Kohleausstieg Im Bann des CO2-Monsters

Kohlekraftwerk in Sachsen-Anhalt
Foto: Martin Schutt/ dpaDas zentrale Klimaschutzinstrument der EU hat bisher einen miesen Ruf. Kritiker bezeichnen den sogenannten Emissionshandel gern als "bürokratisches Monster", schmähen ihn als wirkungslos. Nun plötzlich wirbelt der Emissionshandel den deutschen Strommarkt durcheinander - und zwar so heftig, dass manche schon die komplette Kommission für den deutschen Kohleausstieg für überflüssig erklären. Weil der Ausstieg durch steigende Preise vielleicht automatisch kommen werde.
Wie kann das sein?
Der Emissionshandel funktioniert im Kern nach einem einfachen Prinzip. Seit seinem Start im Jahr 2005 müssen rund 12.000 Unternehmen und Stromproduzenten in der EU für jede von ihnen ausgestoßene Tonne Kohlendioxid (CO2) ein Zertifikat vorweisen. Das klimaschädliche Gas wird so zum Kostenfaktor - was die Unternehmen dazu bewegen soll, ihren CO2-Ausstoß zu senken.
Lange Zeit hat das nicht funktioniert. Weil es am Markt mehr als reichlich Zertifikate gab, war der CO2-Preis lächerlich niedrig. Auf dem Tiefpunkt im Jahr 2013 wurden nur 2,46 Euro je Tonne CO2 gezahlt, noch vor einem Jahr kaum mehr als 5 Euro. Nun aber ist Bewegung in den Markt gekommen: Binnen eines Jahres hat sich der Preis mehr als vervierfacht.
Der deutsche Strommarkt ist in den Bann des CO2-Monsters geraten. Er steht dadurch nun - viel schneller als geplant - an der Schwelle eines strukturellen Wandels: Wenn der CO2-Ausstoß teurer wird, dann werden jene Kraftwerke, die besonders viel CO2 ausstoßen, unrentabler. Und das sind eben ausgerechnet die Kohlemeiler.
Im Video: Klimaziele in Gefahr? Die Zukunft der Kohleverstromung
"Der Betrieb eines älteren Steinkohlekraftwerks ist schon jetzt kaum noch rentabel", sagt Felix Matthes vom Freiburger Öko-Institut. "Auch ältere Braunkohlekraftwerke haben ab einem CO2-Preis von 20 Euro zunehmend Probleme, ihre Kosten für Betrieb und Tagebau zu decken." Ab einem CO2-Preis von 30 Euro werde es für die meisten Unternehmen "sehr ernst", sagt Matthes, der selbst Mitglied der Kohlekommission ist.
"Man kann sich fragen, ob man die Kohlekommission noch braucht"
Der hohe CO2-Preis trifft nicht alle Unternehmen gleich schnell. Der Energieriese RWE zum Beispiel hat sich für mehrere Jahre im Voraus mit billigen CO2-Zertifikaten eingedeckt. Sollten die CO2-Preise aber auf Dauer hoch bleiben oder gar noch steigen, dann bekommen die Betreiber der deutschen Kohlekraftmeiler früher oder später alle ein Problem.
Die Kohleverstromung ist zwar immer noch wichtig für den deutschen Strommix. Doch niemand muss fürchten, dass angesichts der steigenden CO2-Preise in Deutschland die Lichter ausgehen. Denn die Unternehmen dürfen ihre Kraftwerke nicht einfach abschalten. Sie brauchen dazu die Genehmigung der Bundesnetzagentur. Sollte diese ein Kraftwerk für unersetzlich halten, kann sie dessen Weiterbetrieb anordnen. Damit der Betreiber nicht draufzahlt, bekommt er dann Geld vom Staat zugeschossen.
Die deutsche Kohlekommission aber stellt der hohe CO2-Preis schon jetzt vor ein grundsätzliches Problem. Das Gremium will bis Ende 2018 einen Masterplan für den Ausstieg vorlegen. Doch dieser Plan könnte durch den schwankenden CO2-Preis schon bald wieder überholt sein.
