Energiewende So könnte der Strommarkt der Zukunft aussehen

Strommasten und Solarbäume: "Das Zauberwort lautet Flexibilisierung"
Foto:Uwe Zucchi/ picture alliance / dpa
München - Die Bundesregierung steht in den kommenden Monaten vor Grundsatzentscheidungen. Es geht um den Umbau des deutschen Kraftwerkparks und des Marktes, auf dem diese Kraftwerke ihren Strom verkaufen - um Gesetze also, die die Energieversorgung einer der größten Industrienationen der Welt womöglich auf Jahrzehnte prägen werden.
Erste Vorschläge hat die Bundesregierung bereits Ende 2014 vorgelegt, im sogenannten Grünbuch zum Strommarkt. Seitdem sammelt sie Expertenvorschläge ein, um ihren Energie-Masterplan zu verfeinern.
In der kommenden Woche nun wollen zwei besonders renommierte Forschungseinrichtungen ihre Vorschläge für den Strommarkt der Zukunft vorlegen: das Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) und die Firma Energy Brainpool, ein Berliner Dienstleister, der sich unter anderem auf die Preise an der deutschen Strombörse spezialisiert hat.
Eines ist den Experten dabei besonders wichtig: Der deutsche Strommarkt der Zukunft muss möglichst schnell möglichst elastisch werden. "Das Zauberwort lautet Flexibilisierung", heißt es im finalen Entwurf einer Studie, die die Experten im Auftrag des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE) erstellt haben und kommende Woche vorstellen wollen; das Papier liegt SPIEGEL ONLINE vorab vor.
Radikaler Eingriff in den Strommarkt
Hintergrund ist der schnelle Wandel im deutschen Kraftwerkspark. In der alten Welt der Stromversorgung war alles lange vorhersehbar: Eine überschaubare Zahl großer Kraftwerke lieferte Strom für industrielle Großabnehmer und Haushalte, flexible Gaskraftwerke glichen mittelfristige Schwankungen aus, und hin und wieder rief der Netzbetreiber beim Kraftwerksführer an und bat darum, etwas mehr oder weniger Strom zu produzieren.
Die Zukunft sieht ganz anders aus. Statt weniger große gibt es schon jetzt Millionen kleine, dezentrale Stromerzeuger, deren Produktion je nach Wind und Wetter schwankt und die teils im Minuten- oder gar Sekundentakt miteinander kommunizieren. Die Strommärkte müssen sich darauf ausrichten, doch der Strommarkt funktioniert weitgehend noch nach den alten Regeln, ebenso die Geschäftsmodelle der großen Stromkonzerne.
Beides hemmt den Übergang in die neue Energiewelt und gefährdet die Sicherheit der künftigen Stromversorgung. Und je länger das alte System fortgeführt wird, desto mehr Aufwand muss durch das System betrieben werden, die Fehlanreize wieder auszugleichen. Fraunhofer IWES und Energy Brainpool haben nun eine Strategie formuliert, mit der sich die alten Hemmnisse überwinden ließen.
Im Kern ist diese so einfach wie radikal: Wenn gerade mehr Strom produziert als gebraucht wird, soll der Strompreis deutlich sinken. Große Abnehmer sollen so dazu gebracht werden, mehr zu verbrauchen. Fabriken könnten zum Beispiel die Produktion erhöhen, große Kühlhäuser stärker kühlen. In Zeiten, in denen mehr Strom gebraucht wird als gerade verfügbar ist, sollen die Preise dagegen deutlich steigen. Verbraucher sollen so dazu gebracht werden, sich zu bescheiden.
Drei Hebel für den Strompreis
Voraussetzung, um den Strompreis flexibel anzuheben und abzusenken, ist, dass möglichst viele große Verbraucher und Versorger in Echtzeit miteinander kommunizieren können. Schon heute gibt es in Deutschland eine Reihe wetterfühlige Fabriken, künftig soll diese Technik der Standard sein. Für die Steuerung des Strompreises nennen die Wissenschaftler in ihrer Studie drei Hebel:
- die Erneuerbare-Energien-Umlage, die garantiert, dass Betreiber von Wind-, Solar- und Biomasseanlagen den Strom, den sie produzieren, stets zum selben Preis verkaufen. Zahlen tun dies die Verbraucher - über Aufschläge auf ihre Stromrechnung;
- die Netzentgelte, die Verbraucher für den Betrieb der Stromnetze zahlen;
- der sogenannte Kraft-Wärme-Kopplungsbonus, den Kraftwerke erhalten, die die Abwärme, die bei ihrer Stromproduktion entsteht, ins Wärmenetz einspeisen.
All diese Umlagen schlagen auf den Strompreis durch, den die Verbraucher letztlich zahlen. Die Wissenschaftler schlagen nun vor, alle drei Umlagen zu Zeiten eines Stromüberangebots zu senken - was den Strom deutlich billiger machen würde. Wenn die Nachfrage höher als das Angebot ist, sollen all diese Umlagen hingegen steigen - was den Strom deutlich teurer machen würde.
Der Strompreis - und mit ihm der Strommarkt - würden so deutlich flexibler, schreiben die Wissenschaftler. Das würde starke Anreize für Technologien erzeugen, die Stromproduktion und -nachfrage stärker aneinander anpassen. Und ebenso starke Anreize, große, unflexible Kraftwerke abzuschalten, die dies nicht leisten können.
Es ist schon jetzt absehbar, dass dieser Vorschlag bei den großen Stromversorgern auf massiven Protest stoßen wird. Bei der Ökostrom-Fraktion hingegen, die von einem solchen Markt stark profitieren würde, stößt das Konzept auf großen Rückhalt. Ein flexibler Strommarkt sei "entscheidend für das Gelingen der Energiewende", sagt Hermann Falk, Geschäftsführer des BEE.
Die Ausgestaltung des künftigen Strommarkts ist also im Kern ein Machtkampf zwischen Unternehmen der alten und neuen Energiewelt. Die Bundesregierung darf sich bei der Ausgestaltung ihrer Gesetze auf massiven Druck von beiden Seiten gefasst machen.