Ermittlungen gegen IWF-Chefin Richter gefährden Lagardes Ruf als Madame Makellos

Christine Lagarde: Unangenehme Fragen an die IWF-Chefin
Foto: BRENDAN SMIALOWSKI/ AFPHamburg - Christine Lagarde ist eine selbstbewusste und charmante, ja einnehmende Frau. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) machte in der Wirtschaft genauso rasch Karriere wie in der Politik.
Bei der weltweiten Anwaltskanzlei Baker & McKenzie schaffte es die inzwischen 55-Jährige bis zur Präsidentin der Geschäftsführung. Und als sie 2005 von ihrem Arbeitsplatz in Chicago in die französische Politik wechselte, dauerte es nicht allzu lange, bis sie den einflussreichsten Ministerposten bekam, der in Frankreich zu vergeben ist: den für Wirtschaft und Finanzen.
Doch so erfolgreich das Berufsleben von Lagarde bislang auch verlaufen ist: Nun holen sie die Pariser Zeiten wieder ein - nur einen Monat, nachdem sie ihren Posten beim IWF in Washington als Nachfolgerin ihres Landsmannes Dominique Strauss-Kahn angetreten hat. Der Gerichtshof der Republik hat ein Ermittlungsverfahren gegen Lagarde eingeleitet.
Es geht um möglichen Amtsmissbrauch. Und es stehen abseits des konkreten Falls zwei Fragen im Raum: Muss Lagarde fürchten, ihren neuen Job bald schon wieder los zu sein? Und kommt der altehrwürdige IWF gar nicht mehr zur Ruhe? Schließlich musste Strauss-Kahn wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung seinen Posten räumen.
Was wird Lagarde konkret vorgeworfen?
Die Vorwürfe sind brisant: In dem Ermittlungsverfahren gegen Christine Lagarde geht es um die Veruntreuung öffentlicher Gelder und um Amtsmissbrauch. Konkret steht ihre Rolle bei staatlichen Zahlungen an den französischen Unternehmer Bernard Tapie im Mittelpunkt. Lagarde habe nach ihrem Antritt als Wirtschafts- und Finanzministerin 2007 "Maßnahmen ergriffen, die sich gegen das Gesetz wendeten", heißt es in einem Bericht des Generalstaatsanwalts Jean-Louis Nadal.
Tapie war unter François Mitterand selbst Minister und führte einst den Fußballverein Olympique Marseille. Außerdem war er Hauptaktionär bei Adidas. Weil er 1993 dringend Geld brauchte, verkaufte er Aktien des Sportartikelherstellers an die damalige Staatsbank Crédit Lyonnais - für zwei Milliarden Francs. Die Bank verkaufte sie kurz darauf für das Doppelte. Tapie fühlte sich betrogen und zog vor Gericht.
Nach einem jahrelangen Rechtsstreit zwischen Tapie und der Crédit Lyonnais beauftragte Lagarde 2008 ein Schiedsgericht, den Fall zu lösen - gegen den Rat der Experten ihres Ministeriums. Das Gericht sprach Tapie 258 Millionen Euro aus der Staatskasse zu. 45 Millionen Euro wurden Tapie allein als steuerfreies Schmerzensgeld gezahlt, auch diese Summe soll auf eine Anweisung Lagardes zurückgehen.
Der Generalstaatsanwalt wirft der IWF-Chefin nun vor, "ihre ministerielle Macht" eingesetzt zu haben, "um zu einer für Tapie günstigen Lösung" zu kommen. Dabei habe sie nicht einmal die Stellungnahme des Staatsrates eingeholt, wie es üblich ist. Die sozialistische Opposition rief deshalb den Gerichtshof der Republik an; sie wirft Lagarde vor, sich für die Zahlung eingesetzt zu haben, obwohl sie aus Steuergeldern bezahlt werden musste.
Tapie ist in Frankreich eine schillernde Figur: Gegen den Unternehmer wurde in den neunziger Jahren in zahlreichen Verfahren ermittelt - unter anderem wegen Bestechung, Hehlerei und Bilanzfälschung. Sein Geschäftsmodell: Er kaufte Pleitefirmen zum Preis von einem symbolischen Franc und veräußerte sie nach wenigen Jahren mit Gewinn. Dabei nutzte er sämtliche Schwächen des französischen Konkurs- und Vergleichsrechts aus, das ihm lange Schuldentilgungsfristen, aber auch Massenentlassungen ohne Sozialpläne ermöglichte.
