DIW-Studie Deutsche vererben jährlich bis zu 400 Milliarden Euro

Villen an Außenalster in Hamburg
Foto: Ulrich Perrey/ picture alliance / dpaVieles ist in Deutschland statistisch exakt bezifferbar - die Bruttoeinkommen der Arbeitnehmer etwa oder die Zahl der Hartz-IV-Empfänger. Kein Wunder, hier müssen Sozialversicherungen und Jobcentern alle Daten vollständig vorliegen, um sie bearbeiten zu können. Für Vermögen gilt das jedoch nicht, keine staatliche Stelle erfasst diese Werte exakt - und auch nicht, welche Summen vererbt oder verschenkt werden. Zwar gibt es dazu seriöse Schätzungen auf Basis recht zuverlässiger Erhebungen. Doch diese könnten das tatsächliche Volumen deutlich unterschätzt haben.
Das legt eine Berechnung von Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung nahe. Demnach beläuft sich das Erbvolumen im Zeitraum von 2012 bis 2027 auf schätzungsweise bis zu 400 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist gut ein Viertel mehr als in früheren Studien unterstellt - eine davon stammt ebenfalls vom DIW und hatte das jährliche Erbvolumen auf 200 bis 300 Milliarden Euro in der aktuellen Dekade beziffert. Eine andere Untersuchung des Deutschen Instituts für Altersvorsorge kam rechnerisch auf durchschnittlich 310 Milliarden Euro im Jahr für den Zeitraum bis 2024.
Diese bekannten Schätzungen gingen allerdings - so der Ausgangspunkt der aktuellen DIW-Berechnung - von der aktuellen Vermögenshöhe der Erblasser aus. Dadurch blieben zwei wichtige Aspekte unberücksichtigt: Die Wertsteigerungen des Vermögens sowie die Tatsache, dass die Erblasser weiterhin regelmäßig sparen würden. Beziehe man diese beiden Aspekte in die Berechnung mit ein, ergebe sich eine Steigerung von rund 28 Prozent - statt 310 Milliarden Euro wie in der höchsten bisherigen Schätzung ergäben sich also bis zu 397 Milliarden Euro.
Autoren raten zu Reform der Erbschaftsteuer
Erbschaften und Schenkungen spielen bei einem Aspekt der Ungleichheit in Deutschland eine große Rolle: der Verteilung von Vermögen. Schätzungen zufolge besitzen die obersten zehn Prozent knapp zwei Drittel des Nettovermögens, die restlichen 90 Prozent nur ein Drittel. Durch Erbschaften wird dieses Ungleichgewicht stetig erhöht. Der frühere Caritas-Generalsekretär Georg Cremer verweist zum Beispiel darauf, dass dies auch dazu beitrage, dass selbst relative Gutverdiener auf den überhitzten Immobilienmärkten in einigen Großstädten nicht mehr mithalten können, wodurch das Leistungsprinzip verletzt werde.
Der Staat könnte dieser Entwicklung entgegenwirken, wenn Erbschaften und Schenkungen effektiver als bislang besteuert würden - in Ländern wie den USA bekommt der Fiskus einen deutlich höheren Anteil. 2015 etwa nahm der deutsche Fiskus lediglich 5,5 Milliarden Euro an entsprechenden Steuern ein. Auch die DIW-Forscher verweisen darauf, dass die Mehrzahl der Erbschaften wegen der hohen Freibeträge steuerfrei übertragen werden - und zwar auch sehr hohe Vermögen, die als Betriebsvermögen übergehen und deshalb steuerfrei sind. Die Autoren der Studie raten als Schlussfolgerung ihrer Berechnung ausdrücklich dazu, die geltenden Freibeträge und die Steuerprivilegien für Unternehmensvermögen zu überdenken.