Manche stellen schon das Gremium an sich infrage. "Wenn der CO2-Preis weiter steigt, kann man sich irgendwann fragen, ob man die Kohlekommission überhaupt noch braucht", heißt es beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dessen Präsident Dieter Kempf selbst in der Kohlekommission sitzt.
Andere Mitglieder, allen voran Matthes vom Öko-Institut, raten von solchen Gedankenspielen dringend ab. "Wir brauchen einen geordneten Ausstieg", sagt er. Er bezweifle, dass der CO2-Preis auf Sicht so hoch bleibe.
Im Video: Ende Gelände? Protest gegen Braunkohle
Das Energiesystem der Zukunft
Tatsächlich stehen sich in diesem Punkt zwei Expertenlager gegenüber: Die einen sagen, der CO2-Preis werde sogar noch weiter steigen, weil die EU die Zahl der verfügbaren CO2-Zertifikate ab 2019 deutlich verknappt. Der Think Tank Carbon Tracker prognostiziert ab 2019 Preise von 35 bis 40 Euro je Tonne, die Berenberg Bank erwartet 2020 gar Preise von bis zu 100 Euro. "Viele Markteilnehmer sind gerade getrieben von dem Gedanken: 'Lieber jetzt für unter 30 Euro einkaufen als zu spät'", sagt Angela Pietroni, Expertin des Berliner Analysehauses Energy Brainpool.
Andere Ökonomen, darunter Matthes, führen den aktuellen Preisschub zumindest teilweise auf Marktspekulationen zurück. Sie glauben, dass die CO2-Preise bald wieder sinken könnten. Erst Ende der Zwanzigerjahre, wenn die CO2-Zertifikate wirklich knapp werden, sei mit einem stabileren Preishoch zu rechnen.
Welche Theorie stimmt, ist schwer zu sagen. Klar ist derzeit nur, dass es recht chaotisch werden könnte, wenn der Kohleausstieg komplett durch die Kräfte des Marktes geregelt würde. Das scheint auch die Kohlekommission so zu sehen. Bei deren nächster Sitzung am 18. September soll der hohe CO2-Preis nach SPIEGEL-Informationen thematisiert werden.
Für die deutsche Energiewende indes ist es sogar förderlich, dass die CO2-Preise gerade explodieren. Denn das macht nicht nur den Betrieb der Kohlekraftwerke unattraktiver, sondern gleichzeitig auch die Gaskraftwerke wettbewerbsfähiger. Diese stoßen nämlich nur rund halb so viel CO2 pro Megawattstunde aus.
"Die effizientesten Gas-und-Dampfkraftwerke sind nach unseren Berechnungen schon jetzt günstiger als die ältesten Steinkohlekraftwerke", sagt Hanns Koenig, Energiemarktexperte des Beratungshauses Aurora Energy Research aus Oxford.
Für das Energiesystem der Zukunft sind Gaskraftwerke ein wichtiger Baustein. Anders als Kohlemeiler können sie ihre Stromproduktion schnell steigern und drosseln - und so gut die Schwankungen von Wind- und Solaranlagen ausgleichen. Wenn künftig immer mehr Elektrizität aus Ökostromanlagen kommt, sind Gaskraftwerke im deutschen Kraftwerkpark eine sinnvolle Ergänzung.
Die deutschen Verbraucher indes müssen einen Anstieg der CO2-Preise derzeit noch nicht fürchten. Zwar sind in der Folge inzwischen auch die Großhandelspreise für Strom gestiegen. Es ist aber noch nicht klar, inwieweit die Stromanbieter diesen Anstieg auf ihre Kundschaft umlegen.
Und selbst wenn sie dies täten - der Kostenschub wäre überschaubar: Ein durchschnittlicher Vier-Personen-Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 4300 Kilowattstunden würde dann im Monat rund zwei Euro mehr zahlen.