Lagarde streitet alle Vorwürfe ab: "Da will jemand eine Rechnung begleichen", sagte ihr Anwalt Yves Repiquet dem SPIEGEL im Juni. Seine Mandantin habe sich nichts zuschulden kommen lassen und werde der Untersuchungskommission Rede und Antwort stehen. Der Gerichtshof der Republik ist das einzige französische Gericht, das Mitglieder der Regierung für Straftaten belangen kann, die sie in ihrer Amtszeit begehen.
Wirken sich die Ermittlungen auf Lagardes Arbeit aus?
Um diese Frage zu beantworten, muss man sie erst konkretisieren: Darf jemand eine der wichtigsten Finanzinstitutionen der Welt leiten, wenn gegen ihn ein Ermittlungsverfahren läuft? Und kann man den Job dann überhaupt machen, ohne dass die Arbeit darunter leidet?
Was Christine Lagardes Anwalt dazu zu sagen hat, ist nicht wirklich überraschend: Die Ermittlungen gegen die frühere französische Ministerin seien "keineswegs unvereinbar" mit ihrer Arbeit als IWF-Chefin, sagte er direkt nach der Entscheidung des französischen Gerichtshofs. Es werde nicht das erste Ermittlungsverfahren sein, das eingestellt wird - und Lagarde, so viel sei sicher, werde unbeschadet daraus hervorgehen.
Der Mann könnte Recht behalten: Denn solange gegen Lagarde nur ermittelt wird, sitzt sie sicher auf dem Chefsessel des IWF. Bislang sehen die Regeln des Währungsfonds zumindest nicht vor, dass ein Untreue-Verfahren den Rauswurf des Präsidenten nach sich zieht.
Auch von politischer Seite dürfte Lagarde keine Gefahr drohen. Erst vor wenigen Wochen hatten die Europäer mit den USA gemeinsame Sache gemacht und die Französin gegen den Willen der Schwellenländer auf den Chefposten gehievt. Stünde in Kürze wieder eine Wahl des IWF-Chefs an, dürfte sich der Westen wohl nicht erneut mit seinem Favoriten durchsetzen. Lieber stillhalten, dürfte daher nun die Devise lauten.
Hinzu kommt: Gut möglich, dass sich die Ermittlungen in Frankreich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Allerdings dürfte die französische Justiz noch während Lagardes fünfjähriger Amtszeit beim IWF eine Entscheidung darüber fällen, ob sie angeklagt wird. Sollte es tatsächlich dazu kommen, wäre die Finanzexpertin wohl kaum noch zu halten. Aber so weit ist es noch lange nicht.
Wird der IWF geschädigt?
Auf die Nachricht, dass gegen Christine Lagarde in Frankreich ermittelt wird, hätten die Verantwortlichen beim IWF sicherlich gern verzichtet. Schließlich ist bereits der Vorwurf der versuchten Vergewaltigung gegen ihren Vorgänger Dominique Strauss-Kahn nicht gerade ruffördernd für die Organisation, die sich um die Stabilität des weltweiten Währungssystems kümmern soll.
Abgesehen von den verschiedenen Vorwürfen (Versuchte Vergewaltigung vs. Amtsmissbrauch) gibt es zwischen beiden Fällen noch einen weiteren Unterschied. Dass Lagarde ein Ermittlungsverfahren droht, war bereits bekannt, als sie von den Europäern nominiert und schließlich von einem breiten Staatenbündnis gewählt wurde. Dieses Risiko hat jedes Land, das für sie gestimmt hat, somit in Kauf genommen.
Auch wenn die Ermittlungen gegen Lagarde mehrere Jahre dauern könnten, scheint der Sachverhalt an sich bekannt. Es ist also nicht damit zu rechnen, dass weitere, gravierendere Vorwürfe bekannt werden. Sofern dies so kommt, wird das Interesse an dem Fall wahrscheinlich nachlassen. Die Auswirkungen auf die Arbeit des IWF dürften deshalb zunächst gering sein.