirtschaftsminister Mitterlehner zu. "Wir machen es trotzdem." Schon vor Monaten hat die Brüsseler Kommission der Wiener Regierung eine Mahnung geschickt. In den Augen der Brüsseler Beamten behindert der Herkunftsnachweis für Importstrom den freien Warenverkehr innerhalb Europas. Denn bislang gibt es derartige Zertifizierungssysteme EU-weit nur für Elektrizität aus erneuerbaren Energien und für Kraft-Wärme-Kopplung - nicht aber für AKW- oder Kohlestrom. "Außerdem sichert das neue Gesetz den österreichischen Versorgern einen kostenlosen Herkunftsnachweis zu, ausländischen Anbietern aber nicht", heißt es in Brüssel. "Das ist Diskriminierung."
Offiziell halten sich Energiekommissar Günther Oettinger und Industriekommissar Antonio Tajani noch bedeckt. Man werde Österreichs neues Gesetz nach der Verabschiedung prüfen, sagt eine Kommissionssprecherin zu SPIEGEL ONLINE, "in der EU darf es keine Beschränkung gegenüber legal produziertem Strom geben". Da sich der Gesetzentwurf seit dem Mahnschreiben wenig geändert hat, ist ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof programmiert. Und so blickt auch die deutsche Regierung skeptisch auf Österreichs neues Gesetz. Es sei "europarechtlich sehr komplex", sagt ein Sprecher des Bundesumweltministeriums. Kaum vorstellbar, dass Berlin das Wiener Modell kopiert.
Die lokalen Umweltschützer bangen um ihren Sieg: "Wenn die EU-Kommission dieses Gesetz verbietet", fürchtet Alexander Egit, Geschäftsführer von Greenpeace Österreich, "dann jubelt sie den Menschen Atomstrom unter." Bis zum großen Knall zwischen Wien und Brüssel dürfte es allerdings noch einige Monate dauern. Lang genug für Kanzler Faymann. Er stellt sich schon am 29. September zur Wiederwahl.