Gehaltsrunde für Erzieher Schlecht bezahlt, gut gefordert

Krippenkinder in Leipzig (Archivbild): Forderungen wie in den Siebzigern
Foto: Waltraud Grubitzsch/ picture alliance / dpaHamburg - Marcel Brömmling ist ein Exot in Deutschland: Er ist ein Mann, er will Erzieher werden, er ist schon 46 Jahre alt.
Anfang 2016 wird Brömmling seine Abschlussprüfung machen. Bis dahin hat der studierte Fotograf und Vater zweier Kinder zahlreiche Arbeitseinsätze in Schulen und Kitas sowie ein Anerkennungsjahr hinter sich gebracht - und viel Lebenserfahrung gesammelt. Wenn Brömmling eine Stelle annimmt, wird sein erstes Gehalt bei etwas mehr als 2500 Euro brutto liegen. Vielleicht.
Es könnte aber auch ein paar hundert Euro höher ausfallen, sollte sich Ver.di durchsetzen. Die Gewerkschaft fordert in der kommenden Tarifrunde durchschnittlich zehn Prozent mehr Geld für Erzieher. Sie will das erreichen, indem sie die Beschäftigten bis zu vier Gehaltstufen im Tarifgefüge für Erzieher heraufsetzt.
Gehaltsstufen von Erziehern
Entgeltgruppe | Stufe 1 | Stufe 2 | Stufe 3 | Stufe 4 | Stufe 5 | Stufe 6 |
Verweildauer in Stufe | 1 Jahr | 3 Jahre | 4 Jahre | 4 Jahre | 5 Jahre | |
S10 (Ver.di-Forderung) | 2528,98 | 2790,30 | 2920,97 | 3308,42 | 3622,44 | 3880,37 |
S6 (aktuelle Gruppe) | 2311,21 | 2528,98 | 2703,20 | 2877,40 | 3035,28 | 3211,97 |
Zehn Prozent mehr - das klingt nach richtig viel, wenn man bedenkt, dass die meisten Arbeitnehmer sich mit zwei, drei Prozent mehr Geld begnügen müssen. Wenn's gut läuft. Erhöhungen im zweistelligen Bereich, soviel zur Erinnerung, die gab es im Öffentlichen Dienst zuletzt in den Siebzigerjahren unter dem legendären Gewerkschaftschef Heinz Kluncker.

Marcel Brömmling: "Verantwortung vergleichbar mit der von Grundschullehrern"
Foto: Privat"Wer viel verdient, genießt auch ein hohes Ansehen"
Marcel Brömmling, ein besonnener Mensch, der mit leiser, aber fester Stimme redet, wusste genau, worauf er sich finanziell einließ, bevor er sich für diesen Weg entschied. "Mir ist in meinem Berufsleben bewusst geworden, dass das Gehalt weniger zählt als das Gefühl, etwas Sinnvolles und Erfüllendes zu machen", sagt er. "Und trotzdem", schiebt er nach, "sind zehn Prozent mehr Lohn für Erzieher zu wenig. Denn in Deutschland verhält es sich doch so: Wer viel verdient, genießt auch ein hohes Ansehen."
Schon ist er mitten in der Diskussion über die angemessene Anerkennung von den zumeist weiblichen Erziehern, die jahrzehntelang verniedlichend Kindergärtnerinnen genannt wurden. Da schwirren Bilder im Kopf: Frauen, die nicht viel können müssen, außer lustige Kinderlieder zu singen, zu basteln und Popos sauber zu wischen.
Natürlich wandeln sich Berufe und auch die Urteile, die sich die Gesellschaft über sie bildet. Im Fall der mehr als 350.000 Erzieher gilt das umso mehr, seitdem es einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab dem ersten Lebensjahr gibt. Seitdem händeringend Fachpersonal gesucht wird. Seitdem in bundesweiten Kampagnen auch um männliche Erzieher geworben wird. Seitdem die Politik von "frühkindlicher Bildung" redet. Von Chancengleichheit ab dem Windelalter und von sozialer Kompetenz. Brömmling drückt es so aus: "Unsere Verantwortung für die Fürsorge und Bildung der Kinder ist heute vergleichbar mit der von Grundschullehrern." In Hamburg steigen sie mit rund 3400 Euro brutto in den Job ein .
Erzieher mit Grundschullehrern gleichstellen
Mehr zu betreuende Kinder, mehr Verantwortung - Thomas Böhle bestreitet keineswegs, dass Erzieher heute mehr leisten müssen als etwa vor 30 Jahren. Aber die Berufsgruppe mit Grundschullehrern auf eine Stufe zu stellen, geht für ihn zu weit. Erzieher sei nun mal ein Ausbildungsberuf, Lehrer bräuchten ein Studium, sagt der Personalreferent der Stadt München. Entsprechend hält er auch die Ver.di-Forderung nach einer Höhergruppierung für nicht gerechtfertigt.
Böhle muss so etwas sagen, er leitet für die kommunalen Arbeitgeberverbände die Verhandlungen - und ist damit der Gegenspieler der Gewerkschaft. Und maximal niedrig einzusteigen gehört zum Geschäft. Erzieher verdienten heute schon deutlich mehr als andere vergleichbare Berufsgruppen im Öffentlichen Dienst: "Die bessere Bezahlung ist eine Wertschätzung ihrer Arbeit."
Böhle meint es generell gut mit den Erziehern, das wird im Gespräch deutlich. Aber kann er wirklich nachvollziehen, wann sich die Fachkräfte wertgeschätzt fühlen?
Klaudia Wöhlk will sich dazu offiziell nur als Ver.di-Funktionärin äußern. Aber jede Silbe aus ihrem Mund belegt, was und wer sie ist: 65 Jahre alt, seit 16 Jahren Leiterin einer Kita in Hamburg-Horn, insgesamt mehr als 40 Jahre Berufserfahrung. Ihr Auftrag: 175 Kinder aus den unterschiedlichsten Schichten und Kulturen zu sozialkompetenten und wissbegierigen Menschen heranzuziehen. Laut Tariftabelle bekommt sie damit etwa 4351 Euro brutto.
"Früher konnte man eine ganze Gruppe Kinder mit einer Aufgabe an einen Tisch setzen", sagt Wöhlk. Das sei "zum Glück" nicht mehr der pädagogische Ansatz. "Die enorm gestiegenen Ansprüche in der Ausbildung und im Berufsalltag müssen sich in einer Aufwertung niederschlagen, die bislang ausgeblieben ist", sagt Wöhlk.

Klaudia Wöhlk: "Gestiegene Ansprüche müssen sich niederschlagen"
Foto: SPIEGEL ONLINE120.000 Erzieher fehlen
Wenig andere Ausbildungsberufe in Deutschland dauern so lang und sind so teuer wie die von Erziehern. Anders als bei der klassischen dualen Ausbildung nämlich, werden die angehenden Erzieher nicht fest in einem Betrieb ausgebildet, sondern in Fachschulen mit ergänzenden Praktika. Entsprechend gibt es keinen Ausbildungslohn. Selbst der Weg über ein Bachelorstudium ist einer Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts zufolge kein Garant für ein deutlich besseres Gehalt.
Die geringen Verdienstchancen haben aber laut Ver.di noch einen strukturellen Grund: die vielen Teilzeitstellen. Nur gut 40 Prozent aller Erzieher haben demnach eine Vollzeitstelle. Da überrascht es kaum, dass einer Bertelsmann-Studie zufolge 120.000 Erzieher fehlen.
Genau deshalb will Wöhlk in der kommenden Tarifrunde auch so sehr kämpfen. Wenn erst die Rahmenbedingungen stimmten, kämen auch die Nachwuchskräfte, ist sie sich sicher. "Es heißt doch immer: Wir haben kein Geld. Aber damit finden wir uns nicht ab", sagt Wöhlk.
Doch während kaum jemand bestreiten mag, dass Erzieher mehr verdienen sollten, bleibt die entscheidende Frage offen, wer das bezahlt. Im Münchner Raum etwa zahlen Kommunen mittlerweile Zulagen, um Erzieher anzulocken, die sich sonst auch die hohen Mieten in der Region nicht leisten könnten. Eine Zulage dieser Art können sich aber auch nur die Gemeinden leisten, die vermögend genug sind. Ein Modell für alle ist das nicht.
Zugleich steigen die Ausgaben der Kommunen für Kitas bundesweit rapide. Nach Angaben des Verbands VKA um 67 Prozent in den vergangenen zehn Jahren. Allein 2014 dürften die Kosten bei rund zwölf Milliarden Euro liegen. Selbst wenn Ver.di nur eine durchschnittliche Erhöhung von wenigen Prozent durchsetzt, schnellen die Ausgaben weiter in die Höhe.
Marcel Brömmling sieht das Problem. Er glaubt aber, dass es eines generellen gesellschaftlichen Umdenkens bedarf - bei dem Eltern an anderer Stelle entlastet werden, um mehr für die hochwertige Erziehung ihrer Kinder zahlen zu können -, und an dessen Ende es heißt: "Uns ist es das wert."